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Müllberg-Serie (1): Der Augsburger Müllberg: Unter uns Abfall, vor uns die Alpen

Müllberg-Serie (1)

Der Augsburger Müllberg: Unter uns Abfall, vor uns die Alpen

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    Der Fernblick vom Augsburg-Gersthofer Müllberg ist bisweilen fantastisch. Mit dem Teleobjektiv oder dem Fernglas sind die Alpen ganz nah an die Stadtsilhouette heranholbar.
    Der Fernblick vom Augsburg-Gersthofer Müllberg ist bisweilen fantastisch. Mit dem Teleobjektiv oder dem Fernglas sind die Alpen ganz nah an die Stadtsilhouette heranholbar.

    Der Müllberg nördlich des Augsburger Stadtteils Firnhaberau und der Autobahn steht seit seiner teilweisen Eröffnung 2016 im Blickfeld. Tausende haben ihn seither bestiegen. Stillgelegte Deponien sind oft begehbar und bieten ungewöhnliche Rundum-Ausblicke. So ist es auch in Augsburg.

    Von der höchsten Kuppe des Müllbergs rund 50 Meter über der Lechebene erschließt sich eine weite Landschaft. Manchmal reicht der Blick bis zu den Alpen. Sie bilden bei Föhn eine fantastische Kulisse. Davor liegt die Skyline von Augsburg mit Hochhäusern, Hotelturm, Kirchtürmen und Kaminen. Windräder rotieren über der Hügellandschaft in allen Himmelsrichtungen. Im Nahbereich schaut man auf die Firnhaberauer Heide, die Autobahn und das Klärwerk. Gersthofen ist teils, der Flugplatz vollständig überblickbar. Der Lech ist nur mehr auf einem kurzen Abschnitt in der Ferne einsehbar. Ein Waldgürtel verhindert die Sicht aufs nahe Wehr und das Flussbett im Westen.

    Früher waren hier Lechauen

    Wo jetzt auf einem 42 Hektar großen umzäunten Areal – das entspricht der Größe von fast 60 Fußballfeldern – der Müllberg aufragt, lagen einst Lechauen. Landkarten aus dem 19. Jahrhundert verzeichnen eine breite Auenlandschaft im Norden Augsburgs. Die linksseitigen Lechauen bei Gersthofen waren schon kurz vor 1900 durch den Bau eines Kraftwerkskanals, eines Wasserkraftwerks und einer Fabrik der Hoechster Farbwerke verschwunden. Das Stauwehr zur Wasserableitung aus dem Lech war im Februar 1896 genehmigt worden. Es erfüllt diese Funktion noch immer.

    Auf der altbayerischen Seite des Lechs waren die Auen nach dem Lechhauser Griesle-Park um 1900 etwa einen Kilometer weit lechabwärts in Wiesen und Felder umgewandelt. In diesem Bereich befinden sich jetzt die Sportanlage der TSG Augsburg, die 1947 entstandene Kleingartenanlage „Griesle“ und der Rodelberg. Ein in den 1960er Jahren gestalteter Landschaftspark schließt sich an.

    Ursprünglich waren dies unkultivierte Lechauen, wie sie sich nach der Regulierung und Tieferlegung des Lechs ab den 1850er Jahren entwickelt hatten. Es war kiesiges unebenes Gelände mit ausgetrockneten Lecharmen und Gumpen. Auf Trockenrasenflächen mit vielfältiger Flora hatten sich Pappeln, Erlen, Sanddornbüsche, Birken, Krüppelfichten, Weiden, Schneeball- und Weißdornsträucher sowie Tamarisken angesiedelt.

    Ab 1921 entstand in den Lechauen die Arbeitersiedlung Firnhaberau. Sie ist nach dem einstigen Vorstand der Augsburger Kammgarn-Spinnerei (AKS), Friedrich Gustav Firnhaber (1823-1887), benannt. Er hatte 1883 einen Teil der Lechauen als Jagdgebiet erworben. Nach dem Tod seiner Witwe 1904 gingen die einst wildreichen Auen als Stiftung in den Besitz der Stadt Augsburg über. Diese stellte einer Baugenossenschaft 28 Hektar auf Erbpacht zur Verfügung. Die Baugenossenschaft war im Juli 1920 von 36 Siedlungswilligen gegründet worden.

    Die Ursiedler schafften es

    Um das Gelände zu erhalten, aufteilen und bebauen zu dürfen, mussten die Ursiedler gegenüber der Stadt den Verzicht auf eine städtische Wasserleitung, auf Abwasserkanäle und Stromanschlüsse, auf Straßen und eine Schule erklären. Das Siedlungsprojekt schien der Stadt offenbar als zu utopisch und zum Scheitern verurteilt. Doch der Arbeitswille der fast mittellosen Erstsiedler-Familien war unterschätzt worden: Sie schafften es.

