Die Sache sei eine Zeitbombe, sagen manche in der Branche. Der Fall habe das Potenzial, die Busbranche und den Nahverkehr in der Region auf den Kopf zu stellen. Seit zwei Jahren ermittelt die Staatsanwaltschaft. Es gab Razzien, Ermittler zapften Telefone an. Nun geht es um die Frage, wie teuer die Sache für eine Reihe von großen schwäbischen Busfirmen werden könnte. Es geht um Arbeitsplätze. Und darum, welche Mitverantwortung die Politik trägt, die mit der Branche stets eng verbunden ist.
Es beginnt im Jahr 2006. Die Firmenzentrale der Regionalbus Augsburg GmbH – kurz RBA – ist ein dreistöckiger Zweckbau an der Eichleitnerstraße. Weiße Wände, rote Fenster. Seit etwa einem Jahr ist Max F.* zu diesem Zeitpunkt dort einer der beiden Geschäftsführer. Er war ranghoher Ministerialbeamter. Jetzt, nach der Pensionierung, führt er die RBA. Seine Rolle in dem Fall ist umstritten. Die große Mehrheit an der Firma halten knapp ein Dutzend Busunternehmer aus der Region. 2006 entsteht ein Dokument, das Juristen „Unrechtsvereinbarung“ nennen. Die an der RBA beteiligten Firmen verpflichten sich, sich beim Betrieb regionaler Buslinien keine Konkurrenz zu machen. Wer dagegen verstößt, soll 100.000 Euro Strafe bezahlen.
Zehn Jahre später, am 28. Juni 2016, fliegt das mutmaßliche Kartell auf. Ermittler durchsuchen die RBA-Zentrale in Augsburg. Auch die an der RBA beteiligten Busfirmen bekommen unangemeldet Besuch von Staatsanwaltschaft und Polizei. Die Beamten werden fündig. Sie stoßen unter anderem auf das brisante, zehn Jahre alte Dokument.
Kronzeugen haben bereits teuer bezahlt
Nun steht ein konkreter Verdacht im Raum. Gab es unter den RBA-Eignern Absprachen mit dem Ziel, Marktanteile und Gewinne nach oben zu schrauben? Wurde in diesem Kreis aufgeteilt, welche Busfirma für welche Linien beim Augsburger Verkehrsverbund (AVV) ein Angebot abgibt? Es geht im öffentlichen Nahverkehr um viel Geld, das zu verteilen ist. Es kommt vom Staat, der Verluste mit großen Summen ausgleicht. Und es kommt von den Fahrgästen, die das System mitbezahlen. Der Schaden, darüber wird in der Branche spekuliert, könnte in die Millionen gehen.
Das mutmaßliche Bus-Kartell ist zerbrochen. Nach Informationen unserer Redaktion haben zwei Busunternehmer mit den Ermittlern zusammengearbeitet. Nun dienen sie als Kronzeugen. Im Gegenzug wurden die Strafverfahren gegen vier Verantwortliche dieser beiden Firmen eingestellt. Das bestätigt ein Sprecher der Staatsanwaltschaft. Die Betroffenen haben dafür nach Recherchen unserer Redaktion einen hohen Preis bezahlt. Drei mussten als Auflage eine sechsstellige Summe bezahlen, bei einem war es sogar ein Millionenbetrag. Dafür haben sie nun strafrechtlich eine weiße Weste. Das ist wichtig, um weiter an öffentliche Aufträge zu kommen. Einer der reumütigen Unternehmer hat kürzlich eine lukrative Ausschreibung für Buslinien im Nordosten der Region Augsburg gewonnen.
Gegen 19 Personen ermittelt die Staatsanwaltschaft weiter. Wegen des Verdachts der Preisabsprachen bei Ausschreibungen – so lautet der Verdacht offiziell. Beschuldigt sind die weiteren an der RBA beteiligten Busunternehmer und die RBA-Geschäftsführer. Die beschuldigten Unternehmer sind teils auch Lokalpolitiker, Vorstandsmitglieder des Landesverbands der Omnibusbusunternehmer – und großzügige Parteispender. Eine Busfirma unterstützte etwa die CSU im Jahr 2013 mit 22.000 Euro. Das Bundeskartellamt sieht inzwischen das gesamte Firmenkonstrukt der Regionalbus Augsburg GmbH kritisch. Im Herbst fragte die Behörde an, ob man daran denke, das Unternehmen mit rund 300 Mitarbeitern aufzulösen. Man muss kein Kartell-Experte sein, um zu erkennen, weshalb die Struktur problematisch ist: Die wichtigen Busfirmen der Region sitzen alle in einer Firma, der RBA, die wiederum einen großen Anteil der Linien im Nahverkehr betreibt. „Natürlich schränkt das den Wettbewerb ein“, sagt ein Beteiligter.
