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Prozess in Augsburg: Mann tötet 15-Jährigen in Augsburger Asylheim: War es ein Ehrenmord?

Prozess in Augsburg

Mann tötet 15-Jährigen in Augsburger Asylheim: War es ein Ehrenmord?

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    In einem Asylbewerberheim in Göggingen wurde im April ein 15-Jähriger ermordet. Nun steht der Schwager des Getöteten vor dem Landgericht Augsburg.
    In einem Asylbewerberheim in Göggingen wurde im April ein 15-Jähriger ermordet. Nun steht der Schwager des Getöteten vor dem Landgericht Augsburg. Foto: Stefan Puchner

    Als Nabi S. den Gerichtssaal betritt und die Fotografen auf ihre Auslöser drücken, versteckt er rasch sein Gesicht hinter Unterlagen. Seit Montag steht der 30 Jahre alte Afghane vor dem Augsburger Landgericht. Der Vater eines kleinen Sohnes muss sich wegen Mordes an seinem 15 Jahre alten Schwager und wegen vierfachem Mordversuchs verantworten. Der Mann soll, laut Anklage der Staatsanwaltschaft, vorgehabt haben, nicht nur seine afghanische Ehefrau, sondern auch deren Familie zu töten. Grund war die Trennung der Frau, die in der Ehe offenbar ein jahrelanges Martyrium durchstehen musste. Am 4. April dieses Jahres richtete S. in der Asyleinrichtung Haus Noah in Göggingen mit einem Küchenmesser ein Blutbad an.

    Rechtsanwalt Jörg Seubert (rechts) vertritt den Angeklagten. Der hat ein Teilgeständnis abgelegt, bestreitet aber, dass er jemanden töten wollte.
    Rechtsanwalt Jörg Seubert (rechts) vertritt den Angeklagten. Der hat ein Teilgeständnis abgelegt, bestreitet aber, dass er jemanden töten wollte. Foto: Stefan Puchner

    Der 23 Jahre alten Frau fällt es anfangs schwer auszusagen. Die Angst vor ihrem Mann ist offenkundig, er sitzt nur drei Meter entfernt auf der Anklagebank. Ihre Anwältin Marion Zech beruhigt sie, dass schließlich auch die Polizei im Saal sei. Die Afghanin wurde mit Nabi S. verheiratet, als sie erst zwölf Jahre alt war. Laut dem Angeklagten sei das in ihrem Kulturkreis Gang und Gäbe. Die Eheschließung fand im Iran statt, wo S. und seine Familie schon seit Jahren lebten. Beide Familien waren offenbar entfernt miteinander verwandt. Wie der Angeklagte (Verteidiger: Jörg Seubert) schildert, habe sich damals seine Frau in ihn verliebt, obwohl er sie dafür noch zu jung hielt. Doch die Ehe wurde geschlossen. Er habe aber noch drei bis vier Jahre bis zum ersten Sex gewartet. Das stellt die Zeugin anders dar, für die - wie für den Angeklagten auch - ein Dolmetscher übersetzt.

    Prozess in Augsburg: Angeklagter sagt, er habe für seine Braut 4500 Euro gezahlt

    Ihr Mann habe um ihre Hand angehalten. "Ich war doch noch ein Kind." Der Angeklagte hatte ihren Eltern offenbar eine sogenannte Morgengabe von 4500 Euro für sie gezahlt. Das berichtet dieser selbst der Vorsitzenden Richterin Sabine Konnerth. Schon sechs Monate nach der Eheschließung habe sie mit dem damals 19-Jährigen schlafen müssen, so die Zeugin weiter. Ab da begann für das Mädchen offenbar ein jahrelanges Martyrium. Immer wieder habe ihr Mann sie geschlagen. Meist mit der Hand oder Faust, aber auch mit Kabel, Gürtel oder einem Wasserschlauch. Er muss unfassbar eifersüchtig gewesen sein. Sogar auf einen Zehnjährigen, mit dem sich seine Frau mal unterhielt. Die Mutter eines fünfjährigen Sohnes berichtet von Gewalt und vielen Verboten. Als sie Asyl in Schweden suchten, habe sie keinen Sprachkurs besuchen dürfen. Später in Deutschland in einem

    Staatsanwalt im Prozess um Mord in Augsburg: "Er war von Eifersucht getrieben"

    Nabi S. bezeichnet vor Gericht die Beziehung zu seiner Frau als gut. Doch auch die Anklage der Staatsanwaltschaft hört sich anders an. "Der Angeklagte war von Beginn der Beziehung an von unbegründeter Eifersucht getrieben", sagt Staatsanwalt Michael Nißl. Im November 2019 eskalierte dann die Situation. In der gemeinsamen Wohnung bei Starnberg kam es mal wieder zum Streit der Eheleute. Dabei soll der Angeklagte seine Frau mit dem Tod gedroht haben. Als die Polizei kam, soll er sich den Beamten gegenüber auch aggressiv verhalten haben.

