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Prozess in Augsburg: Pflege-Prozess: Das Millionengeschäft mit falschen Abrechnungen

Prozess in Augsburg

Pflege-Prozess: Das Millionengeschäft mit falschen Abrechnungen

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    Ein kriminelles Netzwerk in Augsburg soll Pflege- und Krankenkassen um Millionen betrogen haben. Nun hat der Prozess begonnen.
    Ein kriminelles Netzwerk in Augsburg soll Pflege- und Krankenkassen um Millionen betrogen haben. Nun hat der Prozess begonnen. Foto: Ulrich Wagner

    Einer der Ermittler sagte damals, es sei nur die Spitze des Eisbergs, die da aufgedeckt worden sei. Er wolle sich nicht ausmalen, welche Geldsummen noch durch mutmaßlichen Pflegebetrug auf welchen Konten landen mögen. Im Fall eines mutmaßlich kriminellen Netzwerkes in der Pflegebranche, das auch in Augsburg aufgedeckt wurde, soll es sich jedenfalls um mehrere Millionen Euro handeln. Am Mittwoch hat ein erster Prozess gegen Verantwortliche des Pflegedienstes Fenix vor dem Augsburger Landgericht begonnen. Angeklagt sind drei Frauen und zwei Männer, die mit falschen Abrechnungen rund sieben Jahre lang systematisch Pflege- und Krankenkassen in einem Umfang von rund 3,3 Millionen Euro betrogen haben sollen.

    Es handelt sich um das erste Verfahren nach umfangreichen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft München I gegen Verantwortliche mehrerer Pflegedienste in München und Augsburg. Bei den Landgerichten in den beiden Städten liegen bereits weitere Anklagen, Termine für die Verhandlungen stehen noch nicht fest. Die beiden Staatsanwältinnen benötigen am ersten Prozesstag rund eineinhalb Stunden, um die umfangreiche Anklageschrift zu verlesen. Der Gerichtssaal ist allein mit fünf Angeklagten und insgesamt 13 Anwälten gut gefüllt. Unter den Beschuldigten befindet sich ein Ehepaar, es gilt als Drahtzieher der offenbar kriminellen Bande. Für die Eheleute bedeutet der Prozess-Start ein erstes Wiedersehen nach eineinhalb Jahren.

    Am Landgericht Augsburg ist der Prozess gegen die Pflegemafia gestartet.
    Am Landgericht Augsburg ist der Prozess gegen die Pflegemafia gestartet. Foto: Ulrich Wagner

    So lange nämlich sitzen die beiden schon in Untersuchungshaft. Ihr Wiedersehen vor Gericht fällt dafür bemerkenswert unterkühlt aus. Die 43 Jahre alte Julia L. würdigt den 49-jährigen Richard R. keines Blickes, der Ehemann gibt die Blickkontaktversuche schnell auf. Spannend ist die Frage, ob sie sich im Laufe der Verhandlung gegenseitig belasten werden. Am 23. Oktober 2019 hatte die groß angelegte Razzia in Augsburg und in anderen Städten bundesweit für Schlagzeilen gesorgt. Über 500 Polizisten durchkämmten damals 175 Geschäftsräume von Pflegeunternehmen in der Stadt und Wohnungen und Büros der Firmenchefs. Acht der rund 60 Pflegedienste in Augsburg wurden des Betrugs verdächtigt.

    Pflegeprozess in Augsburg: Nicht erbrachte Leistungen einfach abgerechnet

    Leistungen sollen unter anderem abgerechnet worden sein, die angeblich nie erbracht wurden, wie etwa das Waschen von Patienten, das Verabreichen von Medikamenten oder das An- und Ausziehen von Stützstrümpfen. In manchen Fällen sollen sogar offenkundig gesunde Menschen in Dokumenten als Pflegebedürftige eingetragen worden sein. Unter den vielen Verdächtigen befinden sich auch Mitarbeiter der Pflegedienste, bei den meisten aber handelt es sich um die Betreiber der Pflegedienste selbst. Die zuständige Staatsanwaltschaft München I hatte in den verschiedenen Komplexen insgesamt zwölf Menschen in U-Haft nehmen lassen.

    Jetzt, eineinhalb Jahre später, sitzen nur noch drei von ihnen hinter Gittern. Darunter ein 38-jähriger mutmaßlicher Hauptverantwortlicher eines weiteren Betrugsfalles. Die Ermittler fanden bei der Razzia in seiner Wohnung und in Schließfächern rund sieben Millionen Euro Bargeld. Nicht nur er, sondern auch das Ehepaar, das sich nun im ersten Prozess des Betrugskomplexes mit drei ehemaligen Kollegen vor Gericht verantworten muss, ist noch im Gefängnis.

