Leicht war es auch in den Vorjahren nicht, mit Lukas Mayer einen Termin für ein Gespräch zu finden. Schule, Gesangs-, Schauspiel- und Tanzstunden bescherten dem jungen Mann einen Terminkalender, der anderen Teenagern fremd ist. Mittlerweile muss man sich fünf Stunden in den ICE setzen, um Lukas zu sehen. Seit 1. April studiert er an der Folkwang Universität der Künste in Essen im Fach Musical und hat damit nun endgültig seinen Weg in Richtung Bühnenlaufbahn eingeschlagen.
Gerade hat er eineinhalb Stunden schweißtreibendes Training bei Justo Moret, dem Dozenten für klassisches Ballett, hinter sich: Übungen an der Stange, Sprünge, klassische Ballettpositionen. „Auftritte sind ein ständiger Kampf mit dem Raum. Behauptet euch darin, erobert ihn euch, ihr seid starke Persönlichkeiten!“, gibt Justo Moret ihm und seinen Kommilitonen mit auf den Weg. Schnell muss Lukas dann heim in seine kleine Wohnung – duschen, kurz einen Happen essen, denn eine Stunde später beginnt die offene Songclass, wo er den Song „Lonely Town“ aus dem dem Musical „On the Town“ vorstellt. Mehrmals im Semester finden diese Präsentationen statt, in denen die Studenten vor ihren Kommilitonen und Dozenten zeigen, was sie erarbeitet haben. „Auch das Zuhören ist Pflicht“, erklärt Jürgen Grimme, Dozent für Musiktheorie und musikalische Praxis, „denn nur so können die Studenten ihre Urteilsfähigkeit schulen.“
Die Folkwang Uni liegt im Essener Stadtteil Werden, mit der S-Bahn zehn Minuten entfernt vom Essener Stadtzentrum. „Hier ist es ein bisschen heimeliger als in Essen selbst“, stellt Lukas fest, als er den Besuch durch seine neue Heimat führt, einen Ortskern mit kleinen Gassen und Fachwerkhäusern. Der Musicalstudiengang ist in einer alten Mühle direkt an der Ruhr untergebracht. Der eigentliche Campus der Universität ist eine ehemalige Benediktiner-Abtei, ein paar Schritte entfernt. „Da ist das Pina-Bausch-Theater, da war die Finalrunde der Aufnahmeprüfung“, erzählt der 18-Jährige.
Im Februar dieses Jahres, als seine Klassenkameraden im Maria-Ward-Gymnasium sich in die Vorbereitungen für das anstehende Abitur stürzten, verbrachte er eine Woche in Essen-Werden und tanzte, sprach und sang vor – als einer unter über 250 Bewerbern. Von Tag zu Tag wurde die Runde kleiner, bis am Finaltag nur noch 20 junge Männer und Frauen übrig waren. Die saßen dann zum Schluss in einer Reihe und warteten darauf, dass ihr Name aufgerufen wurde. Fünf Namen musste Lukas hören, ehe ihm als Sechstem – und Letztem – gratuliert wurde zum Studienplatz. „Ich war so angespannt, ich konnte nur noch heulen, als ich zu meiner Familie hinausgegangen bin“, erinnert er sich. Seine Schwester und seine Mutter glaubten deshalb, dass er nicht bestanden habe. „Nur mein Papa hat es sofort verstanden.“ Und mit einem Lächeln fügt er noch hinzu: „Von meiner Familie werde ich schon immer gut unterstützt.“
Sechs Wochen ging er in Augsburg noch zur Schule, dann begann im April bereits das erste Semester an der Uni. Für die Termine der Abiturprüfungen fuhr er immer wieder zurück nach Hause. „Da bin ich schon an meine Grenzen gekommen“, gibt er zu, „aber ich wusste ja auch, wofür ich das auf mich nehme, nämlich für ein Studium, bei dem ich am Ende eine Berufsausbildung habe.“ Täglich hat er nun Unterricht, von morgens bis in die späten Abendstunden: klassisches Ballett, Jazztanz, Schauspiel, Gesang. „Man kommt auch an Punkte, an denen man sieht, dass nicht alles so klappt, wie man es gerne möchte“, sagt Lukas. „Ich habe in den letzten Monaten lernen müssen, damit umzugehen.“
Geholfen hat ihm dabei auch die individuelle Betreuung. Lukas’ Studienjahrgang besteht aus fünf weiteren Studentinnen und Studenten, ebenso viele sind es in jedem der drei höheren Jahrgänge. Vom anonymen Massenbetrieb vieler Unis ist hier nichts zu spüren, und Lukas bestätigt: „Wir haben eine sehr individuelle Betreuung und bekommen viel Feedback auf unsere Arbeit.“ Das ist es, was Lukas jetzt vor allem genießt: Endlich muss er keinem mehr erklären, wie ernst es ihm ist, professioneller Musicaldarsteller zu werden. „Ich habe das Gefühl, dass ich hier richtig bin“, fasst er dieses Gefühl in Worte.