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Haunstetten: Wie das Miteinander im integrativen Wohnprojekt funktioniert

Haunstetten

Wie das Miteinander im integrativen Wohnprojekt funktioniert

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    In der Adelheidstraße wohnen behinderte und nicht behinderte Menschen zusammen.
    In der Adelheidstraße wohnen behinderte und nicht behinderte Menschen zusammen. Foto: Michael Eichhammer

    Rüdiger lebt im ersten Stock einer zweigeschossigen Wohnanlage in Augsburg-Haunstetten. Seine Hobbys: Spaziergänge, Federball spielen und Kochen. Apricotfarben ist der Anstrich der Fassade der Wohnanlage, doch in Rüdigers Wohnung dominiert seine Lieblingsfarbe. Teppich und Vorhang im Wohnzimmer sowie Rüdigers Weste sind Türkisblau. Seit rund vier Jahren lebt der Rentner, der in einer Wäscherei in Göggingen gearbeitet hat, hier. „Ich fühle mich sehr wohl“, sagt er. Neben dem Wohnzimmer und der Küche hat die Wohnung ein Schlaf- und ein Badezimmer sowie einen Balkon. Der minimalistisch-moderne Look der Möbel wird aufgelockert von Farbtupfern und Accessoires wie Rüdigers Stofftiersammlung oder den Bildern, die ihn in der Freizeit mit seinen Freunden zeigen.

    Um 16.30 Uhr bekommt der 46-Jährige Besuch von Moritz. Der 21-Jährige und Rüdiger kennen sich seit Mai letzten Jahres. Die beiden plaudern ein wenig am Bistrotisch in der offenen Küche, dann spielen sie ein Brettspiel am Wohnzimmertisch. All das scheint nicht sonderlich bemerkenswert und unterscheidet sich nicht vom Alltag in den umliegenden Häusern. Und dennoch ist das Haus in der Adelheidstraße 5 etwas Besonderes.

    Es handelt sich um eine integrative Wohnanlage. Inklusion statt Ausgrenzung ist hier seit April 2011 das Ziel. In neun der insgesamt 14 barrierefreien, zwischen 45 und 50 Quadratmeter großen Wohneinheiten leben Menschen mit einer geistigen Behinderung. Im Rahmen des Ambulant betreuten Wohnens soll ihnen ein selbstbestimmtes Leben in einer eigenen Wohnung ermöglicht werden. Bei den Herausforderungen des Alltags bekommen die erwachsenen Bewohner stundenweise Unterstützung von Mitarbeitern der Lebenshilfe. Moritz Heyn, der Rüdiger besucht, ist einer dieser Mitarbeiter. Der angehende Grundschullehrer arbeitet neun Stunden pro Woche neben dem Studium im Ambulant betreuten Wohnen.

    Haunstetten: Lebenshilfe unterstützt integratives Wohnen

    Zu Beginn seines Besuchs fragt er Rüdiger, welche Dinge an diesem Tag noch anstehen. Er hilft im Haushalt, begleitet den Bewohner zu etwaigen Arztbesuchen oder Behördengängen. „Der Bedarf an Hilfe im Alltag ist von Klient zu Klient unterschiedlich“, weiß Cornelia Wieser-Berchtold. Gemeinsam mit ihrer Kollegin Isabella Erbel leitet sie das Ambulant betreute Wohnen in einer Doppelspitze. Ihr Büro befindet sich direkt im Haus neben der integrativen Wohnanlage.

    Manchmal gibt es – wie in jedem anderen Mietshaus auch – Diskussionsbedarf zwischen den Bewohnern. Beispielsweise hinsichtlich der Ruhezeiten. Auch hier vermitteln Mitarbeiter der Lebenshilfe. Ebenso wenn es Redebedarf mit der Arbeitsstelle gibt oder der Dialog mit den gesetzlichen Betreuern gefragt ist. Auch bei der Freizeitgestaltung geben die Mitarbeiter der Lebenshilfe gern Impulse.