    Nach diesem Vorfall nahm die 23-Jährige das gemeinsame Kind und verließ ihren Mann. Sie wollte die Scheidung. Rachegelüste und eine hasserfüllte Wut müssen sich in dem Verlassenen aufgebaut haben. Er soll den Entschluss gefasst haben, seine Frau, deren zwei Schwestern, den 15 Jahre alten Bruder und die Schwiegereltern zu töten. Sechs Leben wollte er offenbar vernichten. Dabei setzte er der Anklage zufolge Prioritäten. Neben der Tötung seiner Ehefrau soll ihm vor allem der Tod der verhassten Schwiegermutter und des 15-jährigen Bruders wichtig gewesen sein. Der Schwiegermutter gab er die Schuld an der Trennung.

    Bluttat in Augsburger Asylheim: War es ein Ehrenmord?

    Das Motiv, den Jugendlichen zu töten, war ungleich perfider. Laut Anklage wusste der 30-Jährige, dass nach den Wertvorstellungen der Familie seiner Frau der Teenager als einziger Sohn eine besondere Bedeutung hatte. Er soll kalkuliert haben, falls es ihm nicht gelänge, alle Familienmitglieder zu vernichten, zumindest den 15-Jährigen umzubringen. Nach der Vorstellung des Angeschuldigten von Ehre und Rache habe dessen Tod einen besonders hohen Wert. "Damit konnte und wollte er das Leben etwaiger überlebender Geschädigter mit emotionalem Schmerz füllen und deren Leben wenigstens unerträglich gestalten", wirft Staatsanwalt Nißl ihm vor.

    Mit einem 21,5 Zentimeter langen Küchenmesser im Rucksack suchte der Mann an jenem Apriltag die Familie, die im Haus Noah in Göggingen lebte, auf. Angeblich habe er sein Kind besuchen wollen. Seine Frau hielt sich mit Sohn in einer Nachbarwohnung auf, als ihr Mann das Blutbad anrichtete. Erst stach er, der Anklage zufolge, auf die Mutter ein - sie wurde in einer Notoperation gerettet- dann auf die weiteren Familienmitglieder. Als er offenbar dabei war, bei dem Vater einen tödlichen Halsschnitt anzusetzen, kam der 15-jährige Junge aus einem Zimmer, er hatte zuvor geschlafen. Der Angeklagte soll ihm das Messer mehrfach in den Rücken gerammt und einen doppelten Halsschnitt zugefügt haben. Der Junge starb noch vor Ort. Als die 23-Jährige diesen traumatischen Tag schildert, weint sie. Auch Nabi S. bricht in Tränen aus. Er schlägt sich die Hände vors Gesicht, fängt sich schnell wieder. Er wirkt zusehends unruhiger, unterbricht kurze Zeit später aufgebracht die Schilderungen seiner Frau. Mehrere Stimmen im Gerichtssaal schreien ihn regelrecht an: "Ruhe"!

    Angeklagter legt im Mordprozess ein Teilgeständnis ab

    Der Angeklagte legt am ersten Verhandlungstag ein Teilgeständnis ab. In einer Erklärung lässt er mitteilen, dass er den Tod des Jungen betrauere und bedauere. Demnach räumt der 30-Jährige ein, für den Tod des 15-Jährigen und die Verletzungen der anderen Familienmitglieder verantwortlich zu sein. Allerdings schilderte er das Geschehen so, dass die Verletzungen aus einem Tumult heraus entstanden seien. Er habe niemanden töten wollen. Nach der Tat soll er noch versucht haben, zu seiner Frau in die Nachbarwohnung einzudringen. Er scheiterte. Die Zeugin erinnert sich, wie er vor dem Fenster stand. "Er sagte kaltblütig, er habe meinen Bruder getötet." Für den Prozess sind sechs weitere Verhandlungstage geplant. Das Urteil wird voraussichtlich im Januar fallen.

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    Im Podcast berichtet der langjährige Polizeireporter Klaus Utzni über schwere Kriminalfälle in Augsburg:

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