    Bei der Pflege-Razzia in Augsburg waren rund 500 Polizisten im Einsatz.
    Bei der Pflege-Razzia in Augsburg waren rund 500 Polizisten im Einsatz. Foto: Silvio Wyszengrad (Archivbild)

    Die 43-jährige Julia L. gilt als Hauptfigur in dem ersten umfangreichen Verfahren, für das bis Ende September über 60 Verhandlungstermine angesetzt sind. Offiziell arbeitete die gebürtige Ukrainerin als Qualitätsbeauftragte bei dem Augsburger Pflegedienst, doch laut Anklage war sie die heimliche Chefin in dem Unternehmen, was sie offenbar verschleierte. Denn Julia L. war in der Vergangenheit bereits wegen Schwarzarbeit bei einem früheren und längst insolventen Pflegeunternehmen, das sie führte, zu einer Geldstrafe verurteilt worden.

    Patienten wurden offenbar auf Kontrollbesuche des MDK vorbereitet

    Weil die Kassen sie deshalb nicht mehr als Leiterin eines neuen Pflegedienstes akzeptiert und keinen Vertrag mit der Firma abgeschlossen hätten, soll den Ermittlern zufolge zum Zeitpunkt der Firmengründung ein Strohmann als Geschäftsführer benannt worden sein. Ihr Ehemann Richard R. hatte ebenso eine leitende Funktion. Mitangeklagt ist außerdem der Vater des mutmaßlichen Strohmannes, der offenbar von seinem Sohn eine Vollmacht für die Geschäfte erhalten hatte. Außerdem stehen die offizielle Pflegedienstleiterin sowie eine Mitarbeiterin vor Gericht, die angeblich Patienten auf die Kontrollbesuche der Prüfer des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vorbereitet hatte, damit diese nichts verrieten.

    Im Prozess zur Pflege-Razzia in Augsburg ist auch ein Ehepaar angeklagt.
    Im Prozess zur Pflege-Razzia in Augsburg ist auch ein Ehepaar angeklagt. Foto: Ulrich Wagner

    Laut der Anklage wurden Patienten und deren Angehörige teils aufgefordert, am Tag der MDK-Prüfung entweder nicht ans Telefon zu gehen oder eine Prüfung abzulehnen. Bei einer Patientin soll vor dem angekündigten MDK-Besuch erst die Pflegedokumentation verändert worden sein, dann habe ihr eine der Angeklagten das Beruhigungsmittel Tavor verabreicht. Die Dame sollte damit für die Dauer der Prüfung ruhiggestellt werden. Bemerkenswert an dem Pflegeskandal ist, dass Patienten selbst und teils auch deren Angehörige offensichtlich zu Komplizen gemacht wurden.

    Prozess zu Pflege-Razzia: Kriminelle bringen Pflegebranche in Verruf

    Für ihre Unterschriften für angeblich erbrachte Leistungen sollen sie monatliche Bargeldbeträge oder auch Leistungen in Form von Hausarbeit oder Fahrdiensten erhalten haben. Einem Patienten etwa sollen Mitarbeiter des Pflegedienstes morgens Brötchen und eine Zeitung vorbeigebracht haben. Der offenkundig groß angelegte Betrug hatte System. Ein System, das aufflog. Die Augsburger Kripo hatte mit einer eigens eingerichteten Sonderkommission mit dem Namen "Eule" einen Teil der Augsburger Pflegebranche monatelang überprüft. "Eule", weil das Tier schlau und wachsam ist, ihm nichts entgeht - und es ganz leise jagt.

    Es sind einige wenige schwarze Schafe unter den Pflegediensten, die ermittelt wurden, doch es reichte, um ein schlechtes Licht auf die Pflegebranche zu werfen. Nach der Razzia 2019 befürchteten seriöse Anbieter, unter Generalverdacht gestellt zu werden. Diese Angst könnte nun mit dem Start des ersten Prozesses in dem aufgedeckten Skandal wieder hochkommen. Denn die weiteren Fälle dürften die Justiz und die Öffentlichkeit noch lange beschäftigen. Noch nicht alle Ermittlungskomplexe sollen abgeschlossen sein. Zudem steht auch noch der Prozess gegen den 38-jährigen Hauptverdächtigen des anderen Pflegedienstes bevor.

    Lesen Sie den Kommentar: Erster Prozess nach Pflege-Razzia: Gegensätzliche Welten in der Branche

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