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Interview zur Kommunalwahl: Herr Schroeder, warum stellt die AfD einen Flüchtling als OB-Kandidaten auf?

Interview zur Kommunalwahl

Herr Schroeder, warum stellt die AfD einen Flüchtling als OB-Kandidaten auf?

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    Professor Wolfgang Schroeder lehrt Politikwissenschaften an der Universität Kassel und hat ein Buch über die AfD geschrieben.
    Professor Wolfgang Schroeder lehrt Politikwissenschaften an der Universität Kassel und hat ein Buch über die AfD geschrieben. Foto: David Ausserhoffer, WZB

    Herr Professor Schroeder, in Augsburg hat die AfD einen Oberbürgermeister-Kandidaten aufgestellt, der selbst als Flüchtling nach Deutschland kam. Wie passt das mit der Partei zusammen, die vor allem für ihre flüchtlingsfeindliche Politik bekannt ist?

    Wolfgang Schroeder: Weil die AfD darum weiß, dass ihre Politik als rassistisch wahrgenommen wird, ist sie durchaus motiviert, gezielt Menschen mit Migrationshintergrund in bestimmte Positionen zu bringen, wenn sie zu ihren Positionen passen. Deshalb muss man genau hinschauen. Was sind das für Menschen, die da mit Migrationshintergrund in Erscheinung treten? Dann stellt man meistens fest, dass es (Spät-)Aussiedler sind, die eine hohe Affinität zu den autoritären Weltbildern der AfD haben. Zum Beispiel kommt jemand aus Griechenland und war dort Mitglied der Partei "Die Morgenröte". Zieht man diese Positionen zusammen, dann wird die bisherige Selbstverharmlosungsstrategie der AfD um weitere Facetten bereichert aber nicht revidiert.

    Sehen diese Menschen darin keinen Widerspruch, wenn sie wissen: Sie selbst sind Zuwanderer, wollen jetzt aber Zuwanderung verhindern?

    Schroeder: Die Betroffenen pflegen ja in der Regel selbst ein eher autoritäres Weltbild, das von Abwertungen im Sinne der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit ausgeht. Dazu gehört durchaus auch das Denken in den Dimensionen von Rassen und Gruppen. Ein zweiter Punkt ist, dass diese Menschen noch etwas anderes verbindet: Sie akzeptieren die Grundlagen und Ziele der liberale Demokratie mit ihrem Gleichheitsgrundsatz nicht. Man kann wohl sagen, dass die AfD in diesem Sinne ein Sammellager gegen die liberale Moderne ist. Für die AfD ist dann die Herkunft eines Menschen vermutlich nicht mehr so zentral, sondern das gemeinsame Ziel, gegen die liberale Moderne vorzugehen. Denn diese wird als entartet, als dem Menschen wesensfremd und als nicht für das völkische Moment angemessen wahrgenommen.

    Bei den vergangenen Wahlen ließ sich beobachten, dass die AfD gerade bei Russlanddeutschen gut ankommt. Woran liegt das?

    Schroeder: Die Russlanddeutschen sind in den 80er, 90er Jahren durch massive Transfer- und Unterstützungsleistungen der Bundesregierung nach Deutschland geholt worden, auch mit dem Kalkül eine Unterstützergruppe für die CDU und CSU zu haben. Langezeit galt: Russlanddeutsche wählen Union, während die türkischstämmige Community die SPD präferierte. Irgendwann hat sich die Union aber gesellschaftlich für neue Familienbilder und für die multikulturelle Gesellschaft geöffnet. Durch diese Entwicklung ist der Bezug vieler Russlanddeutscher zur Union schwächer geworden und schließlich weggebrochen. Für sie war es dann relativ einfach, die AfD als einen Ansprechpartner wahrzunehmen. Dazu kommt, dass die AfD sehr russlandfreundlich und

    In Augsburg ist noch etwas anderes auffällig: 46 Prozent der Menschen, die in Augsburg leben, haben einen Migrationshintergrund. Guckt man sich die Listen an, die die Parteien zur Kommunalwahl aufgestellt haben, stellt man fest: Auf der Liste der AfD stehen 45 Prozent Menschen mit Migrationshintergrund. Keine andere Partei kann das überbieten. Wie kommt so etwas zustande?

    Schroeder: Das hängt sicher vom Zugang zu gewissen Milieus ab. Russlanddeutsche sind ein eher konsistentes Milieu, das auf eine Law-and-Orderpolitik und auf Russlandfreundlichkeit anspricht. Eine sichtbare Zahl von ihnen tritt als AfD-Unterstützer und AfD-Aktivisten auf. Die AfD hat in ihnen Kräfte gefunden, die ihr konservatives Familien- und Staatsbild mit allen Formen der Hierarchiegläubigkeit teilen. Dabei spielt auch eine Rolle, dass diese Kräfte die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit gegen islamische, jüdische, homosexuelle bis zu hin feministischen Positionen hochhalten.

    Das ist ja noch so etwas Sonderbares: Die AfD vertritt homophobe und antisemitische Ansichten. Aber die AfD-Spitzenpolitikerin Alice Weidel lebt offen homosexuell. Es gibt sogar eine Gruppe „Juden in der AfD“. Wie erklären Sie das?

    Schroeder: Selbst im historischen Nationalsozialismus gab es solche Paradoxien: Mit SA-Chef Ernst Röhm gab es einen mehr oder weniger offen homosexuellen Führungskader. Zugleich haben sie nach außen das Bild der heterosexuellen deutschen Familie propagiert und haben Homosexuelle verfolgt. Und übrigens: Alice Weidel präsentiert ihre Homosexualität nicht offen. Sie äußert sich dazu nicht öffentlich. Es weiß zwar jeder. Homosexuelle Beziehungen zu führen, ist aber kein offizieller Bestandteil der Ideologie des AfD-Spitzenpersonals. Dieser vermeintliche Zwiespalt lässt sich auch an einem weiteren Punkt beobachten: Nationalismus spielt eine sehr große Rolle innerhalb der AfD, gleichzeitig koordiniert sie sich international. Die reale  AfD ist schon ein nicht ganz einfach zu lösendes Rätsel, eine Paradoxie. Aber wenn man sich genauer mit ihr befasst, sieht man schon sehr deutlich wie die Dinge zusammenpassen. Es geht gegen das Establishment, gegen „die da draußen“, vor allem gegen Minderheiten und insgesamt gegen die freiheitlichen Errungenschaften der liberale Moderne.

    Zur Person: Wolfgang Schroeder ist Politikwissenschaftler, lehrt als Professor an der Universität Kassel und forscht am Wissenschaftzentrum in Berlin. Gerade ist sein Buch "Smarte Spalter. Die AfD zwischen Bewegung und Parlament" erschienen, das er zusammen mit Berhard Weßels herausgegeben hat.

    Alle Informationen zur Kommunalwahl 2020 finden Sie hier.

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