Das kleine Gartenkonzert der vier Musikstudenten kommt bestens an: Andächtig lauschen die Frauen dem Andante von Bruckner und applaudieren dem Bläserquartett. Doch dann fasst sich Anna ein Herz. „Bitte, spielt irgendwas zum Mitsingen. Ich singe doch so gerne“, sagt die 86-Jährige. Und so schmettert die Seniorin mit ihrer immer noch kräftigen Stimme das Lied „Komm, lieber Mai“ – mitten im Juli.
Corona zwang den Treff im Haus Lea zur Pause
Im Mai hätten Anna und die anderen Frauen gar keine Gelegenheit zu einem Konzert im Schatten der Oberhauser Kirche St. Joseph gehabt. Denn zu diesem Zeitpunkt war der Treff im Haus Lea wegen der Corona-Pandemie komplett geschlossen. „Das war für unsere Frauen wirklich schlimm“, sagt die Ordensschwester Elisabeth Mack. Als Verantwortliche der Straßenseelsorge in der Pfarreiengemeinschaft Oberhausen-Bärenkeller kümmert sie sich um die Besucherinnen, die bis Mitte März jeden Werktag im Erdgeschoss des Gebäudes zum Kaffeetrinken, Essen und vor allem zum Reden zusammenkamen – Frauen in sozialen Notlagen, mit wenigen Kontakten und teilweise ohne festen Wohnsitz.
Infos über Obdachlosenheime in Augsburg
Niemand weiß genau, wie viele Obdachlose es tatsächlich in Augsburg gibt. Klar ist allerdings, dass Anfang 2019 knapp 300 Menschen in städtischen Einrichtungen untergebracht waren. Im Jahr davor lag die Zahl noch bei 223.
Seit August 2018 gibt es ein neues Übergangswohnheim extra nur für Frauen in der Stadtberger Straße in Pfersee. Hier können 30 Frauen einen Platz finden. Mieter ist die Stadt, Träger ist der Sozialdienst katholischer Frauen, der sich mit Pädagoginnen vor Ort um die Klientinnen kümmert.
Auch bei anderen Übergangswohnheimen arbeitet die Stadt mit freien Trägern zusammen. In der Johannes-Rösle-Straße ist Platz für rund 85 Männer. Hier ist der SKM (Katholischer Verband für soziale Dienste) der Partner der Stadt.
Auch für Familien bietet die Stadt Übergangswohnungen, wie etwa in der Höfatsstraße oder im Drosselweg. Rund 53 Familien mit insgesamt 188 Personen sind dort derzeit untergebracht. Die Stadt kooperiert mit Fachdiensten, wie mit der Caritas, um Betroffenen wieder auf die Füße zu helfen. (AZ)
Der Lockdown zwang Elisabeth Mack dazu, den von ihr ins Leben gerufenen Treffpunkt von einem Tag auf den anderen zu schließen. „Wir haben unseren Besucherinnen noch unsere Essensvorräte mitgegeben. Und das war es dann.“
Die Zwangspause endete vor wenigen Wochen, als die Frauen zum ersten Mal wieder zusammenkamen. Seither ist einmal wöchentlich am Donnerstag von 11 bis 15 Uhr in der Neuhoferstraße geöffnet. Der große Garten ermöglicht es den Besucherinnen, sich an der frischen Luft auf Abstand zu begegnen.
Sechs Wohnungen für obdachlose Frauen in Augsburg
Auch Uschi, 65, sitzt an einem der Tische und lässt sich ein Kompott schmecken. Anders als die anderen Frauen bleibt sie, wenn die Tür im Parterre abgesperrt wird. Seit Herbst lebt sie in einer der sechs kleinen Wohnungen in den beiden Stockwerken über dem Treffpunkt. Ihr gehe es mittlerweile wieder super, sagt Uschi. Als sie im Mai 2019 ihre Wohnung verlor („das Haus sollte abgerissen werden“), stand sie auf der Straße.
Im Übergangswohnheim in Pfersee fand Uschi Unterschlupf. Als ihr dann die kleine Wohnung in Oberhausen angeboten wurde, sagte sie sofort zu. „Ich bin so froh, dass ich jetzt wieder eine Türe hinter mir zumachen kann“, genießt die 65-Jährige ihre wiedergewonnene Freiheit.
Noch fünf weitere Frauen sind als Mieterinnen im Haus Lea, das der Diözese gehört, untergekommen. Ganz bewusst habe man darauf verzichtet, die sechs Wohnungen dichter zu belegen. „Jede Frau soll zu sich selbst finden können und wieder lernen, in Würde zu wohnen.“ Die Bewohnerinnen hätten alle ihr Päckchen zu tragen und mit Hochs und Tiefs zu kämpfen. Auch Uschi, die die Trennung von ihrem Mann mit ihrem sozialen Abstieg bezahlen musste, war lange am Boden zerstört.
Ziel des Lea-Wohnprojekts ist es, stabiler zu werden, um selbstständig leben zu können. Aufgrund des Wohnungsmangels sei ein rascher Auszug momentan leider utopisch, weiß Schwester Elisabeth.
In Augsburg sind derzeit Plätze für Frauen ohne Wohnung vorhanden
Für Frauen ohne festen Wohnsitz hat sich die Lage in Augsburg trotz allem etwas verbessert. Bis vor wenigen Jahren waren sie gemeinsam mit Männern im Übergangswohnheim Johannes-Rösle-Straße untergebracht. Heute gibt es eine separate Einrichtung in Pfersee, die vom Sozialdienst katholischer Frauen betrieben wird. Momentan sind nicht alle 30 Plätze des „Casa Donna“ belegt. Auch von den 59 städtischen Obdachlosenwohnungen sind nach Auskunft des städtischen Sozialreferats etliche frei.
Eine weitere Unterkunft für insgesamt 25 Personen wird vom Diakonischen Werk ebenfalls in Pfersee betrieben. Acht Frauen haben dort aktuell ein Zimmer angemietet. Die verschiedenen Wohnungen, in denen sich die Bewohner Bad und Küche teilen, sind nach Geschlechtern getrennt.
Geöffnet ist der Frauentreffpunkt im Haus Lea, Neuhoferstraße 1, noch am Donnerstag, 30. Juli, von 11 bis 15 Uhr. Nach der Sommerpause geht es im September weiter. Ab Oktober sind zusätzliche Öffnungszeiten geplant.
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