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Interview: AfD-Parteitag in Augsburg: "Bis zu 1000 Linksextremisten könnten kommen"

Interview

AfD-Parteitag in Augsburg: "Bis zu 1000 Linksextremisten könnten kommen"

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    Extremismus, Terrorismus, Spionage – als Leiter des bayerischen Verfassungsschutzes hat Burkhard Körner quasi täglich mit diesen Themen zu tun.
    Extremismus, Terrorismus, Spionage – als Leiter des bayerischen Verfassungsschutzes hat Burkhard Körner quasi täglich mit diesen Themen zu tun. Foto: Alexander Heinl, dpa

    Herr Körner, Ende des Monats findet in Augsburg der Bundesparteitag der AfD statt, aus der linken Szene wurden bereits Proteste angekündigt. Was kommt da auf

    Burkhard Körner: Wir gehen davon aus, dass auf überregionaler Ebene eine Mobilisierung der linksextremistischen Szene stattfindet, die sich gegen den Parteitag wenden wird.

    Was heißt das konkret?

    Körner: Das heißt, dass bis zu 1000 linksextremistische Personen nach Augsburg kommen können, die auch ein gewisses Gewaltpotenzial mitbringen. Es lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht abschließend sagen, wie viele tatsächlich kommen werden. Die Mobilisierung läuft und wird seit Wochen ständig stärker. Vor allem im süddeutschen Raum, in Norddeutschland ist es noch relativ ruhig.

    Mit welcher Art von Gewalt rechnen Sie in Augsburg?

    Körner: Wir befürchten, dass es vor allem im Vorfeld der Veranstaltung zu Straftaten kommt wie Sachbeschädigungen oder Angriffe auf symbolträchtige Einrichtungen. Die linke Szene hat angekündigt, überraschende Aktionen starten zu wollen. Es kursiert ein sogenannter Reiseführer, der geeignete Ziele auflistet. Dazu gibt es im Hinblick auf den Parteitag in sozialen Netzwerken Videos mit Anleitungen für Demonstrationen, für das Durchbrechen von Polizeisperren oder das Anzünden von Fahrzeugen, unterlegt mit entsprechender Musik und Texten.

    Von wem gehen diese Aufrufe zur Gewalt aus?

    Körner: Sie kommen von Mitgliedern der autonomen Szene, die wir im Einzelnen noch nicht kennen. Im Internet läuft vieles über ausländische Server, was uns die Identifikation der Urheber erschwert. Generell lässt sich sagen, dass wir der Szene in Bayern momentan rund 690 Personen zuordnen. Die meisten davon kommen aus Nürnberg und München.

    "Eine Mobilisierung wie in Hamburg sehen wir nicht"

    Wie hat sich die Szene in der Vergangenheit entwickelt?

    Körner: Die Zahl der Personen, die wir der autonomen Szene zuordnen, ist im vergangenen Jahr um rund 40 gestiegen. Im vergangenen Jahr hat vor allem der aus Sicht der Szene erfolgreiche G20-Gipfel in Hamburg zu einer zusätzlichen Motivation geführt. Die Zahl der Straftaten in Bayern ist zuletzt von 575 auf 614 gestiegen, die mit Gewaltbezug jedoch von 72 auf 54 gesunken.

    Erwarten Sie Randale wie in Hamburg auch in Augsburg?

    Körner: Der Bundesparteitag der AfD ist derzeit sicher eines der herausragenden Ereignisse für die linksextremistische Szene, aber, wie gesagt, wir können das Gefahrenpotenzial noch nicht abschließend beurteilen. Allein das Polizeiaufgebot von mehreren tausend Beamten, die an dem Wochenende in Augsburg im Einsatz sein werden, zeigt aber, dass wir die Situation sehr ernst nehmen. Eine Mobilisierung entsprechend Hamburg sehen wir allerdings nicht.

    Nun treffen an diesem Wochenende zwei Gruppen aufeinander, die für den Verfassungsschutz interessant sind: Die Linksextremisten auf der einen Seite, die rechtspopulistische AfD auf der anderen. Sie haben in Augsburg also viel zu tun, oder?

