Startseite
Icon Pfeil nach unten
Augsburg
Icon Pfeil nach unten

Interview: Augsburgerin mit Long Covid: "Da denkt man: Du bist zu nichts zu gebrauchen"

Interview

Augsburgerin mit Long Covid: "Da denkt man: Du bist zu nichts zu gebrauchen"

    • |
    Joana Doderer steckte sich vor einem Jahr in der Uniklinik als Krankenschwester bei der Arbeit mit Corona an.
    Joana Doderer steckte sich vor einem Jahr in der Uniklinik als Krankenschwester bei der Arbeit mit Corona an. Foto: Silvio Wyszengrad

    Frau Doderer, Sie sind Krankenschwester und haben sich vor einem Jahr im Dienst mit Corona angesteckt. Sie können bis heute nicht arbeiten. Wie ist das damals passiert?
    JOANA DODERER: Ich arbeitete damals in der Anästhesie in der Universitätsklinik. Das heißt: Patienten und Patientinnen in die Narkose begleiten, sie währenddessen und nach der Operation im Aufwachraum betreuen. Ich habe mich bei einer Patientin im Aufwachraum angesteckt. Sie war laut Schnelltest negativ, im Nachhinein ergab ein PCR-Test ein positives Ergebnis. Das war zum damaligen Zeitpunkt aber nicht klar. Ich habe natürlich eine FFP2-Maske und eine chirurgische Maske übereinander getragen, auch für Patienten galt FFP2-Maskenpflicht. Aber manchmal müssen sich Patienten nach der Narkose erbrechen und können da keine Maske tragen. Ich stand der Patientin zur Seite. Das war im Nachtdienst, am Tag darauf bekam ich den Anruf, dass die Patientin positiv war.

    Wie ging es weiter?
    DODERER: Ein erster Test von mir und der ganzen Familie nach fünf Tagen fiel negativ aus. Aber ziemlich genau eine Woche danach wurde ich unwahrscheinlich müde, erschöpft, mir war schlecht. Also bin ich noch mal zum Testen gegangen, habe sofort alle Kontakte nach außen abgebrochen und mich auch in der Wohnung von meinem Mann und unserer Tochter komplett isoliert. Dieser Test fiel positiv aus. Dann entwickelten sich Husten, Brustschmerzen und Atemnot. Und es kamen starke Kopfschmerzen, Konzentrationsschwierigkeiten und Vergesslichkeit dazu, die auch länger blieben. Ich konnte kein Buch lesen, keinem Film folgen, Gespräche waren unwahrscheinlich anstrengend. Und ich wurde vergesslich. Ich weiß nicht, wie oft mir meine Familie manche Dinge via FaceTime-Anruf sagen musste. Ich war allein im Schlafzimmer. Das ist auch psychisch belastend. Ich musste manchmal weinen. Am schlimmsten war, dass ich manchmal nicht mehr wusste, was mir mein Kind am Vortag gesagt hat. Doch mein Mann und unsere Tochter haben sich nicht angesteckt, glücklicherweise. Sie war gerade in der ersten Klasse, mein Mann hat dann im Homeoffice gearbeitet – für seinen Beruf und als "Hilfslehrer" für unser Kind.

    Irgendwann haben Sie gemerkt: Das geht nicht wieder weg …
    DODERER: Das mit der Konzentration hat sich im Laufe der Wochen danach wieder gebessert. Aber die körperlichen Symptome blieben. Als die Quarantäne durchs Gesundheitsamt nach gut zwei Wochen aufgehoben wurde, bin ich wieder rausgegangen. Aber sobald ich mich irgendwie belastet habe, war ich schnell erschöpft. Schon den Müll rauszubringen war eine Anstrengung. Es wurde etwas besser, sodass ich Anfang Januar wieder angefangen habe zu arbeiten – fast zwei Monate nach der Infektion. Aber mit der Vollmontur mit FFP2-Maske, Mund-Nasen-Schutz und Face Shield war das sehr anstrengend. Da kommt einem der Gedanke: Du bist zu nichts zu gebrauchen. Nach der Arbeit musste ich stundenlang schlafen. Es hat sich dennoch weiter verbessert, bis im April ein Rückschlag kam. Ich war wieder mit Atemnot zu Hause. Irgendwie macht man aber dennoch weiter. Man denkt sich: Anderen geht es schlimmer. Faktisch habe ich mich von einem freien Tag zum nächsten freien Tag gekämpft.

