Viele Bürger, die nahe der Stadt Erholung suchen, zieht es auf den Müllberg im Norden Augsburgs. Dass er entstehen konnte, hat unter anderem damit zu tun, dass die Stadt dort um 1950 den Abbau von Kies zuließ – in einem ursprünglich „geschützten Landschaftsgebiet“. Nach der Kiesentnahme in den Lechauen wurde das ausgebeutete Areal aber nicht renaturiert, sondern zur Müllkippe: In eine riesige und eine kleinere Kiesgrube wurde Hausmüll geschüttet.
In den Kies-Abbauflächen hatte zunächst Grundwasser gestanden. Ab 1955 wurde dann mit Müll aufgefüllt – und zwar mit Müll aus Augsburg und aus Gersthofen. Der Grund für diese Entsorgungs-Kooperation: Das Areal liegt auf Augsburger Stadtgebiet, Gersthofen ist jedoch Grundbesitzer.
Die am 21. August 1950 zur Marktgemeinde aufgestufte Kommune und die Stadt Augsburg handelten 1954/55 einen Vertrag zur gemeinsamen Müllentsorgung auf diesem Gelände aus. Augsburg war dringend auf der Suche nach einer langfristig nutzbaren Deponie. Bis dahin hatte die Stadt Müll und Bauschutt an zahlreichen Stellen im Stadtgebiet entsorgt – unter anderem auf der Wolfzahnau und am Lechufer.
Der Augsburger Müllberg war jahrelang eine unkontrollierte Müllkippe
In den ersten vier „Betriebsjahren“ der neuen Deponie, dem späteren Müllberg, fielen in Augsburg insgesamt 450.000 Kubikmeter „Entsorgungsmaterial“ an – vom Straßenkehricht bis zum Hausmüll. Eine Luftaufnahme vom 1. Mai 1958 zeigt, dass es drei Jahre nach Beginn der Verfüllung der Kiesgruben noch eine große Wasserfläche gab. Auf dem Areal des jetzigen Müllbergs zeichnen sich 1958 kleine landwirtschaftlich genutzte Grundstücke ab.
Es dauerte zwölf Jahre, ehe der entnommene Kies bis zum Geländeniveau durch Müll „ersetzt“ war. Das Areal war jahrelang eine unkontrollierte Müllkippe. Bis 1967 gab es keine Überwachung der Müllablagerung. „Die Zusammensetzung des Mülls kann für diese Jahre nur grob geschätzt werden“, heißt es deshalb in einem Blick auf die Anfänge der „Mülldeponie Augsburg-Gersthofen“; so lautet die frühere Bezeichnung.
In den ersten 20 Jahren wurde übrigens die Deponie in Stadtplänen ignoriert, nur die Zufahrtsstraßen tauchen darin auf. 1967 war die 1955 ins Auge gefasste Verfüllung erreicht. Doch Gersthofen und Augsburg mussten weiterhin ihren Müll loswerden. Das Gelände bot sich für eine oberirdische Deponie an – nun als „geordnete Hausmülldeponie“. So schrieb man in der Folgezeit in offiziellen Verlautbarungen, das heißt: Es gab ab 1968 eine permanente Überwachung der Deponie mit planmäßiger Ablagerung.
Der Müllberg wächst und wächst - wie sich das auswirkte
Über den verfüllten einstigen Kiesgruben und angrenzenden gerodeten Wald- und Auenflächen bilden die ab 1968 deponierten Abfälle die großflächige Basis des Müllbergs, wie man ihn heute kennt. 350.000 Quadratmeter war sie ursprünglich groß. Die Zufahrten lagen an der Seite zum Lechufer und wurden allmählich zur „Bergstraße“. Auf ihr erreichten die Anlieferer sowohl von Gersthofer als auch von Augsburger Seite die Abladestellen auf dem Areal. Sie brachten nicht nur weiterhin den unsortierten Augsburger und Gersthofer „Siedlungsmüll“, sondern auch Gewerbemüll, Überreste aus Wohnungsräumungen sowie Bauschutt, Aushubmaterial und Humus.
