Wo erreichen ich Sie denn gerade?
Leonore Sibeth: In Pokhara, der zweitgrößten Stadt Nepals. Wir sitzen im Garten unseres Guesthouses und schauen den Gleitschirmfliegern zu, die über der Stadt kreisen.
Dort ruhen Sie sich gerade von einer anspruchsvollen Wanderung aus: Sie haben den Thorung La Pass, auch Donnerpass genannt, bestiegen. Was war das für ein Erlebnis?
Sebastian Ohlert: Es war auf jeden Fall die längste und anstrengendste Wanderung meines Lebens. 17 Tage lang waren wir unterwegs und haben uns von 800 Metern Höhe bis auf 5416 Meter hochgearbeitet. Dabei waren wir ohne Träger und Guide unterwegs und haben unsere Rucksäcke selbst getragen. Als wir dann aber im strahlenden Sonnenschein oben auf dem Thorung La Pass standen, waren alle Strapazen vergessen und wir waren überglücklich, es geschafft zu haben.
Sibeth: Für mich war es tatsächlich schon das zweite Mal, dass ich auf dem Thorung La stand. 2007 war ich zum ersten Mal in Nepal und lief damals auch den Annapurna Circuit.
Inzwischen sind Sie seit einem Jahr unterwegs. Bei unserem letzten Interview (hier zum Nachlesen) waren Sie in Kirgistan. Welche Länder haben Sie seither bereist?
Ohlert: Von Kirgistan aus sind wir nach Kasachstan gereist, wo wir die Weltausstellung Expo besucht haben. Weiter ging es nach Westchina und von dort aus über den Karakorum Highway nach Pakistan. Hier haben wir einen Monat im bergigen Norden des Landes verbracht, bevor wir in die Hauptstadt Islamabad und nach Lahore weitergefahren sind. Unser nächstes Ziel war Indien, wo wir mit dem Zug einmal quer durchs Land reisten. Seit Ende Januar sind wir nun in Nepal und erkunden hier die Nationalparks und die Bergwelt.
Wo hat es Ihnen dabei besonders gefallen?
Ohlert: Sehr gut hat es mir in der kasachischen Stadt Almaty gefallen. Dort haben wir im Garten eines Hostels gezeltet. Almaty ist eine moderne Stadt und die Menschen haben uns sehr geholfen, als unsere Pässe nicht ankamen, die wir für die Beantragung des chinesischen und des pakistanischen Visums nach Deutschland geschickt hatten.
Sibeth: Ich habe unsere Tage in den indischen Städten Hyderabad und Bhimavaram als besonders schön in Erinnerung. In Hyderabad lernten wir bei einem Kulturfestival wahnsinnig viele spannende Menschen kennen, darunter das junge Künstlerpaar Swathi und Vijay. Die beiden luden uns kurz darauf zum hinduistischen Festival Sankranti ein, das wir mit ihnen bei ihrer Familie im ländlichen Ostindien feiern durften.
"Der Alltag einer mehrmonatigen Reise sieht oft anders aus"
Gab es auch Schreckensmomente?
Ohlert: Während unserer Wanderung im Annapurnagebirge haben wir oft in einfachen Unterkünften übernachtet. Ein Guesthouse hatte im Außenbereich eine neue, gasbetriebene Duschkabine installiert und ich war der erste Gast, der sie benutzen durfte. Leider hat die Dusche nicht richtig funktioniert und als ich mich gerade eingeseift hatte, fing plötzlich die ganze Duschkabine an zu brennen. Mir blieb nichts anderes übrig, als mich nackt ins Freie zu retten. Dort blickte ich in die entsetzten Gesichter der Angestellten, die das Feuer zum Glück schnell löschen konnten.
Sibeth: Bei der Anreise nach Pokhara mussten wir den Bus oft wechseln und unsere Rucksäcke umladen. Nachdem wir unser Gepäck im neuen Bus abgelegt hatten, fragten wir den Busbegleiter, ob noch Zeit wäre, um zur Toilette zu gehen. Als wir wenige Minuten später zurückkamen, war der Bus weg. Zum Glück passierte das in einem Busbahnhof und das Personal konnte die Handynummer des Fahrers ausfindig machen. Der Bus musste umdrehen.
In Ihrem Blog schreiben Sie, dass eine mehrmonatige Reise kein Urlaub ist. Wie meinen Sie das?
Sibeth: Urlaub ist für uns eine Auszeit von der täglichen Routine, die der Entspannung und dem Spaß gewidmet ist. Man fährt für zwei oder drei Wochen an einen schönen Ort und lässt es sich gut gehen, ohne dabei größere Verpflichtungen zu haben oder wichtige Dinge organisieren zu müssen. Der Alltag einer mehrmonatigen Reise sieht hingegen oft anders aus. Jeden Tag müssen wir schauen, wie wir von A nach B kommen, wo wir übernachten, was wir essen. Oft sitzen wir stundenlang in einem überfüllten und unbequemen Bus, kommen erst abends in einer für uns neuen Stadt an und müssen dort noch eine akzeptable Unterkunft suchen. Vielleicht ist das einzige Zimmer dann voller Moskitos und die Nachbarn feiern mit lauter Musik, während wir versuchen, auf steinharten Matratzen in den Schlaf zu finden.