    Verliert man da nicht irgendwann den Mut?
    DODERER: Ich bekam dann die Zusage für eine Reha, nachdem die Infektion endlich als Berufskrankheit anerkannt wurde. Da dachte ich mir: Du hältst jetzt durch und danach wird es gut. Ich war ab 14. Oktober vier Wochen in einer Reha-Einrichtung. Es hat was für den Kopf gebracht. Man kann sich eingestehen: Ich bin krank, ich bin nicht fit und muss mir Zeit geben. Auch normale Alltagsverrichtungen wie die Geschirrspülmaschine auszuräumen sind nach wie vor anstrengend.

    Wie ist Ihre Perspektive?
    DODERER: Ich kann aktuell nicht arbeiten. Es kann einem ja nach wie vor keiner sagen: Long Covid ist nach so und so vielen Monaten vorbei. Das macht schon auch was im Kopf mit einem. Es ist emotional belastend, aber ich komme inzwischen besser damit zurecht. Ich nehme mir Pausen, die ich brauche. Ich mache Krankengymnastik, Massagen, Ergotherapie, gehe in die Long-Covid-Ambulanz der Uniklinik. Für die Konzentration spiele ich Spiele wie Memory oder Brettspiele mit meiner Tochter. Man muss am Ball bleiben. Es heißt: "Die Zeit heilt alle Wunden." Bei

    Denken Sie manchmal: Warum musste es ausgerechnet mich treffen?
    DODERER: Ja, dieser Gedanke kommt schon. Wir waren im privaten Umfeld damals sehr vorsichtig, waren regelmäßig testen, trugen FFP2-Masken, meine Eltern habe ich monatelang nicht gesehen, um Risiken zu vermeiden. Aber ich mache meinen Beruf mit Leib und Seele. Ich denke oft an meine Kollegen und weiß, was sie momentan Großartiges leisten. Meine Oma war Krankenschwester, und anderen Menschen zu helfen liegt mir im Blut. Mein Ziel ist es, wieder im Beruf arbeiten zu können. Als Krankenschwester hat man ein höheres Risiko, mit manchen Keimen in Kontakt zu kommen, die eine Erkrankung auslösen können. Auch Erkrankungen, die vielleicht nie wieder weggehen. Da gibt es nicht nur Corona. Das ist ein Berufsrisiko, aber man könnte es im Fall von Corona minimieren, wenn alle mitmachen würden.

    Wie sehen Sie die momentane Lage?
    DODERER: Wenn jetzt Einschränkungen kommen, finde ich die persönlich auch nicht toll, aber ich verstehe sie und finde, dass sie Sinn machen. Wir selbst haben in unserer Familie vor vier Wochen wieder angefangen, Kontakte zu reduzieren, und haben sie inzwischen drastisch heruntergefahren. Einkaufen geht noch, die allerengste Familie treffen auch, sonst ist da nicht mehr viel. Wenn die Zahlen so hochgehen wie jetzt, ängstigt mich das. Was wäre, wenn ich mich noch mal infiziere? Ich wünsche das keinem, weder Geimpften noch Ungeimpften. Wenn es vor einem Jahr schon einen verfügbaren Impfstoff gegeben hätte, hätte ich mich sofort impfen lassen, egal ob das jetzt vier oder fünf Impfungen sind oder ob man sich jedes Jahr impfen lassen muss. Das hätte alles keine Rolle gespielt, wenn ich damit mir selbst, meinen Kollegen und der Allgemeinheit hätte helfen können.

    Zur Person

    Joana Doderer, 41, ist seit 2006 am Universitätsklinikum Augsburg und Fachkrankenschwester für Intensiv- und Anästhesiemedizin. Ihre Ausbildung absolvierte sie in Niedersachsen.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden