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Interview: Berichte über Straftäter: Schmaler Grat zwischen Neugier und Resozialisierung

Interview

Berichte über Straftäter: Schmaler Grat zwischen Neugier und Resozialisierung

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    Herr Meier, ein Artikel unserer Redaktion hat zuletzt für viel Kritik unter unseren Lesern gesorgt. Es ging darin um Linus Förster, einen früheren Landtagsabgeordneten, der wegen Sexualstraftaten verurteilt worden ist und die Strafe abgesessen hat. Können Sie die Reaktionen nachvollziehen?

    Klaus Meier: Nachvollziehen kann ich die Kritik nur zum Teil. Das Recht auf Resozialisierung gehört nicht nur zu den moralischen Grundprinzipien einer modernen Gesellschaft, sondern elementar zum christlichen Menschenbild. Es ist gut, wenn eine Zeitung das Thema aufgreift. Das geschieht sonst viel zu selten; es ist schon fast ein Tabuthema. Hier gab es den Anlass, dass mit einem ehemaligen Landtagsabgeordneten eine Person der Zeitgeschichte betroffen ist. Man hat über den Prozess umfangreich berichtet; es gehört dazu, an dem Fall dranzubleiben, und es bietet sich die Chance, über Resozialisierung zu reden. Den Umgang der Gesellschaft mit Resozialisierung und warum es wichtig ist, darüber öffentlich zu reden, hätte man in dem Artikel noch etwas vertiefen können.

    Wie gehen andere Presseorgane mit vergleichbaren Fällen um, gibt es da spezielle Kriterien?

    Klaus Meier: Es ist schon ein Sonderfall. Manchmal gibt es auch andere prominente Straftäter, die nach der Verbüßung ihrer Strafe wieder in die Öffentlichkeit zurückkehren, aber man muss da sicher unterscheiden zwischen den Arten von Straftaten. Wenn Menschen anderen Menschen unglaubliches Leid zugefügt haben, ist es schwieriger, das Thema aufzugreifen – wenn es um Straftaten geht, die zulasten der Allgemeinheit gehen, wie bei der Steuerhinterziehung von Uli Hoeneß, ist die Berichterstattung einfacher. Wir erleben solche Fälle in den Medien in der Regel ja ohnehin nur, wenn es um Personen der Zeitgeschichte geht, weil Medien Straftäter, die vorher nicht im Licht der Öffentlichkeit standen, nach ihrer Strafe auch nicht in die Öffentlichkeit zerren sollten. Wenn sich eine solche öffentliche Person aber bereit erklärt zu reden, ist das eine Chance, über das Thema Resozialisierung zu sprechen.

    Welche Regeln sollen Medienorgane beachten, wenn sie über Straftäter berichten, die ihre Strafe verbüßt haben?

    Klaus Meier: Wenn Boulevardmedien über entlassene Straftäter berichten, verbinden sie dies oft mit einer populistischen Forderung nach härteren Strafen: Ehemalige Straftäter werden in dicken Schlagzeilen gnadenlos erneut öffentlich verurteilt. Ein angemessener und ganzheitlicher Umgang mit Resozialisierung ist das nicht. Qualitätszeitungen wie die Augsburger Allgemeine tun sich schwer damit, das Thema an einzelnen Fällen zu veranschaulichen. Es gibt sogar Gerichtsurteile, die besagen, dass man frühere Artikel über den Prozess aus Online-Archiven löschen muss, um Menschen die Rückkehr in die Gesellschaft zu ermöglichen. Bei Menschen, die nicht prominent sind, sollte man vermeiden, nach der Verbüßung der Tat noch einmal identifizierend zu berichten. In anderen Fällen ist es eine Gratwanderung: Man sollte vermeiden, dass die Opfer die Taten durch die Berichterstattung noch einmal durchleben müssen. Und der Täter sollte als Mensch und nicht alleine als Täter im Mittelpunkt stehen. Man sollte ihn nicht erneut verurteilen, aber auch nicht versuchen, ihn reinzuwaschen, also die Taten zu entschuldigen oder zu rechtfertigen. Er hat die Tat verbüßt, er sollte eine Chance auf ein zweites Leben bekommen. Diese Gratwanderung wurde im Artikel gut vollzogen.

    Zur Person: Klaus Meier ist Journalistik-Professor und Experte für Medienethik an der Universität Eichstätt-Ingolstadt.

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