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Frau Trinkwalder, viele Augsburger Unternehmen stecken in der Krise, Jobs im Einzelhandel sind weggefallen. Wie nehmen Sie die Situation wahr?
Trinkwalder: Ehrlich gesagt bekam ich das zunächst nicht mit, da wir sehr viel Arbeit haben. Als dann die ersten ihre Jobs verloren und bei uns klingelten, wurde mir die Situation schnell bewusst. Es hat manche hart getroffen und ich helfe gerne. Bei uns arbeitete sogar ein Prokurist einer Eventfirma, der auf 100 Prozent Kurzarbeit in seinem Unternehmen war. Seit August geht es für ihn in seiner alten Firma weiter. Andere Solo-Sebstständige und Menschen aus dem Messebau und der Gastro konnten wir überbrückend beschäftigen oder haben sie dauerhaft eingestellt.
Auch Sie mussten Ihren Laden schließen, als Augsburgs Wirtschaft heruntergefahren wurde.
Trinkwalder: Ja, dort arbeiten zwei meiner Ladies. Die haben mir gesagt, Sina, wir haben Angst. Die haben beide Kinder zu Hause. Die hatten Angst, sich beim Kundenkontakt anzustecken. Für mich war das der Zeitpunkt: Wir machen zu. Eine Woche bevor Söder die Läden geschlossen hat.
Die mussten in Kurzarbeit?
Trinkwalder: Ich kann keine Menschen in Kurzarbeit schicken. Ich hab zu den beiden gesagt: Hey, wie können wir die Situation lösen? Ich kann keine Menschen in Kurzarbeit schicken, ich weiß doch, meine Ladies und Gentlemen brauchen die Kohle und auch die Gemeinschaft. Martina ist eigentlich Näherin, sie konnte problemlos wieder in die Produktion. Naheed hat geholfen, die Qualität der Ware zu kontrollieren. Bei Manomama kenne ich alle. Ich kenne deren Geschichten und Lebensumstände.
Manomama ist ein sogenanntes Sozialunternehmen. Wie überlebt ein Unternehmen in der Krise, das nicht nach konventionellen Kriterien arbeitet?
Trinkwalder: Vertrauen. Ich sage immer, dass ich Vertrauen verschenke. Klar, ich bin damit auch schon auf die Nase gefallen, aber in der Regel gilt Folgendes: Wenn ich Vertrauen verschenke, kommt es in Verantwortung zurück. Konkret: Ich kann zu meinen Ladies und Gentlemen gehen und sagen: Leute, gerade ist es eng. Sie rollen nicht mit den Augen, sondern wissen, ich sage die Wahrheit. Sie wissen, ich verarsche sie nicht. Und packen mit an.
Aber das kommunizieren andere Unternehmen doch auch.
Trinkwalder: Ja, doch seien wir ehrlich: Es gibt Unternehmen, die reden ständig von Krise. Die halten die Mitarbeiter in dem permanenten Glauben, bald könnte es vorbei sein. Doch den Unternehmen geht es gut. Wenn es den Unternehmen nun ernsthaft schlecht geht und es an die Existenz geht, dann rollen die Mitarbeiter mit den Augen. Sie glauben ihren Chefs nicht mehr. Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht…
Sie haben sehr flexibel reagiert auf die Krise. So eng ist es bei Ihnen gerade nicht, richtig?
Trinkwalder: Wir haben Erfolg mit unseren genähten Mund-Nasen-Abdeckungen und einem Schutzschal. Allein für Augsburg nähten wir 60.000. Insgesamt über eine Viertelmillion. Dann haben wir aufgehört. Weil es auch wieder normal weitergehen muss. Das ist wichtig für die Psyche.
Mussten Sie zusätzlich Arbeitskräfte einstellen, damit die Produktion hinterher kommt?
Trinkwalder: Wir haben das mit den Menschen bewältigt, die wir im Team haben. Ich stelle keine Leiharbeiter ein für einen kurzfristigen Zusatzumsatz. Klar könnte ich 30 Leiharbeiter einstellen und denen nach drei Monaten wieder kündigen. Ich müsste ihnen sagen, wir haben Arbeit nur gespielt. Mit Menschen spielt man nicht. Eine weitere Folge: Das entzweit ein Team. Das schafft kein Vertrauen. Auch der Trend im Einzelhandel ist bedenkenswert, dass dort statt vier Vollzeit- oder Teilzeitstellen ausschließlich Minijobber eingestellt werden. Das ist eine Sauerei. Der Mensch braucht Sinn, Sicherheit und Wertschätzung.
Sie beschäftigen keine Minijobber?