    Körner: Grundsätzlich ist die AfD als Gesamtpartei derzeit kein Beobachtungsobjekt von uns. Allerdings gibt es innerhalb der Partei einzelne Personen, die sich in extremistischen Gruppen aufhalten, deren Nähe suchen oder durch Provokationen immer wieder Grenzen in den Bereich des Extremismus hinein ausloten und diese dabei auch regelmäßig überschreiten. Diese Personen haben wir sehr wohl im Blick. Hinsichtlich der AfD stellt sich für uns die entscheidende Frage, ob sich die Partei rechtsextremistische Gedanken zu eigen macht oder sich davon abgrenzt. Momentan sind keine ausreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die AfD in Gänze die Schwelle zum Extremismus überschritten hat.

    Der Streit, ob die AfD vom Verfassungsschutz beobachtet werden sollte, kocht immer wieder hoch. Würden Sie die AfD denn gerne genauer unter die Lupe nehmen?

    Körner: Ob ich die AfD gerne genauer unter die Lupe nehmen will, ist nicht die Frage. Für uns gibt es ganz klare gesetzliche Vorgaben, wen wir beobachten dürfen und wen nicht. Die AfD als Gesamtpartei zählt momentan nicht dazu.

    "Unter Reichsbürger herrscht hohe Waffenaffinität"

    Wie groß ist denn die rechte Szene im Freistaat?

    Körner: Die rechte Szene ist stark im Wandel. Früher gab es relativ geschlossene Gruppierungen wie Kameradschaften oder Parteien wie die NPD oder der Der Dritte Weg. Heute verschwimmen die Grenzen, gerade über das Internet verbreiten sich ideologische Elemente sehr schnell, dazu kommen Gruppen wie beispielsweise die Identitäre Bewegung, die nicht mehr den klassischen Nationalsozialmus predigen, sondern vermeintlich modern daher kommen. Ihnen gelingt es teilweise, rechtsextreme Ideologie- und Sprachelemente in die bürgerliche Gesellschaft zu tragen. Das führt dazu, dass plötzlich wieder Dinge gesagt werden können, für die bislang ein gesellschaftlicher Konsens bestand, dass man sie nicht sagen sollte. Dieser fließende Übergang zwischen Extremismus, Populismus und bürgerlicher Gesellschaft bereitet uns große Sorgen und wird durch eine Reihe von Gruppierungen immer wieder befördert. Insgesamt sehen wir etwa 2300 Personen in der rechtstextremistischen Szene. Die Straftaten in diesem Bereich sind zuletzt leicht gefallen von 2300 auf knapp 1900.

    Sie klingen wie ein Teil der rechten Szene, sind es aber nur bedingt: die sogenannten Reichsbürger. Eine Gruppe von Menschen, die seit geraumer Zeit große mediale, aber auch politische Aufmerksamkeit erfährt. Zu Recht?

    Körner: Zum einen ist schon mal die Zahl erschreckend: In Bayern ordnen wir mehr als 4000 Personen dieser Szene zu. Darunter sind Staatsverdrossene, Verschuldete, psychisch Kranke, aber auch Geschäftemacher, vereinzelt auch Rechtsextremisten. Vor allem sind es Männer über 50 Jahre, Frauen gibt es weniger in der Szene. Wir haben es also mit einer sehr heterogenen Gruppe zu tun – entsprechend heterogen sind die Gefahren, die davon ausgehen.

    Reichsbürger, Germaniten, Identitäre - Die Szene der Staatsverweigerer

    Die Bewegung der Staatsverweigerer ist sehr heterogen. Sie umfasst mehrere sektenartige Gruppen von Verschwörungstheoretikern und Rechtsextremen, die seit den 1980er-Jahren entstanden und untereinander zerstritten sind.

    Nur in einem sind sie sich einig: Deutschland sei kein echter Staat, das Deutsche Reich in den Grenzen von 1937 bestehe fort.

    Die Gruppen haben keine feste Organisationsstruktur.

    Die erste bekannte Organisation von „Reichsbürgern“ wurde 1985 als „Kommissarische Regierung des Deutschen Reiches“ gebildet. Gründer war Wolfgang Gerhard Günter Ebel, ein Westberliner Eisenbahner, der sich fortan „Reichskanzler“ nannte.

    Die Anhänger sprechen dem Grundgesetz, Behörden und Gerichten die Legitimität ab.

    Ein Schwerpunkt in der Region ist das Allgäu. Doch bayernweit nehmen die Zahlen der "Reichsbürger" zu. Derzeit sind knapp über 300 Personen im Bereich des Polizeipräsidiums Schwaben Süd/West als „Reichsbürger“ eingestuft.

