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Polizistenmord Augsburg: Staatsanwalt: „Es war wie eine Hinrichtung“

Polizistenmord Augsburg

Staatsanwalt: „Es war wie eine Hinrichtung“

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    Im Prozess um den Augsburger Polizistenmord haben die Plädoyers begonnen. Staatsanwalt Hans-Peter Dischinger sagte, die Anklage wegen Mordes habe sich im Prozess bestätigt.
    Im Prozess um den Augsburger Polizistenmord haben die Plädoyers begonnen. Staatsanwalt Hans-Peter Dischinger sagte, die Anklage wegen Mordes habe sich im Prozess bestätigt. Foto: Fred Schöllhorn

    Ganze acht Stunden tagt das Schwurgericht schon, als sich Staatsanwalt Hans-Peter Dischinger am späten Mittwochnachmittag von seinem Stuhl erhebt und mit seinem Plädoyer beginnt. Seit dem Morgen haben sich das Gericht und die Anwälte des Polizistenmörders Rudi R., 58, noch ein Tauziehen geliefert. Sie stellen zahlreiche neue Beweisanträge – ohne Erfolg. Nach und nach werden alle Anträge abgeschmettert. Damit rückt das Urteil gegen einen der beiden Männer, die im Oktober 2011 den Polizeibeamten Mathias Vieth erschossen haben sollen, immer näher.

    40-seitiges Plädoyer

    Staatsanwalt Dischinger listet in seinem 40-seitigen Plädoyer detailliert auf, weshalb er von der Schuld der Brüder Rudi R. und Raimund M., 60, überzeugt ist. R., der schon im Jahr 1975 einen Polizisten tötete, sei bei dem Mord von Hass und Vernichtungswillen geleitet worden. Er fordert eine lebenslange Haftstrafe für R., die Feststellung einer besonderen Schwere der Schuld – und Sicherungsverwahrung. Er schöpft damit alle Möglichkeiten aus. Sollte R. so verurteilt werden, würde er wohl nie mehr freikommen.

    Und der Staatsanwalt erinnert noch einmal an jene Nacht im Siebentischwald, in welcher der Familienvater Mathias Vieth sein Leben verlor. Getroffen von drei Pistolenkugeln und acht Projektile aus einer Kalaschnikow. Gestorben an Schüssen durch die Halswirbelsäule, die Lunge, den Darm, das Zwerchfell, die Leber, die Niere und den Kehlkopf. Dischinger fasst das Geschehen in einem Satz zusammen: „Es war wie eine Hinrichtung.“

    Staatsanwalt: Keine Zweifel an Polizistenmord

    28. Oktober 2011: Der Augsburger Polizeibeamte Mathias Vieth wird im Augsburger Siebentischwald erschossen.
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    Im Oktober 2011 wurde der Augsburger Polizeibeamte Mathias Vieth im Dienst erschossen. Die beiden Täter werden später verurteilt.

    Aus Sicht der Staatsanwaltschaft gibt es eine Menge von Indizien, die belegen, dass Rudi R. und Raimund M. die Mörder von Mathias Vieth sein müssen. Er habe „keine Zweifel“ an der Täterschaft, sagt Dischinger. Er nennt Dutzende DNA-Spuren der Brüder, die auf zahlreichen Gegenständen gefunden wurden – unter anderem auf Waffen, Schutzwesten und Sturmhauben, die in mehreren Verstecken der Brüder lagerten. Er nennt einen Seesack mit Blutspritzern des getöteten Beamten, der ebenfalls aufgefunden wurde. Er erwähnt die Tatwaffen, zwei Kalaschnikows, die im Keller von Raimund M.s Tochter deponiert waren.

