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In eigener Sache: Der Fall Linus Förster: Warum eine Zeitung darüber berichtet

In eigener Sache

Der Fall Linus Förster: Warum eine Zeitung darüber berichtet

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    Linus Förster während seines Prozesses, der damals auf große öffentliche Aufmerksamkeit stieß.
    Linus Förster während seines Prozesses, der damals auf große öffentliche Aufmerksamkeit stieß. Foto: Ulrich Wagner (Archiv)

    Die Berichterstattung über den ehemaligen Landtagsabgeordneten Linus Förster, der nach einer Haftstrafe wegen Sexualstraftaten wieder auf freiem Fuß ist, hat unter AZ-Lesern Diskussionen ausgelöst. Zahlreiche Leserbriefe erreichten unsere Reaktion, viele Schreiber äußerten Unverständnis. Warum bekommt ein Straftäter in der Zeitung so großen Raum? Eine berechtigte Frage. Auch die Lokalredaktion hat vor der Veröffentlichung des Textes natürlich über Pro und Contra einer solchen Berichterstattung diskutiert – um sich dann dafür zu entscheiden. Im Folgenden wollen wir unsere Argumente erläutern und versuchen, Antworten auf die wichtigsten Leserfragen zu geben.

    Warum ist Linus Försters Leben nach der Haft überhaupt Thema?

    Als dem ehemaligen Landtagsabgeordneten 2017 der Prozess gemacht wurde, erfuhr das Verfahren große Aufmerksamkeit. Förster war als Politiker eine Person des öffentlichen Lebens, das Interesse an seinem Fall groß. Aus diesem Grund wurde im Prozess auch nie die Öffentlichkeit ausgeschlossen – selbst, als Försters Opfer aussagen mussten. Der Richter betonte damals, das Interesse an der Aufklärung wiege höher als der Schutz der Intimsphäre der Frauen.

    Förster hat sich nach seiner Haftentlassung bewusst dafür entschieden, wieder in seine Heimatstadt Augsburg zurückzukehren – dorthin also, wo ihn viele Menschen aus seinen Anfängen als Musiker und Vorsitzender des Stadtjugendrings, aber auch als Ex-Politiker kennen. Das Interesse an seinem Fall ist ungebrochen groß. Somit wird er auch zum Thema für eine Lokalzeitung, die es sich ja gerade auch zur Aufgabe macht, darüber zu berichten, was in einer Stadt Gesprächsstoff ist.

    Warum bekommt ein ehemaliger Straftäter fast eine ganze Seite eingeräumt?

    Um einen so komplexen Fall wie den Försters darstellen zu können, gilt es, zahlreiche Fakten zusammenzutragen. Zunächst müssen Straftat und Urteil nochmals skizziert werden. Dann sollte nicht nur Försters, sondern auch die Sichtweise seines Umfelds herausgearbeitet werden. Es ging uns aber auch darum, exemplarisch darzustellen, mit welchen Widerständen ein verurteilter Straftäter umgehen muss, wenn er aus der Haft entlassen wird und die Strafe zwar abgebüßt, die Tat aber nicht vergessen ist. Förster steht damit exemplarisch für viele andere verurteilte Straftäter, die wieder auf freien Fuß kommen.

    Will man einen Straftäter durch einen solchen Bericht rehabilitieren oder gar Werbung für Försters Buch machen?

    Unserer Redaktion ging es zu keinem Zeitpunkt darum, die Taten Försters zu bagatellisieren oder zu rechtfertigen. Allerdings: Förster wurde verurteilt und hat seine Strafe abgebüßt. Menschen wie er müssen die Chance erhalten, sich wieder in die Gesellschaft zu integrieren. Dass er ein Buch über den Strafvollzug in Deutschland schreiben will, gehört zur neuen Wendung einer komplexen persönlichen Geschichte. Der Artikel wirbt nicht für das Buch, es wird lediglich erwähnt, dass Förster daran arbeitet.

    Wenn ein verurteilter Straftäter wieder auf freien Fuß kommt, hat er es oft schwer, im Leben wieder Fuß zu fassen.
    Wenn ein verurteilter Straftäter wieder auf freien Fuß kommt, hat er es oft schwer, im Leben wieder Fuß zu fassen. Foto: Alexander Kaya (Symbolbild)

    Werden die Opfer durch einen solchen Artikel nicht erst richtig verhöhnt?

    Der Bericht über Linus Förster zeichnet das Bild eines Menschen, der mit zahlreichen Problemen kämpft und sie längst nicht überwunden hat. Aus Sicht von Experten kann ein solcher Bericht sogar dazu beitragen, den Opfern noch einmal eine Stimme zu geben: Weil der Täter sich zu Wort meldet, wird auch die Situation der Opfer nochmals Thema und sie erfahren Solidarität, die ihnen Stütze sein kann.

    Natürlich kann man über einen solchen Artikel und seine Wirkung auch anderer Meinung sein. Unserer Redaktion ist es immer ein Anliegen, auch die Opfer zu Wort kommen zu lassen und ihre Situation zu thematisieren. Weil die Frauen nicht selbst an die Öffentlichkeit gehen möchten, haben wir uns stellvertretend mit Opferanwältin Marion Zech unterhalten.

    Lesen Sie dazu auch unser Interview mit Journalismus-Experte Klaus Meier: Berichte über Straftäter: Schmaler Grat zwischen Neugier und Resozialisierung

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