Trinkwalder: Doch, wir haben auch Minijobber bei Manomama. Das sind die Ladies, die die Rentengrenze erreicht haben und sich etwas dazuverdienen wollen.
Ist Manomama rentabel, machen Sie Gewinn?
Trinkwalder: Betriebswirtschaftlich sind Unternehmer wie ich, die als Ziel eine schwarze Null haben, Versager. Volkswirtschaftlich sind wir Spitzenkräfte. Wenn Sie ein soziales Arbeitsumfeld schaffen, dann müssen Sie sich Ineffizienz gönnen. Bei uns stehen vormittags viele Nähmaschinen unbelegt herum. Unsere Mitarbeiter können sich ihre Arbeitszeit flexibel einteilen. Deshalb braucht es eine größere Anzahl an Maschinen, um diesem Konzept Rechnung zu tragen. In einem konventionellen Unternehmen würde der Chef einen Herzinfarkt bekommen. Der würde nach dem Controller schreien. Wir haben keinen Controller.
Haben Sie in den letzten Monaten gedacht, dass Sie mit Ihrem Konzept scheitern könnten?
Trinkwalder: Nein, ich bin eine Unternehmerin. Ich löse gesellschaftliche Probleme. Da gibt es immer etwas zu tun. Es sind nun Probleme hinzugekommen, die ich lösen will. Auch wenn es wirtschaftlich eng ist, verschwindet diese Sicht auf die Welt nicht.
Gesellschaftliche Probleme lösen. Bei einem Unternehmer denkt man, sein Ziel sei es, Gewinn zu erwirtschaften, nicht gesellschaftliche und volkswirtschaftliche Probleme zu lösen.
Trinkwalder: Genau das ist das Problem unserer heutigen Wirtschaft. Wenn ich mir anschaue, was unzählige sogenannte Startup-Gründer die letzten Jahre gemacht haben, ist das nicht meine Wirtschaft: ausschließlich disruptive Geschäftsmodelle. Kurzum, mit fremden Geld Altes kaputtmachen, um sich dann ein Monopol zu sichern. Nehmen wir Uber oder AirBnB. Das hat eine ganze Generation von Gründern geprägt. Der andere Trend ist das wilde Kopieren bestehender Erfolge. Keine eigenen Ideen, keine eigenen Lösungen, sondern der vierzehnte Cookie-Teig zum Löffeln. Früher hatten wir ein Wort für solche Gründer: Copycats.
Würden Sie solche Unternehmensgründer als Unternehmer bezeichnen?
Trinkwalder: Nein, viele von ihnen wollen Internetmillionär sein und kein Unternehmer. Wenn Sie Unternehmer sind, dann planen Sie keinen Verkauf des Unternehmens. Sie möchten diesen bis zuletzt verhindern. Sie wollen das Unternehmen nicht nach drei Jahren mit enormen Gewinnen verkaufen. Sie wollen weiter gestalten. Sie wollen Verantwortung übernehmen für ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Sie müssen nicht den Investoren dienen, denn viele sind bis heute komplett eigenfinanziert. Sie wollen der Gesellschaft dienen. Das ist etwas ganz anderes.
Wie geht es diesen Gründern in der Krise?
Trinkwalder: Das sind diese Szene-Hipster, die als Erstes nach den Staatshilfen geschrien haben.
Weil Unternehmer auch gesellschaftliche Probleme lösen sollten?
Trinkwalder: Nicht auch. Es muss der Kern einer Unternehmung sein. Eine Firma, deren Zweck nicht ökologischer oder sozialer Problemlösung gewidmet ist, hat für mich kein Platz in einer fairen Wirtschaft. Als ich vor zehn Jahren Manomama gegründet habe, bin ich zum Arbeitsamt gegangen. Ich wollte, dass sie mir 30 Langzeiterwerbslose vermitteln. Jene standen vorher ja bei der Stadt auf der Payroll. Insofern: Volkswirtschaftlich gesehen sind wir das Regenbogen kotzende Einhorn. Aber verstehen Sie mich nicht falsch, meine anderen Unternehmen werden durchaus konventionell geführt. Deren Ziele ist es, andere Probleme zu lösen. Doch die Werte bleiben die gleichen: der respektvolle Umgang mit Mensch, Tier und Umwelt. Gerade starte ich zwei neue Ideen: Eine soll das Problem der Gastronomie lösen, das andere die Unmengen an Müll.
Zur Person: Sina Trinkwalder ist Sozialunternehmerin. Vor etwa zehn Jahren gründete sie das Augsburger Sozialunternehmen Manomama.
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