    Moritz Heyn hilft Rüdiger, seinen Alltag zu gestalten (links). In der Adelheidstraße wohnen Behinderte und nicht behinderte Menschen zusammen in einem Haus. Das bringt allen Seiten Vorteile.
    Moritz Heyn hilft Rüdiger, seinen Alltag zu gestalten (links). In der Adelheidstraße wohnen Behinderte und nicht behinderte Menschen zusammen in einem Haus. Das bringt allen Seiten Vorteile. Foto: Michael Eichhammer

    „Hier wird gekocht, gegessen und gefeiert“, sagt Betreuerin Carmelia Maier (46) über den Gemeinschaftsraum. Der füllt sich um 16.45 Uhr langsam mit Bewohnern, die von der Arbeit zurückgekommen sind. Nicole beispielsweise. Die Nachbarin von Rüdiger arbeitet in der Metallbearbeitung in den Ulrichswerkstätten. „Die Betreuer sind cool“, findet die 26-Jährige. Sie genießt die gemeinsame Zeit mit den anderen Bewohnern, ist aber auch gern mal allein in den eigenen vier Wänden. „Mein Balkon ist perfekt“, schwärmt sie.

    Zusammen mit den Betreuern wird am runden Tisch entschieden, was heute auf dem Speiseplan stehen soll. Dann gehen alle Zutaten einkaufen und es wird gemeinsam gekocht. Nach dem Essen bleiben manche Bewohner noch im Gemeinschaftsraum. Mal für ein Brettspiel, mal für einen Filmabend. Was gemeinsam gekocht wird, soll den Bewohnern auch als Inspiration dienen für die Abende, an denen sie allein in der Küche ihrer Wohnung stehen. Denn die Unterstützung der Bewohner in ihrer Selbstständigkeit ist einer der tragenden Säulen des Ambulant betreuten Wohnens.

    Augsburg: Immobilien für integratives Wohnen gesucht

    „Wir suchen gerade Wohnungen und Leute, die uns Wohnraum zur Verfügung stellen“, sagt Cornelia Wieser-Berchtold. Zum einen gibt es Betreuungsanfragen nach Wohnungen für einzelne Klienten, zum anderen könnte das Haus in der Adelheidstraße Vorbild sein, was Schule macht. „Ideal wäre ein Haus, um ein vergleichbares Konzept wie hier umzusetzen“, meint Isabella Erbel. Also ein selbstverständliches Miteinander von normalen Mietern und solchen mit geistigen Herausforderungen.

    Die Suche nach geeignetem Wohnraum gestaltet sich beim Ambulant betreuten Wohnen erfahrungsgemäß schwierig. Vermutlich auch, weil manche Vorbehalte vor dem Unbekannten haben. Solche integrativen Wohnformen seien aber für beide Seiten bereichernd, findet Cornelia Wieser-Berchtold. „Die Mitbewohner verlieren ihre Berührungsängste und unsere Klienten gewinnen an Sicherheit, weil sie wissen: Sie können jederzeit klingeln, wenn sie ein Problem haben“, so Wieser-Berchtold. „Und so wichtig auch die gegenseitige Unterstützung und die gemeinsame Freizeitgestaltung ist – es ist ebenso wichtig für unsere Klienten, dass jeder auch mal die Tür hinter sich zu machen und Privatsphäre genießen kann“, sagt Isabella Erbel. „Selbständig sein ohne allein zu sein“, beschreibt sie die Idee. Ein Wunsch, den wohl jeder Mensch hat.

    Ambulant betreutes Wohnen ist ein Modell für Menschen mit einer geistigen Behinderung, die in einer eigenen Wohnung allein leben wollen und in der Lage sind, ihren Alltag mit stundenweiser Betreuung zu bewältigen. Die Lebenshilfe unterstützt Interessenten bei der Antragsstellung. Der Bezirk Schwaben übernimmt nach Prüfung die Kosten. Bei Überschreitung der Einkommens- oder Vermögensgrenze ist eine Eigenbeteiligung möglich.

    Lesen Sie dazu auch: Von Verkehr bis Feuerwehrhaus: Das wünschen sich die Haunstetter

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