    1921 mussten die Ursiedler in der Firnhaberau die Lechauen erst roden, ehe sie bauen konnten. Eine Bauhütte und eine Schmiede waren die ersten „Bauwerke“. Fotograf war Siedler Hermann Vieth.
    1921 mussten die Ursiedler in der Firnhaberau die Lechauen erst roden, ehe sie bauen konnten. Eine Bauhütte und eine Schmiede waren die ersten „Bauwerke“. Fotograf war Siedler Hermann Vieth.

    In „Sibirien“, so nannten die Lechhauser die unwirtliche Gegend, erfolgte am 13. März 1921 der erste Spatenstich zum Hausbau. Zuvor mussten die Siedler in Gemeinschaftsarbeit roden, Wege anlegen, Brunnen schlagen. Wie Fotos des Ursiedlers Hermann Vieth beweisen, legten dabei auch Frauen und Kinder Hand an. Eine abenteuerlich anmutende Bauhütte mit Kantine und eine Freiluftschmiede waren die ersten „Bauten“ im späteren Siedlungszentrum. Am 1. Juli 1921 konnte das erste Doppelhaus bezogen werden. Staat und Stadt gaben nun Zuschüsse, sodass zügig Haus um Haus, Straßenzug um Straßenzug folgten. „Aus ödem Verhau wuchs Bau um Bau unsere Heimat, die Firnhaberau“ heißt es im Festlied zum 75. Jubiläum der Siedlung. Die Reste dieses „öden Verhaus“ sind heute als Biotop geschützt.

    Nördlich der Firnhaberau begleitete in den 1920er und 1930er Jahren ein breiter ursprünglicher Auengürtel den Lech an seiner Ostseite flussabwärts. Die Auen wurden in Höhe von Gersthofen seit Alters in West-Ost-Richtung von einer einzigen Straße durchschnitten. Die auf der westlichen Lechseite liegende Gemeinde hatte an einer Furt eine Holzbrücke über den Lech geschlagen, damit Gersthofer Gemeindegründe in der Lechebene östlich des Lechs trockenen Fußes erreichbar waren. Es ist die täglich von rund 14000 Fahrzeugen befahrene „Gersthofer Straße“, die Gersthofen mit dem „Airport Augsburg“ und der Mühlhauser Straße verbindet.

    1936 wurde etwa 300 Meter nördlich der Bebauungsgrenze der Firnhaberau eine Schneise in diese Auen geschlagen: Die Autobahn samt einer Bogenbrücke über den Lech wurde gebaut, Eröffnung war am 8. Dezember 1938. Die inzwischen auf sechs Spuren samt Lärmschutz verbreiterte Trasse durchtrennt eine Rest-Auenlandschaft. Es ist die unter Naturschutz stehende, fast zehn Hektar große „Firnhaberauheide“ zwischen der Firnhaberau und dem Müllberg.

    Geheimplan in den 40er-Jahren

    Den Bereich des jetzigen Müllbergs dokumentiert eine 1940 gezeichnete großformatige Wandkarte. Es ist ein von Stadtplanern erstellter, verkehrstechnisch Jahrzehnte in die Zukunft gerichteter Entwicklungsplan. Er blieb bis zum Kriegsende geheim, jetzt verwahrt ihn das Architekturmuseum Schwaben. Der Plan zeigt großzügig geplante Umgehungsstraßen, nie verwirklichte Schienentrassen und sogar einen Hafen. Im Norden endet der Plan mit den Lechauen zwischen der Autobahn und der Gersthofer Straße. Dieser zur Stadt Augsburg gehörige Auenbereich wird 1940 als „Geschütztes Landschaftsgebiet“ bezeichnet. Diese Klassifizierung änderte sich ein paar Jahre später: Der Landschaftsschutz wurde aufgehoben und in einem Teil der Auen nördlich der Autobahn durfte Kies abgebaut werden. Das bedeutete die Totalvernichtung eines Biotops.

    Die Zerstörung der Lechauen setzte sich nördlich der Gersthofer Straße fort: Eine Auenfläche wurde zum Betriebs- und Lagergelände eines Bauunternehmens. Daran anschließend durfte später der 1969 gegründete TC Rot-Weiß Gersthofen eine Tennisanlage errichten. 13 Freiluftplätze und eine 1983 daran angeschlossene Tennishalle liegen seitdem im Naturschutzgebiet Lechauen.

    Ein Gersthofer Naturliebhaber und Botaniker rettete kurz vor Beginn der Mülldeponierung und 20 Jahre später bei der Rodung für die Tennisplätze Orchideen wie Frauenschuh, Ragwurz sowie andere Auengewächse. Er transferiertes sie in seinen Siedlergarten und schuf ihnen artgerechte Standorte. Die Nachfahren dieser Lechauenpflanzen blühen dort immer noch.

    Lesen Sie auch: Muss die Mülldeponie bald erweitert werden?

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