    Die Germaniten wurde im Dezember 2010 von einer gewissen Ulrike Kuklinski auf der Schwäbischen Alb gegründet.

    Sie sieht sich als Opfer der deutschen Justiz und bildete mit Gleichgesinnten die Behindertenfürsorge „Deutsche Ringvorsorge“, die Keimzelle des „Staates Germanitien“.

    Die Bewohner verstehen sich allen Ernstes als souveränes Staatsvolk mit einem eigenen Staatsgebiet in den Grenzen von 1937.

    Der Ursprung der Identitären Bewegung liegt in Frankreich, wo sie zu Beginn des Jahrhunderts im Dunstkreis des Front National entstand. Sehr aktiv ist die IB in Österreich, neuerdings auch in Bayern.

    Sie ist ethnopluralistisch – jede Ethnie soll ihren eigenen Raum haben – und geht von einer geschlossenen „europäischen Kultur“ aus, die vor allem vom Islam bedroht sei. Für Experten ist die IB eine neue Form des Rechtsextremismus. (hogs, sohu)

    Wie gefährlich sind die Reichsbürger?

    Körner: Auch wenn sich der Großteil der Reichsbürger die meiste Zeit eher ruhig verhält, stellen wir fest, dass innerhalb der Gruppe eine sehr hohe Waffenaffinität besteht. Bei den 4000 Mitglieder haben wir bislang rund 630 legale Waffen gefunden. Diese Affinität, gepaart mit der Ablehnung des Staates und die Negierung staatlicher Gewalt, ist im Einzelfall eine gefährliche Mischung. Das führt dazu, dass Polizeieinsätze bei Reichsbürgern oft mit einem großen Aufgebot an Beamten verbunden sind, weil das Risiko besteht, dass Waffen im Spiel sind und diese auch eingesetzt werden.

    Kürzlich widmete sich auch der „Tatort“ der Szene und beschrieb ein Dorf, das quasi seinen eigenen Staat gründen wollte. Ist das realistisch?

    Körner: Wie bereits beschrieben, geht die Gefahr eher von einzelnen Personen und dem möglichen Einsatz von Waffen aus. Die Gefahr, dass Reichsbürger mit ihrer Ideologie in Deutschland tatsächlich etwas politisch bewegen könnten oder gleich den Staat umstürzen, ist nicht gegeben.

    Verfassungsschutz: Art des Terrors hat sich gewandelt

    Linksextremisten, Rechtsextremisten, Reichsbürger – sprechen wir zum Schluss doch noch über das Thema, das den Verfassungsschutz seit einigen Jahren besonders fordert: der islamistische Terror. Wie groß ist die Gefahr eines Anschlags in Bayern?

    Körner: Wir haben derzeit keine konkreten Hinweise auf bevorstehende Terroranschläge. Sie sind dennoch jederzeit möglich. Deutschland ist weiterhin im Zielspektrum des islamistischen Terrors. Allerdings hat sich die Art des Terrors gewandelt. Während es in Zeiten von Al-Qaida den Terroristen darum ging, mit ihren Anschlägen größtmögliche und eine symbolische Wirkung zu erzielen, ist das Ziel des IS mittlerweile, in westlichen Staaten Angst und Schrecken zu verbreiten. Nach dem Motto: Ihr seid immer und überall erreichbar und angreifbar.

    Wie soll das funktionieren?

    Körner: In den Propagandamaterialien findet man immer wieder die Aufforderungen, Anschläge mit relativ geringen Mitteln, also Fahrzeugen oder Messern, zu begehen. Da hierfür meistens kein großer logistischer Aufwand nötig ist, macht es das für uns schwieriger, die entsprechenden Personen rechtzeitig zu erkennen. Insgesamt gehen wir davon aus, dass in Bayern rund 4000 Personen dem Islamismus zuzuordnen sind. Das Gewaltpotenzial geht fast ausschließlich von Salafisten aus. Von ihnen leben im Freistaat 730. Rund ein Viertel von ihnen ist unseren Erkenntnissen nach gewaltbereit. Von daher sind wir auch in Bayern nicht uneingeschränkt sicher. Insgesamt hält sich die islamistische die Szene in Bayern im Vergleich zu anderen Ländern in Grenzen.„Deutschland ist weiter Ziel islamistischen Terrors“

    Zur Person: Burkhard Körner, 53, ist promovierter Rechtswissenschaftler und leitet seit dem Jahr 2008 das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz in München.

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