Es klang gut, was der Bundesverkehrsminister im Oktober in Berlin vorstellte. Andreas Scheuer (CSU) verkündete große Pläne für die Zukunft des Bahnverkehrs. Das Schlagwort lautet „Deutschland-Takt“. Dahinter steht die Idee, Züge in einem festen Takt von 30 oder 60 Minuten fahren zu lassen. In jede Richtung, stets zu denselben Zeiten. Der Minister versprach: „Der Deutschland-Takt macht das Bahnfahren pünktlicher, schneller und die Anschlüsse direkter und verlässlicher.“ Das CSU-Parteiorgan Bayernkurier jubelte: „Scheuer revolutioniert den deutschen Bahnverkehr.“
Augsburg ist mit dabei – zumindest in den Plänen. Die Stadt soll im Fernverkehr Teil des Deutschland-Takts werden. Erste Entwürfe dafür, wie die Fahrpläne aussehen könnten, gibt es bereits. Für die Strecke zwischen Augsburg und Ulm ist eine Fahrtzeit von 30 Minuten vorgesehen. Mit dem ICE wäre man dann in nur einer Stunde in Stuttgart. Entsprechend schneller auch in Mannheim, Köln oder Frankfurt. Das klingt nach dem großen Wurf. Doch der CSU-Verkehrsminister in Berlin hat die Rechnung offenbar ohne seine Parteifreunde in der bayerischen Heimat gemacht. Augsburg droht aus dem Takt zu fallen, bevor die Pläne überhaupt konkret werden.
Auch der neue bayerische Verkehrsminister stellt sich quer
Führende Köpfe der schwäbischen CSU stellen sich quer. Sie lehnen rigoros einen Bahnausbau ab, der es ermöglicht, mit dem Zug von Augsburg nach Ulm in einer halben Stunde zu fahren. Der Bezirksvorsitzende Markus Ferber hat sich festgelegt: kein Neubau der Bahnstrecke, auch nicht in Teilen. Es bleibe nur ein Ausbau der bestehenden Trasse. So vertritt es auch der neue, aus dem Kreis Günzburg stammende bayerische Verkehrsminister Hans Reichhart (CSU). Dass sich auf der Bahnstrecke zwischen Ulm und Augsburg etwas tun muss, bezweifelt niemand. Nun soll es voran gehen. Die Bahn soll im Auftrag des Bundes Pläne erarbeiten. Geht es um die Frage, wie die Bahnstrecke aussehen soll, ist es aber vorbei mit der Einigkeit.
Es läuft auf einen Stadt-Land-Konflikt hinaus. Er spaltet nicht nur die CSU, sondern auch andere Parteien wie die Grünen. Den Augsburgern ist es wichtig, dass die Stadt im Fernverkehr am Puls der Zeit bleibt. Sie denken mit Schmerz daran, wie Augsburg schon auf der Nord-Süd-Achse durch den Bau der Schnellstrecke von München über Ingolstadt nach Nürnberg im Abseits gelandet ist. Den Politikern im restlichen Schwaben geht es um etwas ganz anderes. Für sie steht der Nahverkehr im Fokus. Sie wünschen sich ein drittes Gleis zwischen Dinkelscherben und Augsburg. Sie wollen, dass die teils maroden Bahnhöfe endlich erneuert werden. Sie fürchten einen teilweise Neubau der Bahnstrecke entlang der Autobahn A8 – weil Diskussionen mit Anliegern programmiert wären. In Günzburg geht zudem die Angst um, man könnte den Fernverkehrshalt verlieren.
Wer Bahnstrecken plant, muss in vielen Jahrzehnten denken
Die Befürworter der „kleinen Lösung“ argumentieren, ein Ausbau der bestehenden Bahnstrecke sei viel schneller umsetzbar. Alles andere dauere viel zu lang. Da ist was dran. Ein Ausbau wäre wohl schneller durchzusetzen. Widerstände dürften geringer ausfallen.
Aber: Wer Bahnstrecken plant, darf nicht kurzfristig denken. Es ist wie bei einen Förster. Was er jetzt bei seiner Arbeit im Wald richtig und oder falsch macht, spüren auch noch kommende Generationen. Bei Bahnprojekten muss man in vielen Jahrzehnten denken. Was gebaut wurde, ändert sich so schnell nicht mehr. Und Fakt ist nun mal: Mit einem reinen Ausbau der Bahnstrecke lässt sich die Fahrzeit nicht von heute über 40 auf die angepeilten 30 Minuten verkürzen.
Das sagen alle Experten, die sich bisher dazu geäußert haben. Auch der bekannte Bahnexperte Martin Vieregg hat das in einem Gutachten für den Verkehrsclub Deutschland so festgestellt. Der Berater hat unter anderem frühzeitig eine Kostenexplosion bei Stuttgart 21 vorhergesagt. Er sagt nun, man müsse beim Ausbau zwischen Augsburg und Ulm eine Fahrtzeit von 28 Minuten für den Fernverkehr erreichen, sonst wäre der gesamte Nutzen des Milliardenprojekts „nur marginal“. Das heißt: Augsburg läuft Gefahr, bei einem deutschlandweiten Zukunftsprojekt außen vor zu bleiben.
Auch das dritte Gleis, das derzeit alle bejubeln, bringt nicht die Erlösung
Das von der Politik versprochene dritte Gleis zwischen Augsburg und Dinkelscherben, das derzeit alle bejubeln, kann die Situation im Nahverkehr nur etwas entspannen – ohne ihn nachhaltig zu verbessern. Und der Fernverkehr wird nicht schneller. Das Ziel müsste sein: vier Gleise zwischen Augsburg und Ulm. So wie jetzt schon nach München. Das sieht man auch in Augsburg so. Wirtschaftsreferentin Eva Weber (CSU) sagt, auch mit dem dritten Gleis werde ein echter, S-Bahn-ähnlicher Nahverkehrstakt nicht in Gänze umsetzbar sein. Güterzüge, Nahverkehr und Fernverkehr werden sich weiter in die Quere kommen. Sie plädiert deshalb für vier Gleise in diesem Bereich.
Noch in diesem Monat wollen Bahn und Politik offiziell den Startschuss für die Planungen zum Bahnausbau geben. Jetzt schon rote Linien zu ziehen, wäre fatal. Ein Neubau der Trasse, zumindest in Teilen, muss eine Option sein. Wie dieser Neubau genau aussehen könnte, werden erst Planungen im Detail zeigen. Es stellen sich interessante Fragen: Würde eine Bahntrasse entlang der Autobahn die Anlieger wirklich so stark belasten, wie viele fürchten? Oder wäre es nicht sogar eine Chance, den Lärmschutz an der A8 für die geplagten Anwohner noch mal deutlich zu verbessern? Über all das muss man diskutieren. Das Wort „alternativlos“, das dürfte inzwischen jeder gelernt haben, sollte in der Politik ein Tabu sein.
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