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Interview: Augsburgerin lebt seit Wochen im besetzten Dannenröder Forst

Interview

Augsburgerin lebt seit Wochen im besetzten Dannenröder Forst

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    Katharina Jung lebt seit Anfang Oktober im besetzten Dannenröder Forst.
    Katharina Jung lebt seit Anfang Oktober im besetzten Dannenröder Forst. Foto: Marcus Golejewski

    Frau Jung, wir erreichen Sie telefonisch. Wo sind Sie gerade?

    Katharina Jung: Ich lebe seit Anfang Oktober im Dannenröder Forst, einem über tausend Jahre alten Dauer-Mischwald in Hessen. Seit einem Jahr findet hier eine Waldbesetzung statt, um zu verhindern, dass die geplante Autobahn 49 dieses Ökosystem zerstört. Auf der Trasse durch den Dannenröder Forst, auf der ein Teil der A49 verlaufen soll, sind im vergangenen Jahr Baumhausdörfer entstanden, jedes total liebevoll gestaltet. In einem davon bin ich gerade.

    Wie müssen wir uns das vorstellen?

    Jung: Die Baumhäuser sind meist in alten Eichen und Buchen errichtet, in 15 bis 20 Metern Höhe. In den Bäumen tragen wir Klettergurte und sind an Seilen gesichert. Die Baumhäuser sind teilweise mit gespanntem Seil verbunden, wie im Kletterpark, da können Menschen von einem zum anderen balancieren. Die Philosophie hier ist, dass alles allen gehört. Wir haben keine festen Schlafplätze, sondern schlafen dort, wo es sich gerade anbietet. Im Küchenbaumhaus wird gekocht und musiziert. Es gibt Awareness-Orte, wo Menschen sich zurückziehen können oder ein offenes Ohr bekommen, um ihre Erfahrungen zu verarbeiten. Vor dem Wald gibt es ein Camp mit Unterstützungsinfrastruktur, da engagieren sich auch Bürger*innen der Region, die gegen den Autobahnbau sind. Es gibt auch WLAN. Viele der Demonstrant*innen studieren oder arbeiten aus dem Waldoffice.

    Sie leben jetzt seit sechs Wochen im Dannenröder Forst. Wie sieht Ihr Alltag dort aus?

    Jung: Jeden Abend gibt es Plenarsitzungen, in denen Verantwortlichkeiten für den nächsten Tag aufgeteilt werden – also Dinge wie Wasser holen, Essen kochen, spülen, Baumhäuser bauen und die Stellung halten. Wenn bestimmte Abschnitte im Wald geräumt werden, unterstützen wir die Menschen, die in den Bäumen sitzen, und versorgen sie mit Essen. Ich bringe mich auch häufig im Presseteam ein, mache Fotos, um mögliche Polizeigewalt sichtbar zu machen und ihr vorzubeugen. Was besonders ist und was mich auch selbst überrascht hat: Es gibt keinen Druck, bestimmte Aufgaben zu übernehmen oder besonders viel zu leisten, Eigeninitiative und persönliche Grenzen werden groß geschrieben. Neu war für mich auch, dass Care- und Reproduktionsarbeit in Dankbarkeitsrunden Wertschätzung erfährt und nicht nur von Frauen erledigt wird. Nicht nur heldenhafte Baumbesetzer*innen werden gesehen, sondern auch die, die abspülen und andere mal in den Arm nehmen. Die Waldbesetzung zeigt, wie ein Zusammenleben ohne Hierarchien, Konkurrenz, Wachstums- und Leistungsdrang möglich ist. Ein Leben mit viel zwischenmenschlicher Wärme und empathischem, schonendem Umgang mit der Natur.

    Aus welcher Motivation heraus wird den Dannenröder Forst besetzt – geht es tatsächlich nur um die Autobahn?

