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Interaktive Grafiken: Mord und Totschlag: Als Augsburg eine brandgefährliche Stadt war

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Mord und Totschlag: Als Augsburg eine brandgefährliche Stadt war

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    Erstochen, erschlagen und erwürgt: In Augsburg und Umgebung wurden ab 1966 innerhalb von neun Jahren 14 Frauen getötet. Die Fälle sind bis heute ungeklärt.
    Erstochen, erschlagen und erwürgt: In Augsburg und Umgebung wurden ab 1966 innerhalb von neun Jahren 14 Frauen getötet. Die Fälle sind bis heute ungeklärt. Foto: AZ (Repro)

    Einmal, Ende der 1970er, geht es um zwei Schülerinnen, die in Augsburg per Anhalter weiterfahren wollen, und in das Auto eines Mannes steigen. Der Mann unterbricht die Fahrt irgendwann, bedroht die Mädchen mit einem Messer, fesselt sie. Eine der Schülerinnen erdrosselt er, die andere sperrt er in einen gesprengten Bunker, vermutlich, um sie später umzubringen. Doch das Mädchen kann sich befreien und überlebt.

    Es ist ein Szenario wie aus einem Horrorfilm, und in den damaligen Berichten der Polizei zur jährlichen Kriminalstatistik taucht der Fall auch unter dem Punkt "herausragende Ereignisse" auf. Heute ist der Fall im kollektiven Gedächtnis der Stadt allerdings nicht mehr präsent, was für viele Mordfälle und Verbrechen aus den vergangenen Jahrzehnten gilt. Und verständlich ist: Es wären wohl einfach zu viele, um sich als Gesellschaft an alle konkret zu erinnern. Wer sich heute mit erfahrenen und ehemaligen Polizisten aus Augsburg unterhält, kann den Eindruck bekommen, dass die Stadt und die Region früher, also in den 60er Jahren bis in die 90er hinein, gewalttätiger und unsicherer waren als heute.

    Dass damals wilde Zeiten in Augsburg und im Umland herrschten, in denen amerikanische Soldaten noch ein wichtiger Faktor waren, in denen es in den Kneipen praktisch jeden Abend zu Schlägereien kam, in denen auf Autodiebe noch geschossen wurde und in denen Polizisten ausschließlich zu Fuß auf Streife gingen. Immerhin stammt aus dieser Ära eine Serie bis heute ungeklärter Morde: 14 Frauen, die in und um Augsburg ab 1966 erstochen, erschlagen und erwürgt wurden, vor allem Prostituierte.

    Mord in Augsburg: Früher gab es mehr Fälle – bei weniger Einwohnern

    Es gibt viele brutale, auch absurde und aus heutiger Sicht manchmal schwer nachvollziehbare Anekdoten aus diesen Jahrzehnten, doch wer erfassen will, ob Augsburg damals wirklich gefährlicher war als heute, muss dazu auch einen Blick auf die Statistik werfen, auf die nackten Zahlen von Morden und Totschlägen etwa. Und die Statistik zeigt: Die Sache ist kompliziert. Wer sich die Zahlen ab 1964 anschaut, findet tatsächlich einige Jahre, in denen es in der Stadt deutlich mehr Kapitaldelikte gab als in den vergangenen fünf Jahren. 1969 und 1972 etwa gab es jeweils sechs Fälle, in denen Menschen im Stadtgebiet durch Mord und Totschlag ums Leben kamen, 1991 waren es 8, 1993 waren es 7. 

    Auch die Zahlen aus dem Augsburger Umland sind manchmal enorm hoch, sechs dieser Fälle pro Jahr im Landkreis scheinen phasenweise keine Ausnahme zu sein. Zum Vergleich: Zwischen 2015 bis 2019, innerhalb der letzten fünf Jahre also, notierte die Polizei in ihrer Statistik insgesamt nur drei Fälle von vollendetem Mord oder vollendetem Totschlag in Augsburg. Dabei ist die Stadt erheblich größer geworden, größer im Ausmaß, größer in der Einwohnerzahl. In den 60ern lebten fast ein Drittel weniger Menschen in Augsburg als heute, wo es rund 300.000 sind.

    Am 28. Oktober 2011 wurde im Siebentischwald der Polizist Mathias Vieth erschossen. Als der Tag anbrach, sicherten Polizeibeamte das Stauwehr Hochablass am Augsburger Kuhsee.
    Am 28. Oktober 2011 wurde im Siebentischwald der Polizist Mathias Vieth erschossen. Als der Tag anbrach, sicherten Polizeibeamte das Stauwehr Hochablass am Augsburger Kuhsee. Foto: Ruth Plössel (Archiv)

    Doch ein genauerer Blick auf die Zahlen relativiert die Angelegenheit, zumindest etwas. Denn mag die Zahl der vollendeten Tötungsdelikte in der jüngeren Vergangenheit für eine Großstadt beachtlich niedrig gewesen sein – die Zahl der Versuche war es weniger. 2019 gab es laut Polizeistatistik beispielsweise zusammengenommen zehn Fälle von Mord und Totschlag in Augsburg, was auch im Vergleich zu früheren Jahrzehnten nicht beeindruckend niedrig ist. Nur dass neun davon eben Versuche blieben, die Opfer also überlebten. Dass Menschen in Augsburg heute seltener durch brutale Verbrechen ums Leben kommen, liegt daher vermutlich auch an deutlich verbesserter medizinischer Versorgung. So sagte der frühere Chef des Kommissariat 1 der Kriminalpolizei Augsburg, Helmut Sporer, unserer Redaktion einmal, es können "immer mehr Schwerstverletzte gerettet werden".

