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Augsburg: Nach Razzia in Augsburg: Wie die Pflegemafia Millionen scheffelt

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Nach Razzia in Augsburg: Wie die Pflegemafia Millionen scheffelt

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    Beim Geschäftsführer eines Augsburger Pflegedienstes fanden die Ermittler rund drei Millionen Euro in Bar. Er hatte das Geld bei sich zuhause gebunkert.
    Beim Geschäftsführer eines Augsburger Pflegedienstes fanden die Ermittler rund drei Millionen Euro in Bar. Er hatte das Geld bei sich zuhause gebunkert. Foto: Polizei

    Die Ermittler der Soko „Eule“ wussten, wonach sie suchen mussten. Und sie wurden fündig. Seit Anfang des Jahres haben 25 Beamte der Augsburger Kriminalpolizei die Pflegebranche in der Stadt genau unter die Lupe genommen. Sie hörten Telefone ab, observierten Verdächtige – und holten am Mittwoch zum großen Schlag gegen Betrug in der Pflege aus. 530 Beamte durchsuchten in Augsburg rund 170 Büros und Privatadressen. Die Ermittler stießen in Wohnungen und in Schließfächern auf Bargeld in Millionenhöhe. In der Augsburger Wohnung eines Pflegedienst-Geschäftsführers fanden sie rund drei Millionen Euro – in zwei Koffern, größtenteils in 500er-Scheinen. Kripo-Chef Gerhard Zintl sagt, Bargeld in diesen Mengen stamme in aller Regel nicht aus dem „legalen Wirtschaftskreislauf“.

    Solche Stapel von Banknoten finden Ermittler sonst eher im Rotlichtmilieu und im internationalen Drogenhandel. Betrug in der Pflege scheint aber ähnlich lukrativ zu sein. Augsburgs Kripo-Chef Zintl spricht von „organisierter Schwerkriminalität“. Den Drahtziehern in der Pflegemafia gehe es ums Geld, „das Leben der Patienten ist diesen Leuten relativ egal“. Ein Fall zeigt dies offenbar besonders deutlich. Nach Informationen unserer Redaktion haben die Ermittler konkrete Hinweise darauf, dass einer über 90-jährigen Seniorin gegen deren Willen ein starkes Beruhigungsmittel verabreicht worden ist. An diesem Tag wollten Prüfer des Medizinischen Diensts der Krankenkasse kontrollieren, ob die Frau wirklich so pflegebedürftig ist, wie es in den Papieren steht. Das Medikament sorgte offenbar dafür, dass die Seniorin apathisch auf die Prüfer wirkte.

    Der Geschäftsführer eines Augsburger Pflegedienstes ist in Andalusien gemeldet

    Der Fall soll sich bei einem privaten Pflegedienst mit Sitz im Augsburger Stadtteil Lechhausen abgespielt haben. In dem Firmengebäude waren die Ermittler am Mittwoch stundenlang vor Ort. Allein bei diesem Dienst gibt es nach Informationen unserer Redaktion rund ein Dutzend Beschuldigte, einige von ihnen sollen in Untersuchungshaft sitzen. Das Unternehmen hat eigenen Angaben zufolge rund 280 Mitarbeiter. Die Ermittler gehen nach Informationen unserer Redaktion davon aus, dass dieser Pflegedienst alleine eine Krankenkasse in Millionenhöhe geschädigt hat.

    Der Geschäftsführer, der einen Wohnsitz in Andalusien hat, wollte sich am Mittwochnachmittag am Telefon nicht zur Razzia und den Ermittlungen äußern. „Kein Kommentar“, lautete seine knappe Antwort. Die Ermittler durchsuchten auch die Räume einer Frau in Niedersachsen, die laut Handelsregister alle Firmenanteile an dem Pflegedienst hält. Bei den Ermittlern heißt es, dass nicht in jedem Fall die tatsächlichen Besitzer im Handelsregister gemeldet sein müssen. Es sei auch möglich, dass Strohleute eingesetzt worden seien. Eine Vorgehensweise, die auch bei Bordellen verbreitet ist.

    Waren Patienten und Angehörige an dem Pflegebetrug in Augsburg beteiligt?

    Die Betrugsmasche der Dienste soll in vielen Fällen auch darauf bauen, dass Patienten und Angehörige mitmachen – quasi als Komplizen. Auch Ärzte sollen geholfen haben. Das Ziel der Betrüger ist es demnach, Patienten kränker zu machen, als sie in der Realität sind. So können Leistungen abgerechnet werden, die nie erbracht wurden. Etwa das An- und Ausziehen von Stützstrümpfen, das Waschen oder die Gabe bestimmter Medikamente.