    Jung: Diese Art des Protests steht exemplarisch für sehr viele Dinge. Ich möchte hier zwei nennen, hinter denen ich besonders stehe. Erstens – Naturschutz: Unter dem Wald ist ein Wasserspeicher, die Erde filtert das Wasser und versorgt 500.000 Menschen in Mittelhessen mit Trinkwasser. Würde hier eine Autobahn durchführen, würde das ganze klimaresiliente Ökosystem kaputtgehen. Klimaresilient bedeutet, dass dieser Wald, im Gegensatz zu Fichtenmonokulturen und neu gepflanzten Mischwäldern auch unter Wetterextremen, wie wir sie jetzt schon erleben, bestehen kann. Ich habe enormen Respekt vor diesem Ökosystem, diesen Bäumen, die teilweise schon vor der Industrialisierung hier standen. Weil sich der Wald nicht selbst schützen kann, weil er selbst keine Stimme hat, ist es wichtig, dafür einzustehen.

    Und zweitens?

    Jung: Die Verkehrswende: Die Bundesregierung will bis zum Jahr 2030 850 Kilometer Autobahn neu bauen - in einer Zeit, in der sich Deutschland zum Klimaschutz verpflichtet. Aber um die Klimaziele zukünftig zu erreichen, müssen heute Entscheidungen getroffen werden. Je mehr Autobahnkilometer es gibt, desto größer ist der Klimaschaden. Wenn es keine Verbrennungsmotoren mehr gibt, so der dominante Diskurs, sei das Problem gelöst. Aber auch E-Motoren bedeuten Ressourcenverbrauch. Eine Verkehrswende ist etwas anderes als eine Antriebswende. Ich denke, eine Ökonomie der kurzen Wege wäre ein guter Ansatz. Deshalb unser Nein zur Autobahn.

    Zahlreiche Baumhäuser wurden auf der Trasse errichtet, auf der die geplante A49 durch den Dannenröder Forst führen soll.
    Zahlreiche Baumhäuser wurden auf der Trasse errichtet, auf der die geplante A49 durch den Dannenröder Forst führen soll. Foto: Presspic@riseup.net

    Sind diese Gründe auch Ihre persönliche Motivation, sich an der Waldbesetzung zu beteiligen?

    Jung: Mein persönlicher Beweggrund ist global gedacht: Infrastruktur für Massenwaren befeuert den globalen Handel zu ungleichen Bedingungen. Je mehr Transportinfrastruktur es gibt, desto stabiler ist die Grundlage für monopolisierten Handel. Und umso weniger Anreiz gibt es, die Wirtschaft regionaler zu gestalten. Wer hier von der Autobahn profitiert, ist beispielsweise der Süßwarenhersteller Ferrero mit Produktionssitz direkt an der geplanten A49. Ferrero braucht für seine Produkte Kakao, Zucker, Haselnüsse, Palmöl – Produkte, für die die Natur zerstört und Menschen ausgebeutet werden. Für mich ist diese Autobahn ein Symbol: Sie trägt dazu bei, dass globale Unternehmen wie Ferrero ihre Dominanz noch ausweiten können. Sie trägt dazu bei, dass Dinge trotz langer Transportwege billiger sind als regional Produziertes. Für mich heißt gegen globale Ausbeutungsstrukturen zu sein deshalb auch gegen diese Autobahn zu sein.

    Im Gegensatz zu vielen anderen Menschen, die aktuell im Dannenröder Forst leben, zeigen Sie sich mit Gesicht, lassen Ihren Namen an dieser Stelle abdrucken. Warum?

    Jung: Ziviler Ungehorsam ist für mich eine Form der Selbstermächtigung. Die Waldbesetzung ist eine Ordnungswidrigkeit. Für mich macht diese Ordnung, in der das vermeidliche Gemeinwohlinteresse "Wohlstand durch Autobahn" durchgesetzt wird, aber keinen Sinn. Hätte die Schwarze Aktivistin Rosa Parks der gesetzlichen Ordnung keinen Widerstand geleistet, sich nicht geweigert, ihren Sitzplatz im Bus für eine weiße Person zu räumen, wäre Rassensegregation vielleicht immer noch legitim. Ich stehe in der Waldbesetzung mit meinem Gesicht und Namen, um Verantwortung zu übernehmen, in unserem Ökosystem, für die Natur, von der wir ein Teil sind.