    Und Staatsanwalt Dischinger ist sich sicher, dass Rudi R., der abgebrühte Berufskriminelle, doch einen Fehler gemacht hat – und sich verplapperte. Während des einjährigen Prozesses hat R. einmal davon gesprochen, dass der Polizist Mathias Vieth in der Oktobernacht 2011 eine eingeschaltete Taschenlampe in der Hand hielt. Aus der Sicht des Staatsanwalts ist das „eindeutig“ Täterwissen – denn bis dahin sei von der Lampe nie die Rede gewesen. Die Staatsanwaltschaft ist auch überzeugt davon, dass die Brüder an vier Raubüberfällen in den Jahren 2002 bis 2011 beteiligt waren. Staatsanwältin Beate Schauer sagt, die Überfälle seien „ohne Rücksicht auf Verluste“ ausgeführt worden, die Opfer zum Teil bis heute traumatisiert.

    Nach Ansicht der Ankläger haben beide Brüder geschossen

    Die Polizeibeamtin Diana K. hört den Staatsanwälten über drei Stunden konzentriert zu. Sie bleibt gefasst, als die Mordnacht genau beschrieben wird. K. war dabei, als Mathias Vieth ermordet wurde. Sie war mit ihm auf Streife unterwegs und wollte zwei Männer auf einem Motorrad kontrollieren – doch die Männer flüchteten und eröffneten das Feuer. Geschossen haben nach Ansicht der Staatsanwaltschaft beide Männer. Dass Diana K. leicht verletzt überlebte – ein Schuss traf ein Pistolenmagazin an ihrem Gürtel –, sei nur dem Zufall zu verdanken, so Hans-Peter Dischinger.

    Der Mord am Augsburger Polizisten Mathias Vieth

    Der Augsburger Polizeibeamte Mathias Vieth wird am frühen Morgen des 28. Oktober 2011 im Augsburger Siebentischwald von unbekannten Tätern erschossen.

    Der Streifenbeamte und seine Kollegin wollen an diesem Freitagmorgen gegen drei Uhr auf einem Parkplatz am Augsburger Kuhsee ein Motorrad mit zwei Männern kontrollieren.

    Die beiden Verdächtigen flüchten sofort in den nahen Siebentischwald, die Beamten nehmen mit ihrem Streifenwagen die Verfolgung auf.

    Im Wald stürzen die Motorradfahrer. Dann kommt es zu einem Schusswechsel zwischen Beamten und Tätern. Der 41-jährige Polizeibeamte wird trotz Schutzweste tödlich am Hals getroffen, seine Kollegin durch einen Schuss an der Hüfte verletzt.

    Die Täter flüchten. Eine anschließende Großfahndung, an der sich mehrere hundert Polizeibeamte beteiligen, bleibt ohne Erfolg.

    Die Augsburger Polizei richtet noch am gleichen Tag eine Sonderkommission ein. Der Soko "Spickel", benannt nach dem Augsburger Stadtteil, in dem die Tat geschah, gehören zunächst 40 Beamte an.

    Zwei Tage nach dem Polizistenmord geben die Ermittler bekannt, dass das Motorrad der beiden Täter in der Nacht vom 10. auf den 11. Oktober 2011 im Stadtgebiet von Ingolstadt gestohlen worden war. Dabei wurde die rund 15 Jahre alte Honda kurzgeschlossen.

    Drei Tage nach dem tödlichen Schusswechsel rückt die Polizei erneut mit einem Großaufgebot im Augsburger Spickel an. Taucher von Polizei und Feuerwehr suchen in den Kanustrecken des Eiskanals nach Gegenständen.

    Am 3. November wird Mathias Vieth bestattet. Am gleichen Tag stockt die Polizei die Soko "Spickel" auf 50 Beamte auf. Zugleich wird die Belohnung, die zur Aufklärung des Polizistenmordes ausgesetzt ist, auf 10.000 Euro erhöht.

    Ein Abgleich von DNA-Spuren, die am Tatort gesichert werden konnten, mit der bundesweiten DNA-Datenbank ergibt laut Polizei keinen Treffer.

