Vieles auf dem Augsburger Stadtmarkt wirkt an diesem Vormittag wie im Winterschlaf. Bistrostühle türmen sich ungenutzt vor dem völlig verwaisten Vin Café. In besseren Zeiten wird hier Prosecco oder Kaffee zum Snack vom Markt serviert, an diesem Tag im Spätjanuar liegt zentimeterdick der Schnee auf den Tischen. Zu Gast ist hier seit Monaten niemand, an gemütliche Pausen im Corona-Winter nicht zu denken. Ruhig ist es auch in den Gassen. Wo sonst Tüten rascheln, Kassen klingen und Gesprächsfetzen von Händlern und Kunden in der Luft liegen, huschen einzelne Stadtmarkt-Stammkunden zielstrebig zu ihren Lieblingsständen. Zum Schwätzen bleibt kaum einer stehen - und manches Wort ohnehin in der FFP2-Maske hängen. Was ist unter der Last des langen Lockdowns aus dem Stadtmarkt geworden? Mit dieser Frage haben wir uns auf einen multimedialen Streifzug begeben – und Händler, Kunden und den Marktleiter getroffen.
Als Werner Kaufmann aus dem Marktamt vor die Fleischhalle tritt, zeigt sich der Himmel trostlos grau. Nur ganz wenige Menschen kreuzen den Brunnenplatz an diesem Vormittag. 90 Jahre ist der Stadtmarkt im vergangenen Jahr alt geworden, doch das stolze Jubiläum fiel just ins Corona-Jahr 2020. Werner Kaufmann, der Marktleiter, hatte gemeinsam mit den Händlern einiges für eine große Feier auf die Beine gestellt. Ob diese bald nachgeholt werden kann, ist aktuell noch völlig offen.
Ein paar Meter weiter steht Peter Uhl in der Gemüsegasse an seinem Stand. Der 90. Geburtstag des Stadtmarkts Augsburg wäre auch für ihn ein ganz besonderes Fest gewesen. Am 8. Oktober 1930 wurde der Augsburger Stadtmarkt eröffnet – Uhls Familie ist seit diesem Tag mit einem Stand in der Gemüsegasse präsent. Der 59-Jährige, der auch CSU-Stadtrat ist, geht fest davon aus, dass die Feierlichkeiten zum Jubiläum noch nachgeholt werden.
Die Stimmung unter den Händlern nimmt Uhl zweigeteilt wahr: "Wir haben sehr, sehr viele Verlierer auf dem Stadtmarkt", sagt er mit Bedauern in der Stimme. Als Anbieter von tagesfrischen Lebensmitteln habe er weiterhin die Möglichkeit, seine Produkte vor Ort zu verkaufen.
Doch direkt neben seinem Gemüsestand musste eine Nachbarin ihr Geschäft im Lockdown schließen, Dekoartikel verkauft sie nur nach vorherigem Anruf. Auch Floristen, die Kunden nur nach Vorbestellung bedienen dürfen oder Imbissbetreiber, die Essen nur noch zum Mitnehmen anbieten, müssten derzeit enorm um ihr Geschäft kämpfen, so Uhl: "Das sind die Verlierer hier auf dem Stadtmarkt – und das ist schade."
Die Corona-Regeln auf dem Augsburger Stadtmarkt
Corona-Regeln auf dem Stadtmarkt: Es gelten im Wesentlichen die gleichen Regeln, die auch die Infektionsschutzmaßnahmen der Bayerischen Staatsregierung vorsehen.
FFP2-Maskenpflicht: Wer auf dem Stadtmarkt einkauft, hat dabei verpflichtend eine FFP2-Maske zu tragen. Händler sind davon ausgenommen, müssen aber einen anderen Mund-Nase-Schutz tragen.
Lockdown im Handel: Händler auf dem Stadtmarkt, die nicht mit Lebensmitteln handeln, wie Messerschleifer, Floristen oder Deko-Lädchen müssen geschlossen bleiben. Viele bieten aber ein Mitnahmeangebot nach telefonischer Vorbestellung an.
Imbiss: Auf dem Stadtmarkt darf coronabedingt nichts verzehrt werden, damit nicht zu viele Menschen dort verweilen. Imbiss und Getränke gibt es nur zum Mitnehmen.
Etwas voller als es an diesem Vormittag ist wird es auf dem Stadtmarkt erst zur Mittagszeit. In hungriger Eile steuern Augsburger allein oder zu zweit auf Bäckergasse, Viktualienhalle und Fleischhalle zu. Gerade die Metzger- und Imbissständen sind für einen Mittagssnack eine beliebte Anlaufstelle.