Über viele Jahre hinweg vergab der Augsburger Verkehrsverbund die Aufträge für Regionalbuslinien direkt an die Busfirmen – ohne Ausschreibung. Das änderte sich Ende der 2000er Jahre. Heute schreibt der AVV alle Linien aus. Die Unternehmen bewerben sich und geben an, wie viel Geld sie von der öffentlichen Hand für den Betrieb benötigen. Gerechnet wird in Euro je Kilometer. Die Zahlungen lagen früher meist im Bereich von drei Euro pro Kilometer. Nun bieten es die Firmen oft für 2,50 Euro oder sogar noch weniger an. Jährlich fahren die Regionalbusse im AVV rund 15 Millionen Kilometer. Auch kleinere Preisschwankungen summieren sich so schnell zu Millionenbeträgen. Der Verdacht liegt nahe, dass über Jahre hinweg zu viel bezahlt worden ist. Jahrelang leisteten die Träger des AVV, das sind die Stadt Augsburg sowie die Kreise Augsburg, Aichach-Friedberg und Dillingen, Ausgleichszahlungen im Bereich von bis zu 12 Millionen Euro. Im Jahr 2016 sanken diese Zahlungen nun auf nur noch 4,3 Millionen.
Wer sich nicht ins System fügte, sollte rausfliegen
Um das System der Regionalbus Augsburg GmbH zu verstehen, muss man länger zurückblicken. Anfang der 1990er Jahre entscheidet die schwarz-gelbe Bundesregierung, die Bussparte der Bahn zu privatisieren. Staatsbetriebe gelten als schwerfällig und unwirtschaftlich. Mit Rückendeckung der Politik kaufen zehn örtliche Busunternehmer die regionale Bahnbusgesellschaft mit Sitz in Augsburg. Auch einige Kommunen steigen mit kleineren Anteilen ein. Schützenhilfe kommt vor allem von der CSU. Die Käufer zahlen nach Angaben des damaligen Verkehrsministers Otto Wiesheu (CSU) 2,5 Millionen Mark. Das ist verhältnismäßig wenig, doch der Staatsbetrieb ist finanziell ausgeblutet. Die Käufer müssen neues Kapital einzahlen. Aber es lohnt sich. Denn von da an sind die RBA-Besitzer die Platzhirsche. Wer als Busfirma nicht mit im Boot ist, muss sich als Subunternehmer andienen.
Es ist eine Zwei-Klassen-Gesellschaft. Dabei bleibt es lange. Ein nicht am Kartell beteiligter Busunternehmer hat den Ermittlern als Zeuge berichtet, dass er von der RBA per Brief aufgefordert worden sei, sich nicht eigenständig für Linien im Augsburger Verkehrsverbund zu bewerben. Sonst fliege er als Subunternehmer bei der RBA raus. In einem Gespräch hätten ihm das auch die RBA-Geschäftsführer gesagt.
RBA-Chef Max F. war als Ministerialbeamter in Bayern lange für Nahverkehr zuständig. Auch in den 1990er Jahren, als den privaten Busunternehmern der Einstieg bei der RBA ermöglicht wurde. Nach seiner Pensionierung war Max F. drei Jahre Chef einer halbstaatlichen Projektgesellschaft, die den Transrapid zum Münchner Flughafen planen sollte. Im Juli 2005 wechselte er zur RBA, ausgestattet mit einem sechsstelligen Jahresgehalt. Heute, mit 82 Jahren, arbeitet der umtriebige Geschäftsführer noch immer.
Zu den Vorwürfen will er sich nicht äußern. Die Ermittler sehen ihn als eine der Schlüsselfiguren. Allerdings: Auf der Kartellvereinbarung aus dem Jahr 2006 ist seine Unterschrift nicht zu finden. Es gibt den Verdacht, er habe das Dokument mit entworfen. Aber ob sich das beweisen lässt, wird sich wohl erst in einem Prozess zeigen. Die Ermittlungen sind so gut wie abgeschlossen. Derzeit haben die Anwälte der Beschuldigten die Möglichkeit, ihre Sicht der Dinge darzulegen. Wie zu hören ist, zweifeln sie an, dass es genug Beweise für konkrete Absprachen gibt. Die Staatsanwaltschaft wird demnächst entscheiden müssen, wie es weitergeht – und ob sie den Fall bei einem Gericht anklagt. Die Zeitbombe, von der sie in der Branche reden, tickt noch. *Name geändert