    Am 7. November findet im Augsburger Dom die offizielle Trauerfeier für Mathias Vieth statt. Auch Bayerns Innenminister Joachim Herrmann nimmt an ihr teilt.

    Zehn Tage nach dem Augsburger Polizistenmord greift die Sendung "Aktenzeichen XY" den Fall auf. Zwar gehen daraufhin mehrere Hinweise ein, eine heiße Spur ist aber nicht darunter.

    Dezember 2011: Die Belohnung für Hinweise, die zur Ergreifung der Täter führen, wird auf insgesamt 100.000 Euro erhöht.

    Am 29. Dezember 2011 nimmt die Polizei in Augsburg und Friedberg zwei Verdächtige fest. Es handelt sich um die Brüder Rudi R. (56) und Raimund M. (58). Schnell wird bekannt: Der Jüngere hat bereits 1975 einen Augsburger Polizisten erschossen.

    Nach der Festnahme entdecken die Fahnder etliche Waffen und auch Sprengstoff. Belastet wird einer der Verdächtigen durch DNA-Spuren, die am Tatort gefunden wurden.

    Auf die Spur der beiden Männer kamen die Ermittler über ein Fahrzeug. Der Wagen war in Tatortnähe beobachtet worden. Im Zuge der Ermittlungen stellte sich heraus, dass die beiden Brüder des Öfteren mit diesem Wagen unterwegs waren.

    Mitte Januar ergeht auch Haftbefehl gegen die Tochter von Raimund M.. Bei ihr wurden Anfang Januar drei Schnellfeuergewehre und acht Handgranaten gefunden, die ihr Vater und dessen Bruder Rudi R. versteckt haben sollen.

    Im Juli 2012 wird die Tochter von Raimund M. verurteilt. Das Gericht spricht sie wegen Verstößen gegen das Waffen- und Kriegswaffengesetz, wegen Geldwäsche, Hehlerei und Diebstahl schuldig.

    August 2012 Die Augsburger Staatsanwaltschaft erhebt Anklage gegen die Brüder Raimund M., 60, und Rudi R., 58, wegen Mordes am Polizisten Mathias Vieth. Außerdem listet die Anklage fünf Raubüberfälle auf.

    Es zeichnet sich ein Mammutprozess ab. Das Landgericht Augsburg setzt mehr als 49 Verhandlungstage an.

    21. Februar 2013: Der Mordprozess gegen die Brüder beginnt unter großen Sicherheitsvorkehrungen - und mit einem Eklat. Rudi R. beschimpft den Staatsanwalt als "Drecksack".

    August 2013: Das Gericht hat den Mordkomplex abgearbeitet und beginnt mit der Beweisaufnahme zu den Raubüberfällen. Viele Beobachter rechnen mit einem Mordurteil.

    September 2013: Ein Gutachter stellt fest, dass sich M.s Gesundheitszustand nach 15-monatiger Isolationshaft so verschlechtert hat, dass er verhandlungsunfähig ist.

    November 2013: Das Gericht setzt den Prozess gegen M. aus. Er bleibt vorerst in Haft. Gegen seinen Bruder Rudi R. wird normal weiterverhandelt.

    Februar 2014: Rudi R. wird zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilt. Das Gericht sieht bei ihm eine besondere Schwere der Schuld und ordnet die anschließende Sicherungsverwahrung an.

    September 2014: Der neue Prozess gegen Raimund M. beginnt.

    Februar 2015: Der Bundesgerichtshof bestätigt das Augsburger Urteil gegen Rudolf R.

    Nächste Woche sollen die Plädoyers von Nebenklägern und Verteidigung folgen. Ein Urteil könnte dann noch im Februar fallen. Ob Raimund M. sich je wieder vor Gericht verantworten muss, ist indes ungewiss. Der Prozess gegen ihn ist seit November ausgesetzt, weil ein Gutachter ihn angesichts seiner Parkinsonkrankheit als verhandlungsunfähig einstuft.

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