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Lesetipp: Ein Augsburger berichtet vom Leben als Obdachloser

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Ein Augsburger berichtet vom Leben als Obdachloser

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    Markus ist 52 – und seit 2011 obdachlos. An diesem Tag hat er die Wärmestube des katholischen Sozialverbandes SKM in der Klinkertorstraße besucht.
    Markus ist 52 – und seit 2011 obdachlos. An diesem Tag hat er die Wärmestube des katholischen Sozialverbandes SKM in der Klinkertorstraße besucht. Foto: Silvio Wyszengrad

    Markus hat ein Konto und eine EC-Karte, was wichtig ist. Er braucht die Karte, um Geld abzuheben, wenn man welches da ist. Er braucht sie aber auch, um nachts in Bankfilialen zu kommen und sich dort aufzuwärmen. Oder zu schlafen. Markus, 52, ist obdachlos, er hat keine Wohnung; er schläft mal in einer kleinen Nische neben einer Tankstelle, mal in einem Park, mal bei Freunden, mal in einer Bankfiliale. Wo es halt geht. Er ist nicht der einzige Mensch, der in Augsburg auf der Straße lebt, wobei niemand genau weiß, wie viele Obdachlose es tatsächlich in der Stadt gibt. Knapp 300 Menschen, so viel zumindest ist klar, kommen aktuell in städtischen Einrichtungen unter.

    Die meisten Obdachlosen in Augsburg sind Männer

    Das sind mehr als vor gut einem Jahr, damals lag diese Zahl bei 223, fünf Jahre zuvor wiederum bei 200. Es gibt auch keine amtliche Statistik über die Zahl der Obdachlosen in Deutschland, doch viele Fachleute gehen davon aus, dass sie steigt. In Augsburg scheint es nicht anders zu sein. Die meisten Obdachlosen sind Männer, doch es gibt auch Frauen, die auf der Straße leben oder in dem seit 2018 bestehenden „Übergangswohnheim“ der Stadt für Frauen in Pfersee unterkommen. 24 Frauen wohnen dort nach Auskunft von Sozialreferent Stefan Kiefer (SPD) derzeit. Dass Obdachlosigkeit nicht nur ein Thema ist, das alleinstehende Menschen betrifft, zeigt eine andere Zahl: 188 Personen sind aktuell in städtischen Wohnungen untergebracht, die speziell für obdachlose Familien gedacht sind, 60 solcher Wohnungen gibt es in Augsburg. Vor etwa einem Jahr waren es 145 Personen, die in diesen Obdachlosenwohnungen lebten.

    Das ist die Statistik, die noch nichts darüber sagt, wie die Menschen in die Situation gerieten und was sie mit ihnen macht. Projekte und Angebote für Obdachlose in der Stadt gibt es mehrere, ein Treffpunkt etwa ist die Wärmestube des katholischen Sozialverbandes SKM. An diesem Tag sitzen dort gut drei Dutzend Menschen in den Räumen, spielen Karten, essen etwas oder trinken Kaffee. Viele von ihnen wollen nicht mit der Presse sprechen. Markus, der draußen im Eingangsbereich steht und einen Rucksack mit seinen wichtigsten Habseligkeiten bei sich trägt, redet hingegen offen über seine Situation.

    Markus erzählt von mehreren Haftstrafen

    Wie er in die Obdachlosigkeit geriet? Er berichtet davon, seit 2011 so zu leben, seit einer Haftstrafe. „Da habe ich meine Wohnung verloren“, sagt er. Er zählt eine Reihe von Gründen auf, warum er in der Situation steckt. Er erzählt von mehreren Haftstrafen, auch davon, einmal „durch die Sauferei“ abgestürzt zu sein, von Therapien, und von seinem Tagesablauf. Er sagt, er lebe derzeit bei einem Kumpel und beziehe Arbeitslosengeld II, Hartz 4 also. Eigentlich sei er gelernter Kfz-Mechaniker. „Durch den Arbeitsmarkt habe ich aber keine Chance, in meinem Beruf zu arbeiten.“ Nicht in seinem Alter, nicht mit der Vorgeschichte. Er kann reflektiert über seine Situation sprechen. Die Resozialisierung im Gefängnis, sagt er, klappe oft nicht; es gebe zudem zu wenig sozialen Wohnungsbau. Eines wünscht er sich vor allem: eine Wohnung.

    Knut Bliesener, Sozialarbeiter beim SKM, sagt, er habe noch „nie so viele Leute“ gehabt, die händeringend nach Wohnraum suchen. Nach seinen Schätzungen gibt es in der Stadt gut 1000 Leute mit „ungesicherten Wohnverhältnissen“. Es geht um Menschen, die keine eigene Wohnung haben, aber vorübergehend bei Familie oder Bekannten unterkommen. Also nicht klassisch obdachlos sind, auch wenn der Übergang, wie bei Markus, fließend sein kann. Die Zahl wohnungsloser Personen könne von der Stadt nicht ermittelt werden, sagt Sozialreferent Kiefer. „Gleichwohl ist uns bewusst, dass hier mit Hilfen angesetzt werden muss, um Prävention gegen Obdachlosigkeit zu betreiben.“ Diesem Personenkreis stehe mit dem Wohnbüro ein neues Beratungsangebot zur Verfügung.

    Die Unterscheidung zwischen Wohnungs- und Obdachlosigkeit zeigt zugleich, wie vielfältig die Problematik ist. Einen „klassischen Obdachlosen“ gibt es nicht. Im Süden der Stadt, abseits üblicher Obdachlosentreffpunkte, lebt etwa eine Frau seit Monaten in ihrem Auto.

    Kältebus fährt durch Augsburg

    Im Winter kann es lebensgefährlich sein, keine Wohnung zu haben. Der SKM betreibt seit einigen Jahren einen Kältebus; Mitarbeiter fahren bei kalten Temperaturen zu Plätzen von Obdachlosen und versorgen sie, verteilen Decken und warme Getränke. Man schlage den Leuten oft auch vor, sie mitzunehmen, sagt Bliesener. Also zu einer städtischen Unterkunft zu bringen. „Aber es gibt immer wieder Leute, die sagen, ich will da bleiben, wo ich bin.“ Früher fuhren die Mitarbeiter des SKM ab minus fünf Grad mit dem Kältebus los, aktuell sind sie jeden Abend unterwegs, unabhängig von der exakten Temperatur.

    Markus sagt, er wisse tagsüber oft nicht, wo abends der Schlafplatz sein könne. Es sei auch nicht der erste Gedanke am Tag. Oft fahre er ein wenig mit „der Bimmel“ umher, überlege sich, wie und wo er etwas zu essen bekomme. Erst später beschäftige er sich mit der Frage, wo er in der Nacht schlafen könne.

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