Die 1955 angelegte Kleingartenanlage an der Gersthofer Straße ist von oben gut ausmachbar, den angrenzenden „Europaweiher“ gab es im Mai 1958 noch nicht. Das belegt die Luftaufnahme aus diesem Jahr. Er wurde erst später ausgebaggert. Als Badeweiher diente das einst klare Grundwasser nur wenige Jahre. Dann litt die Wasserqualität sichtbar unter der nahen Müllablagerung. In den 1970er-Jahren waren die braunen „Zuflüsse“ aus der Richtung des wachsenden Müllhügels nicht zu übersehen. Im Winter spielte die Wasserverschmutzung keine Rolle: Trug die Eisfläche, zog sie Schlittschuhläufer, Eishockeyspieler und Spaziergänger aus Gersthofen und aus der Firnhaberau an. Das ist immer noch so.
"Europaweiher": Zahlreiche Fischarten leben hier
Dem etwa 2,5 Hektar großen „Europaweiher“ wurde eine Insel mit Baumbestand belassen, den inzwischen Biber erheblich reduziert haben. An der Westseite des Weihers steigt eine modellierte Hangwiese in Richtung Lechufer an. Sie diente zeitweise als Festwiese. Hier feierte Gersthofen – 1969 zur Stadt erhoben – etliche Mal mit Besuchern aus der Partnerstadt Nogent-sur-Oise und taufte die internationale Begegnungsstätte „Europawiese“. Diese Bezeichnung ist auf einer blauen Tafel mit goldenen Sternen bei einem Trinkwasserbrunnen am Zugang und in jüngeren Augsburger Stadtplänen zu finden. „Europaweiher“ und „Europawiese“ liegen auf dem weit lechabwärts reichenden Augsburger Stadtgebiet.
Es gab Großkonzerte auf einer 2002 errichteten (inzwischen abgebauten) hölzernen Seebühne. Gersthofen wertete das Gewässer auf: Aus ihm steigen Fontänen aus dem Wasserspiegel auf. 2009 wurden ein paar Quadratmeter Kiesstrand aufgeschüttet und der Einstieg ins Wasser abgeflacht.
Ein hölzernes Liegepodest ragt übers Wasser. Man wolle jedoch mit diesen „Kultivierungen“ kein Signal dafür geben, dass es sich beim „Europaweiher“ um einen Badesee handle, betonte 2009 Gersthofens Bürgermeister Jürgen Schantin.
Zur Kontrolle wurden damals sogar Goldfische eingesetzt. Sie würden besonders empfindlich auf Wasserverschmutzungen reagieren, hieß es. Sie (und nicht nur sie) scheinen den Überlebenstest bestanden zu haben, denn eine Auflistung nennt 2017 zahlreiche im „Europaweiher“ lebende Fischarten: Aale, Barsche, Brassen, Hechte, Karpfen, Rotfedern, Schleien, Welse und Zander. Im Gelände beim Weiher erinnern Installationskästen daran, dass die Rasenfläche einige Jahre als Freiluftkino diente – die riesige Projektionswand befand sich auf der Bühne im Wasser – und dass technisch eine festliche Beleuchtung und Beschallung des weiten Event-Bereichs möglich ist.
In unserer Serie gehen wir auf die Entstehung und heutige Bedeutung des Augsburg-Gersthofer Müllbergs ein. Historiker Franz Häußler erzählt jeweils montags, wie eine Auenlandschaft innerhalb von Jahren fast komplett umgewandelt wurde. Er hat dafür ausgiebig in zahlreichen Archiven recherchiert.
Die nächste Folge: Wie der Müllberg im „Sandwich-System“ wuchs und wie die Bürger aus der Firnhaberau darunter litten, lesen Sie am kommenden Montag, 8. April.
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