Ab und zu gönnen Sie sich dann doch etwas Urlaub. Wo und wann haben Sie die Seele baumeln lassen?
Ohlert: Im Dezember haben wir für drei Wochen unser Zelt an einem wunderschönen Strand im indischen Goa aufgeschlagen und einfach mal nichts gemacht außer im Meer zu baden, gut zu essen und lange zu schlafen. Am Strand haben wir super liebe Menschen kennengelernt, die wie wir auf einer längeren Reise sind. Wir haben uns mit ihnen angefreundet und Weihnachten zusammen gefeiert. Es hat in dieser Zeit unglaublich gutgetan, unsere Akkus mal wieder aufzuladen und neue Energie zu tanken.
Sie reisen mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Was ist dabei die größte Herausforderung?
Ohlert: Die größte Herausforderung ist für mich die Langsamkeit, mit der viele öffentliche Verkehrsmittel unterwegs sind. Erst vor wenigen Tagen haben wir für eine Busfahrt von 130 Kilometern ganze neun Stunden gebraucht – reine Fahrzeit. Die Straßen in Nepal sind vielerorts in einem sehr schlechten Zustand und das Zeitverständnis ist ein ganz anderes als in Deutschland. Auch sind die meisten Menschen in Asien deutlich kleiner als ich und so habe ich oft Probleme, mich in die engen Sitzbänke der Busse zu quetschen.
"Ein festes Rückkehrdatum gibt es momentan nicht"
Eigentlich wollten Sie ein Jahr unterwegs sein. Nun befinden Sie sich schon über ein Jahr auf Weltreise.
Sibeth: Zu Beginn der Reise kam uns ein Jahr schon sehr lange vor. Doch als wir neun Monate unterwegs waren, merkten wir, dass ein Jahr doch auch ganz schön kurz sein kann. Es gibt noch so viel zu entdecken und so viele Länder, die wir gerne besuchen möchten. Daher haben wir unsere Reise auf unbestimmte Zeit verlängert, ein festes Rückkehrdatum gibt es momentan nicht.
Wie geht es jetzt weiter?
Sibeth: Von Nepal aus werden wir in ein paar Tagen weiter nach Tibet fahren und von dort aus mit dem Zug in den Osten Chinas reisen. Weiter geht es über Laos, Thailand und Malaysia bis nach Singapur, wo wir eine gute Freundin von mir besuchen wollen. Mitte des Jahres möchten wir dann auf einer anderen Route zurück nach China. Worauf ich mich ganz besonders freue: Ab Hongkong werden wir als Passagiere auf einem Containerschiff mitfahren und damit den Pazifik überqueren. Ein Traum von mir! In Mexiko gehen wir an Land und dann sind wir erstmals in Mittelamerika. Weiter wird noch nicht geplant.
Was hat Ihnen die Reise als Paar gebracht?
Ohlert: Wenn man über ein Jahr lang nonstop gemeinsam unterwegs ist, ist das natürlich eine intensive Zeit. Wir haben ein paar Monate gebraucht, um uns an die ständige Nähe zu gewöhnen, aber seitdem läuft es zum Glück richtig gut. Wir wissen, dass wir uns aufeinander verlassen können und kennen nun noch besser die Stärken und Schwächen des jeweils anderen.
Sibeth: Obwohl wir auch vor der Reise viel Zeit miteinander verbracht haben, hatten wir nicht zusammen gewohnt. So gab es am Anfang doch das ein oder andere zu klären. Aber mittlerweile sind wir ein eingespieltes Team, in dem jeder seine Parts hat: Sebastian kümmert sich um die Suche der Unterkünfte, hat unsere Finanzen im Blick und pflegt auch unsere Reisestatistik. Ich hingegen plane gerne die Reiseroute, komme mit den Menschen ins Gespräch und füttere unsere Instagram- und Facebookseite.
Was würden Sie Weltenbummlern raten, die heute losziehen?
Sibeth: Zieht einfach los, alles andere ergibt sich unterwegs! Außerdem ist es hilfreich, zu Hause so wenig offene Themen wie möglich zu haben, um die man sich von unterwegs aus kümmern muss. So hat man den Kopf frei und kann sich ganz auf die Reise einlassen.
Leonore Sibeth, 33, und Sebastian Ohlert, 34, haben sich Anfang März 2017 auf den Weg gemacht. Die beiden Wahl-Augsburger sind in der Nähe von Stuttgart aufgewachsen und des Berufs wegen in die Stadt an den Lech gezogen. Sibeth arbeitete als Bildungsreferentin in der Umweltstation, Ohlert war als Teamleiter bei MAN beschäftigt. Mit ihrer Auszeit wollten sie einmal dem Alltag entfliehen. Ihre Reise, bei der sie bewusst auf Flüge verzichten, können Interessierte online unter www.eins2frei.com verfolgen.