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Interview: Herr Gabriel, müssen wir Angst vor einem Krieg haben?

Interview

Herr Gabriel, müssen wir Angst vor einem Krieg haben?

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    Der deutsche Außenminister Sigmar Gabriel fürchtet, dass die Krise zwischen den USA und Nordkorea eskaliert.
    Der deutsche Außenminister Sigmar Gabriel fürchtet, dass die Krise zwischen den USA und Nordkorea eskaliert. Foto: Kay Nietfeld, dpa

    Herr Gabriel, müssen wir Angst vor einem Krieg haben? Der Krieg der Worte ist jedenfalls schon ausgebrochen zwischen den USA und Nordkorea.

    Sigmar Gabriel: Die Antwort darauf fällt mir schwer: Ich will Menschen nicht Angst machen, aber gleichzeitig auch nichts verharmlosen. Wir Europäer haben eine Erfahrung gemacht, die man nicht unterschätzen darf. Wir sind in den Ersten Weltkrieg, wie die Historiker sagen, wie die Schlafwandler gegangen, weil keiner mehr miteinander geredet hat, sondern in allen Ländern nur Kriegsgeschrei herrschte. Und am Ende landen Sie in einem Krieg, weil keiner mehr an Diplomatie und Gespräche denkt. Helmut Schmidt hat einmal gesagt: „100 Stunden reden ist besser als eine Minute schießen.“ Das muss auch jetzt die Linie sein. Was im Konflikt zwischen den USA und Nordkorea Sorgen machen muss, ist, dass diese Kriegsrhetorik immer stärker wird. Auf der anderen Seite gibt es auch beruhigende Signale. Ich finde die Strategie des amerikanischen Außenministers Rex Tillerson klug, der sagt, wir wollen eine atomfreie koreanische Halbinsel, aber keinen Regime-Wechsel. Deshalb würde ich auf Ihre Frage sagen: Aktuell gibt es die Sorge vor einem Krieg nicht. Aber manchmal passieren Dinge, die gar nicht beabsichtigt sind. Davor habe ich am meisten Angst.

    Sind Trumps Drohungen nicht nur Gerede?

    Gabriel: Ich nehme die Bemerkungen des amerikanischen Präsidenten ernst. Er sagt, „der Colt ist geladen und entsichert“ und „wir werden Feuer und Wut über die Welt bringen“. Gleichzeitig sagt der amerikanische Verteidigungsminister zu Recht: Ein Krieg würde so unvorstellbar viele Leben kosten, wie wir es seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr erlebt haben. Nordkorea hat genug auch konventionelle Waffen, um Seoul massiv anzugreifen. Deswegen sagen wir: Das ist die Stunde der Diplomatie und nicht des Kriegsgeschreis. Nicht nur wir Europäer, sondern noch viele andere auf der Welt haben diese Verpflichtung. Der Schlüssel zu einer politischen Lösung liegt in China und auch in Russland.

    Wie groß ist der Einfluss aus Peking und Moskau auf Pjöngjang?

    Gabriel: Er ist groß, aber nicht unbegrenzt. Die gesamte wirtschaftliche Entwicklung Nordkoreas hängt letztlich von China ab. Wenn die Chinesen und die Russen die Sanktionsbeschlüsse der Vereinten Nationen umsetzen, ist das für Nordkorea schon ein Riesenproblem.

    Wer kann Trump und Kim Jong Un überhaupt noch in den Arm fallen?

    Gabriel: Ich würde Donald Trump und Kim Jong Un nicht gleichsetzen. Die eigentliche Gefahr geht von Nordkoreas Diktator aus, der Atomwaffen entwickelt hat und damit droht, andere Länder anzugreifen, auch die USA. Da muss man schon aufpassen. Wer hat noch Einfluss? Das ist China. Aber auch die Europäer müssen Verantwortung übernehmen. Ich finde den Vorschlag von Martin Schulz, unserem SPD-Kanzlerkandidaten, gut: Es gibt ein Format, das schon einmal Erfolg hatte, als es darum ging, den Iran an einer Atombewaffnung zu hindern. Das waren die sogenannten EU 3+3: Europa, also Deutschland, Frankreich plus Großbritannien sowie USA, Russland und China. So ist es gelungen, einen Konflikt ohne Waffengewalt zu entschärfen.

