Die Frau, die anruft, sagt, sie heiße „Bach“ mit Nachnamen. Manchmal behauptet Frau Bach, sie arbeite bei der Kriminalpolizei, manchmal im Streifendienst. Es gibt auch einen „Herrn Bach“, der sich ab und an telefonisch bei Senioren meldet, und einen „Herrn Münch“. Genauer: Holger Münch, das ist der Name des Chefs des Bundeskriminalamtes.
Wenn Frau Bach, Herr Bach, Herr Münch oder andere angebliche Polizisten am Telefon sind, klingt die Lage dramatisch. Eine Geschichte geht zum Beispiel so: Osteuropäische Einbrecher seien in Wohnungsnähe festgenommen worden, und wie es der Zufall wolle, hätten die Ermittler handschriftliche Notizen mit dem Namen der Angerufenen am Tatort gefunden. Das Bargeld, der Schmuck der Angerufenen: Alles sei in Gefahr. Außer, es werde der Polizei übergeben. Ein Beamter komme vorbei und bringe die Sachen in Sicherheit.
Diese Anrufer, die sich bei Senioren melden, sind keine echten Polizisten, sondern Betrüger. Kriminelle, die sich lediglich als Ermittler ausgeben und dabei perfide vorgehen, um an das Geld ihrer Opfer zu kommen. Teils verwenden die Täter als Legende die Namen echter Beamter örtlicher Reviere; das Telefon der Opfer zeigt auch Nummern wie „0821/110“ oder sogar die tatsächliche Durchwahl einer Polizeiinspektion an. Das täuscht; die Täter sitzen woanders, sie erwecken lediglich mithilfe eines Computerprogramms den Eindruck, von einem Polizei-Telefon aus anzurufen.
Seniorin verlor mehrere tausend Euro und Schmuck
Erst vor ein paar Wochen gab es wieder eine Welle solcher Anrufe in der Stadt. Eine Vielzahl von Senioren in Augsburg sowie im benachbarten Friedberg wurde an einem Tag von falschen Polizeibeamten kontaktiert. Die Täter setzten unter anderem eine 81-Jährige aus Augsburg über Stunden unter Druck und schüchterten die Seniorin derart ein, dass die Frau mehrere tausend Euro sowie Schmuck an einen unbekannten Geldabholer aushändigte. Kein Einzelfall. Manchmal überreichen die Opfer den Kriminellen fast ihr ganzes Vermögen.
Im vergangenen Jahr entstand durch Betrug von „falschen Bediensteten“ im Freistaat ein Schaden von elf Millionen Euro, wie das Landeskriminalamt mitteilt. Im Jahr zuvor waren es lediglich 3,5 Millionen Euro gewesen. In der Region erbeuteten die falschen Beamten 2017 rund eine halbe Million Euro. Abgeflaut sei das Phänomen seither nicht, sagt ein Augsburger Ermittler, im Gegenteil. Auch andere Betrugsmaschen, etwa der Enkeltrick, würden aktuell oft versucht. Alleine am Donnerstag dieser Woche, sagt Polizeisprecher Siegfried Hartmann, gab es 21 Enkeltricksversuche in der Region. Von einem „signifikanten Anstieg“ des altbekannten Phänomens in 2018 spricht auch das LKA.
Spiegel Online berichtete zuletzt, eine Analyse des LKA Nordrhein-Westfalen habe ergeben, dass im Fall der falschen Polizisten in Deutschland eine Tätergruppierung eine Großfamilie sei, die vor allem in Bremen, Berlin und Nordrhein-Westfalen ansässig ist. Mitglieder von Familienclans mit Wurzeln im Libanon fallen in diesen Bundesländern oft durch kriminelle Handlungen auf. Auch bei zuletzt in Augsburg verhandelten Prozessen spielte der Name einer solchen Familie eine Rolle. Ein 25-Jähriger aus Nordrhein-Westfalen, der bei der Masche als Geldabholer fungieren sollte, sagte aus, hinter dem Betrug stecke wohl ein solcher Clan. Drei weitere Männer, die im April vor dem Amtsgericht wegen ähnlicher Vorwürfe verurteilt wurden, kamen ebenfalls aus dem Ruhrgebiet und tragen die Namen zweier dort sehr bekannter libanesischer Großfamilien. Im Prozess hatten sie den Vorwürfen widersprochen. Nach dem Urteil gingen sie in Berufung; im September wird der Prozess vor dem Landgericht neu aufgerollt.
Die Büros „sitzen“ oft in der Türkei
Ein Augsburger Ermittler sagt, man habe Erkenntnisse, dass viele der Täter im Falle der falschen Polizisten in Deutschland straffällig geworden seien und sich in die Türkei abgesetzt hätten. Dort sollen auch die meisten Büros ihren Sitz haben, von denen die Anrufer aus operieren. In Izmir etwa, aber auch in Antalya und Ankara. Bei der Augsburger Polizei bearbeitet eine Ermittlungsgruppe der Dienststelle für Organisierte Kriminalität die Fälle falscher Polizisten zentral. Die Erzählungen der Täter am Telefon variierten, sagt ein Beamter der nicht genannt werden will, aus Sorge, dass die Kriminellen sonst seinen Namen verwenden könnten. Mal heiße es, Geld müsse in Sicherheit gebracht werden, mal gehe es darum, zu überprüfen, ob es sich beim Vermögen der Senioren um Falschgeld handelt. Bei anderen Betrugsmaschen beobachtet die Polizei, dass Opfer immer öfter dazu gebracht werden, Ausweise oder andere persönliche Dokumente zu kopieren und an die Täter zu verschicken – die damit möglicherweise Konten für kriminelle Geschäfte eröffnen. Er gehe davon aus, dass künftig auch die falschen Polizisten so agierten, sagt der Ermittler.
Die Polizei rät Betroffenen, sich beim Notruf 110 oder dem nächsten Polizeirevier rückzuversichern. Auch sollte man am Telefon nicht über persönliche oder finanzielle Verhältnisse Auskunft erteilen. Spätestens, wenn es seitens des Anrufers zu Bargeldforderungen kommt, sollte man misstrauisch werden – die richtige Polizei tut dies nicht. Wer auf seinem Telefon bei einem Anruf die „110“ sieht, kann sich sicher sein, dass es sich nicht um die echte Polizei handelt. Sie ruft niemanden von dieser Notrufnummer aus an.