    Kriminalstatistik in Augsburg: Wer Zahlen will, muss in die Archive gehen

    Hinzu kommt: Man muss nicht in die 60er oder 70er Jahre schauen, um in Augsburg eine Fülle von brutalen Morden zu entdecken, auch in jüngerer Vergangenheit war die Zahl der Kapitaldelikte teils hoch. 2012 starben bei sieben Mord- oder Totschlagsfällen in Augsburg Menschen, 2014 waren es fünf. Und längst nicht jedes Jahr in den frühere Jahrzehnten war durch viele Schwerverbrechen geprägt. So hieß es in einem Bericht unserer Redaktion über das Jahr 1977 in Augsburg, es habe zwar "14 Tötungsdelikte" gegeben, doch auch "ein Novum in der Kriminalitätsstatistik: Im vergangenen Jahr mussten die Beamten keinen einzigen Mord klären“.

    Man könnte übrigens glauben, dass derartige Zahlen bei einer zentralen Behörde gespeichert werden, schon um langfristige Vergleichbarkeit zu gewährleisten, doch dem ist nicht so. Auch sind offenbar nicht alle Jahresberichte der früheren Polizeidirektion Augsburg erhalten geblieben, in denen manches zu finden wäre. Die Polizei hat heute die Statistiken zu Mord und Totschlag in Augsburg seit 1990 in ihrem System. Wer Zahlen aus früheren Jahren sucht, muss sich in die Archive begeben, doch auch dann bleiben Lücken. Es gibt Daten, die sich in Unterlagen des LKA befinden, die im Hauptstaatsarchiv in München gelagert sind. Andere Statistiken befinden sich im Staatsarchiv in Augsburg, wiederum andere beim Bayerischen Landesamt für Statistik, manches geht aus Berichten hervor, die im Archiv unserer Redaktion oder im Privatarchiv unseres langjährigen Polizeireporters Klaus Utzni zu finden sind.

    Vielfach sind aus früheren Jahrzehnten nur noch Daten der allgemeinen "Tötungsdelikte" erhalten, was eine Vergleichbarkeit schwierig macht, weil darunter nicht nur Mord und Totschlag fallen, die zumeist aber den Großteil dieser Delikte ausmachen, sondern etwa auch fahrlässige Tötungen und Abtreibungen. Es bleibt zuweilen eine statistische Unschärfe. Hinzu kommt, dass Mehrfachmorde eines Täters in der Polizeistatistik als ein Fall notiert werden und die Taten offenbar auch nicht immer im Jahr ihres Geschehens eingeflossen sind.

    Mord und Totschlag: Darum war Augsburg so gefährlich

    Dennoch lässt sich aus den Zahlen eine Tendenz ziehen: dass es in Stadt und Region Augsburg in früheren Jahrzehnten tatsächlich eher gefährlicher und brutaler zuging als in jüngerer Vergangenheit und der Gegenwart. Manches lässt sich auch anhand der Archivberichte der Polizei zu den Statistiken erahnen, an der alltäglichen Schilderung von brutalsten Verbrechen, die heute tagelang die Schlagzeilen bestimmten würden, anhand der Sprache. Mal ist von einem "Mord im Türkenmilieu" die Rede, ein anderes Mal heißt es knapp über einen Mann, der seine Stieftochter vergewaltigte und ermordete: "Am 28. Dezember erhängte sich der Unhold in seiner Zelle."

    Und anhand der Delikte selbst. Noch so ein Fall, der aus dem kollektiven Gedächtnis Schwabens verschwunden und im damaligen Jahresbericht der Polizei in Augsburg unter "herausragende Ereignisse" notiert ist: Im Oktober 1979 tauchte vor dem Privathaus des Leiters der Baurechtsabteilung des Landratsamtes Günzburg ein mit einem Sturmgewehr bewaffneter Mann auf. Er schoss durch ein Fenster des Gebäudes und traf den Beamten mit 14 Kugeln, er muss ihn regelrecht durchsiebt habe. Eine Tat, die aneinen politischen Anschlag, an Terror erinnert. Doch der Grund war ein anderer,wie aus dem Jahresbericht des damaligen Polizeipräsidiums Schwaben hervorgeht. Täter war ein 55-jähriger Landwirt, dem ein geplantes Bauvorhaben nicht genehmigt worden war.

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