Doch im Corona-Winter sind die Tische, an denen die Augsburger normalerweise zusammenkommen, alle gesperrt. Das bekommt auch Damian Gawlitza, ein Mann mit Glatze und Küchenschürze zu spüren. An seinem Stand "Oberschlesische Spezialitäten" bereitet er an jedem Werktag deftigen Mittagsimbiss.
Grünkohl-Graupen-Eintopf, Bigos oder Krakauer in der Semmel wie Gawlitza sie anbietet gibt es in Corona-Zeiten allerdings nicht zum Vor-Ort-Verzehr. Doch es ist gar nicht so sehr das Verweil-Verbot auf dem Stadtmarkt, das dem 59-jährigen Imbissbetreiber am meisten zu schaffen macht.
Diejenigen, die im Lockdown überhaupt noch mittags zu ihm kämen, meint Gawlitza, das seien vor allem Ärzte, Behördenmitarbeiter und Menschen, die in der Innenstadt wohnen. Und damit: viel weniger Menschen als vorher. "Der Stadtmarkt war immer eine lebendige Meile, die er so heute nicht mehr ist. Aber wir kämpfen. Denn solange man kämpft, hat man nicht verloren."
Auch in der Viktualienhalle ist zu spüren, dass weniger Menschen in der Stadt unterwegs sind – und sich damit kaum jemand spontan auf den Stadtmarkt begibt. Rosemarie Kolper, Inhaberin der Allgäuer Käsehütte, kann das gut nachvollziehen. Sie sagt: "Mit dem Lockdown ist quasi die Annastraße komplett zu. Man kann in der Stadt nicht zum Kaffeetrinken oder zum Frühstücken gehen. Der Laufkunde fehlt natürlich."
Als Händler von frischen Lebensmitteln seien sie und ihr Mann in der glücklichen Lage, auch im Lockdown regulär öffnen zu dürfen. Dabei freuen sie sich über viele Stadtmarkt-Stammkunden, die weiterhin zuverlässig an ihren Stand kommen. Und auch einige neue Käseliebhaber habe es in der Corona-Krise an ihren Stand gezogen. Gerade im Frühjahr habe sie einen regelrechten Boom wahrgenommen, so Kolper.
Einer, der einen Trend zu mehr frischen Lebensmitteln vom Markt ebenfalls am eigenen Stand gespürt hat, ist Fischhändler Andreas Schindler. Jeden Tag fährt er von seinem Forellenhof aus Eppishausen im Unterallgäu auf den Augsburger Stadtmarkt.
Seine Stammkunden kämen seit Jahren zuverlässig, daran ändere auch die Corona-Krise nichts. Doch seit dem Frühjahr 2020 läuft das Geschäft so gut wie selten, sagt er. "Es ist ein großes Thema mittlerweile, wo der Fisch herkommt und wie er produziert wird. Dadurch haben wir viele neue Kunden bekommen."
Stark eingebrochen ist aber auch für Schindler das Imbissgeschäft. Von den Fischbrötchen, die Passanten gerade in der Mittagszeit an seinem Stand abholen, verkauft er nur noch etwa die Hälfte.
Sorgen bereitet das dem Fischhändler aber nicht: "Natürlich fällt auch mit der Gastronomie ein wichtiger Geschäftsbereich weg – aber bei uns fängt das letztlich der Endkunde wieder auf."
Zuversicht herrscht auch am Café Kaufmann. Nicht von seinem Tresen aus, sondern durch das Seitenfenster reicht Mitarbeiter Attila seinen Gästen Kaffee- und Punschgetränke durch das Fenster. "Das ist besser als nichts. Wir haben Glück, denn wir sind das einzige Café auf dem Stadtmarkt, das weiterhin geöffnet hat."
Und was sagen eigentlich diejenigen, die auf dem Stadtmarkt ihre Einkäufe erledigen über die veränderte Lage im Corona-Winter? "Es wäre schön, sich hier einfach mal wieder mit Freunden auf ein Glas Prosecco zu treffen", findet Barbara Späth, die mit Frank Hümann in der Gemüsegasse unterwegs ist.
Insgesamt überwiegt bei den beiden Augsburgern aber die Freude darüber, dass der Stadtmarkt überhaupt geöffnet hat. Sie kochen seit der Corona-Krise häufiger als früher und finden viele Produkte dafür nur auf dem Markt. "Trotz Masken und Abstand ist es einfach schön, den Stadtmarkt weiterhin zu erleben, weil es auf jeden Fall etwas anderes ist, als nur in den Supermarkt zu gehen."
Noch mehr Stimmen von Bürgern auf dem Augsburger Stadtmarkt hat ein Videoteam von rt1.tv für uns gesammelt.