    Polizisten schauen sich das Auto eines Pflegedienstes im Augsburger Stadtteil Lechhausen an: Rund 500 Beamte waren am Mittwoch bei einer Großrazzia in der Stadt im Einsatz.
    Polizisten schauen sich das Auto eines Pflegedienstes im Augsburger Stadtteil Lechhausen an: Rund 500 Beamte waren am Mittwoch bei einer Großrazzia in der Stadt im Einsatz. Foto: Jörg Heinzle

    Die Ermittler haben auch ziemlich eindeutige Indizien auf extreme Fälle, in denen Patienten wohl nur auf dem Papier pflegebedürftig waren. Einen angeblich Pflegebedürftigen erwischten Polizisten am Mittwoch beim Fahren mit einem Motorroller. Und es zeigte sich, dass der Mann an einem Kiosk arbeitet. Ein anderer mutmaßlicher Schein-Patient arbeitet als Schweißer. Der Pflegedienst rechnete aber unter anderem ab, dass er gewaschen und rasiert werden muss. Alleine bei diesem Mann soll der Schaden bei 60.000 bis 70.000 Euro liegen.

    In Augsburg richten sich die Ermittlungen gegen acht Pflegedienste, in München sind es zwei. Viele Verantwortliche sollen einen Bezug zu Osteuropa haben, überwiegend stammen sie wohl aus Staaten der ehemaligen Sowjetunion. Sie warben teils auch gezielt mit russischen Sprachkenntnissen um Kundschaft. Um die Kunden als Komplizen zu gewinnen, sollen die Dienste mit Belohnungen gearbeitet haben. So fanden die Ermittler Hinweise auf monatliche Zahlungen zwischen 20 und 120 Euro. Da es sich bei vielen Betroffenen um Sozialhilfeempfänger handle, sei das für sie schon eine Menge Geld, sagt Oberstaatsanwalt Richard Findl. Er leitet bei der Staatsanwaltschaft München I eine eigene Einheit, die auf Betrug und Korruption im Gesundheitswesen spezialisiert ist. Die Staatsanwälte sind zuständig für ganz Südbayern.

    Nach der Razzia in Augsburg: 13 Verdächtige sitzen in Haft

    Die Ermittler beobachteten auch, was bei Pflegediensten passierte, wenn sich Prüfer der Krankenkassen zum Besuch anmeldeten. Dann sei meist hektische Betriebsamkeit ausgebrochen, sagt Richard Findl. Dokumente seien angepasst und neu erstellt worden. Auch Hilfsmittel wie Rollatoren seien schnell zu Patienten gefahren und nach der Kontrolle wieder abgeholt worden.

    Mehrere Lastwagenladungen mit Beweismitteln wurden bei der Razzia in Augsburg sichergestellt. Dazu kommt laut Polizei eine riesige Datenmenge auf Rechnern und Festplatten.
    Mehrere Lastwagenladungen mit Beweismitteln wurden bei der Razzia in Augsburg sichergestellt. Dazu kommt laut Polizei eine riesige Datenmenge auf Rechnern und Festplatten. Foto: Polizei

    Abgeschlossen sind die Ermittlungen längst nicht, der Umfang des beschlagnahmten Beweismaterials hat gigantische Ausmaße. 13 Verdächtige sitzen in Untersuchungshaft, in Augsburg richten sich die Ermittlungen derzeit gegen 68 Beschuldigte – konkret gegen einen Arzt aus der Stadt, 40 Betreiber oder Mitarbeiter von Pflegediensten und 27 Patienten. Äußern wollten sich deren anwaltlichen Vertreter, die unsere Redaktion erreichen konnte, bislang nicht. Er könnte zu den Vorwürfen aktuell noch keine Stellungnahme abgeben, sagte etwa Anwalt Moritz Bode, der eine Beschuldigte vertritt.

    Die Augsburger Soko trägt den Namen „Eule“, weil das Tier scharfe Augen hat – und ein guter Jäger ist. Kripo-Chef Gerhard Zintl kündigt schon mal an: „Die Eule wird weiter ihre Kreise ziehen. Und sie wird wieder zuschlagen.“

    Was der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach fordert: Politik muss schärfer gegen Missbrauch vorgehen

    Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Pflege-Skandal ist Betrug mit der Not anderer

    Hören Sie sich dazu unseren Podcast zu den Hintergründen des Pflegeskandals an. Sie finden den Podcast "Augsburg, meine Stadt" auch bei Spotify, iTunes und überall, wo es Podcasts gibt.

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