    "Ich würde Donald Trump und Kim Jong Un nicht gleichsetzen", sagt Sigmar Gabriel.
    "Ich würde Donald Trump und Kim Jong Un nicht gleichsetzen", sagt Sigmar Gabriel. Foto: Rodong Sinmun/Yonhap, dpa

    Sie sagen, die Hauptgefahr geht von Pjöngjang aus. Trotzdem erschrecken viele Leute vor allem über die Wortwahl Trumps. Wie sehen Sie das?

    Gabriel: Mir geht’s genauso.

    Haben Sie noch Vertrauen in die amerikanische Politik?

    Gabriel: Das Problem an der amerikanischen Politik ist, dass sie sehr unterschiedliche Botschaften aussendet. Die harte Kriegsrhetorik des Präsidenten auf der einen Seite. Auf der anderen Seite die sehr rationalen und vernünftigen Vorschläge des Außenministers und des Verteidigungsministers. Man hofft immer, dass die sich durchsetzen. Aber im Umfeld von Donald Trump gibt es natürlich echte Ideologen und auch schlimme Leute. Und es ist für uns manchmal schwer, zu erkennen, wer am Ende das Sagen hat.

    Als Außenminister haben Sie Einblicke in die Weltlage, die uns vorenthalten bleiben. Sie haben zwei kleine Kinder. Können Sie da überhaupt noch ruhig schlafen?

    Gabriel: Ich muss Sie enttäuschen: Ich bin gar nicht so sicher, ob wir mehr wissen als Sie. Wir können vielleicht auf bessere Analyse-Instrumente zurückgreifen, direkte Gespräche führen. Aber dieses Problem der sich widersprechenden Haltungen in der amerikanischen Regierung ist auch für uns schwer einzuordnen.

    Aber braucht Deutschland nicht aufgrund der unberechenbarer werdenden Partner eine andere Außenpolitik?

    Gabriel: Aufrüstung ist ja nicht gleichzusetzen mit Außenpolitik, sondern das ist eine Militarisierung der Außenpolitik. Deswegen wird die Bundestagswahl auch über die Frage entscheiden: Wird es eine Militarisierung der Außenpolitik geben? Ich habe gar nichts dagegen, dass man die Bundeswehr modernisiert. Wir hatten einen Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, der ist mit der

    "Das Problem an der amerikanischen Politik ist, dass sie sehr unterschiedliche Botschaften aussendet", sagt Sigmar Gabriel.
    "Das Problem an der amerikanischen Politik ist, dass sie sehr unterschiedliche Botschaften aussendet", sagt Sigmar Gabriel. Foto: Nicholas Kamm, afp

    Die Beziehungen zur Türkei sind auf einem Tiefpunkt angelangt. Wie verlässlich ist die Zusammenarbeit mit diesem Nato-Partner?

    Gabriel: Die Nato hat die Türkei und Griechenland nicht einmal ausgeschlossen, als in beiden Ländern eine Militärdiktatur herrschte. Warum nicht? Weil man die Türkei nicht in die Arme von Russland, damals noch der Sowjetunion, treiben wollte. Trotzdem muss ich sagen: Unter Erdogan entfernt sich die Türkei dramatisch von unseren europäischen Wertvorstellungen. Deshalb ist es jetzt unsere Aufgabe, die liberalen Kräfte, die demokratischen Kräfte in der Türkei zu stärken und gleichzeitig klare Kante Haltung der Regierung zu zeigen. Präsident Erdogan bringt tausende Menschen in Haft, da ist offenbar jeder ein Terrorist, der anderer Meinung ist als er.

    Sie kommen gerade aus Afrika, waren unter anderem im Süd-Sudan. Droht uns die nächste Flüchtlingskrise?

    Gabriel: Diese Menschen flüchten von dort eher nach Uganda und in andere Nachbarstaaten. Eine Wiederholung der Flüchtlingskrise droht aber in der Tat, wenn wir Italien nicht schnellstens helfen. Das, was dort geschieht, ist eine Schande für die EU. Das ist auch meine Kritik an der Kanzlerin: Wenn wir nicht auf andere europäische Staaten zugehen und ihnen in ihrer Wirtschaftskrise helfen, werden die uns nicht helfen bei der Flüchtlingskrise. Das sind kommunizierende Röhren. Wenn wir andere hängen lassen und ihnen immer nur Vorschriften machen, werden die sagen: Seht zu, was ihr mit den Flüchtlingen macht.

    Was machen Sie eigentlich nach dem 24. September?

    Gabriel: Fragen Sie mich das noch mal am 25. September.

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