    Seit vergangener Woche werden die Camps im Dannenröder Forst aufgelöst. Wie erleben Sie die Räumung durch die Polizei?

    Jung: Ich habe das Gefühl, dass dieser Riesenaufmarsch an Polizei ein politisches Statement ist. Egal, welche Gegenstimmen kommen, egal, was die junge Generation fordert - diese Autobahn wird gebaut. Auch am vergangenen Sonntag wurde geräumt und gerodet. Das ist ja auch unfair für Polizist*innen, die keinen freien Tag haben. Ich spüre so eine Härte in diesem Einsatz. Das passt für mich nicht zu den christlich-demokratischen Werten der Partei, die diese Entscheidung getroffen hat. Es werden zudem Menschenleben gefährdet. Während der Rodungen ist es eigentlich wichtig, einen Sicherheitsabstand von doppelter Baumlänge zu haben. Das ist nicht gegeben. Die Rodungsarbeiten finden zum Teil direkt neben Polizist*innen oder Aktivist*innen in den Bäumen statt. Bislang gab es auch schon zwei Unfälle und Polizeigewalt, bei denen Aktivist*innen zum Teil schwer verletzt wurden.

    Warum überhaupt diese Art des Protests – es gibt ja auch weniger gefährliche Formen als Bäume zu besetzen?

    Jung: Die Autobahn ist schon seit 40 Jahren geplant. Seit der Planung gibt es Widerstand, von lokalen Initiativen, von Wasser- und Naturschutzbehörden. Es wurde mehrfach geklagt, doch die Klagen wurden immer abgeschmettert. Es wurde schon viel probiert, aber die Dinge im gesetzlichen Rahmen haben alle nicht funktioniert. Unsere letzte Hoffnung ist jetzt, dass das Projekt über die Waldbesetzung noch zu stoppen ist. Außerdem ist die Waldbesetzung eine sehr schöne, exemplarische Form des Widerstands. Der Protest ist gleichzeitig Teil der Lösung und zeigt, wie eine Gesellschaft in Symbiose mit der Natur leben und konsensorientiert agieren kann.

    Bei friedlichem Protest bleibt es aber nicht immer. Medien berichten, dass Feuerwerkskörper gezündet und die Einsatzkräfte mit Steinen und Exkrementen beworfen wurden.

    Jung: Jeder Mensch, der hier durch den Wald läuft, sieht und spürt, dass Gewalt diesen Protest nicht ausmacht. 99,9 Prozent dieser Waldbesetzung ist große Schönheit: Hier hört man überall Musik, entdeckt liebevoll angelegte Gärten oder Gemälde. Ich bin überzeugt, dass die Gewalt, von der berichtet wird, nicht für diesen Protest stehen sollte. Ich sehe vielmehr strukturelle Gewalt von Staat und Polizei gegen die Liebe, die in diesen Protest gesteckt wird. Ich glaube, wenn Aktivist*innen mit Steinen werfen oder Böller in die Hand nehmen, geschieht das aus dieser Verletzung, dass Baumhäuser zerstört werden und Bäume fallen, die für viele zu einem Zuhause geworden sind. Das ist die letzte Art, sich selbst zu verteidigen.

    Wie lange planen Sie, noch im Dannenröder Forst zu bleiben?

    Jung: Hoffentlich hält sich die Waldbesetzung noch bis Februar, dann ist nämlich die Rodungssaison zu Ende und somit ein neues Zeitfenster da, um den Autobahnbau auf politischer Ebene doch noch zu stoppen. Ich selbst werde so lange hoffentlich noch in den Baumkronen des Dannenröder Forst wohnen.

    Zur Person: Katharina Jung stammt aus Lützelburg und ist in Augsburg zur Schule gegangen. Vor Kurzem hat die 26-Jährige ihren Master in Entwicklungsstudien an der Universität Oxford beendet. Sie ist Mitgründerin der Initiative GlobalMatch, die unter anderem mit dem Deutschen Engagementpreis ausgezeichnet wurde.

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