Ein Sonntagvormittag im Februar. Als Martina Wild ihre Rede beim Neujahrsempfang beendet hat, hält der Applaus lange an. Ein halbes Jahr vorher haben die Augsburger Grünen „ihre“ Oberbürgermeister-Kandidatin basisdemokratisch bestimmt. Nun stehen sie wie eine Phalanx hinter ihr. Sie passe in die Zeit der „neuen Grünen“, sagen erfahrene Augsburger Parteimitglieder. In eine Zeit also, in der es den Grünen nicht mehr darauf ankomme, Opposition in Turnschuhen zu sein, sondern sich den Herausforderungen der Zukunft zu stellen.
Politische Mitstreiter bezeichnen Martina Wild als „verlässlich“ und „konkret“. Wer sie bei Wahlkampfauftritten beobachtet, erlebt die 42-Jährige als sattelfest in vielen Themen – aber auch als so konzentriert und detailgenau, dass die Privatperson Wild, die gerne herzhaft lacht, nur selten durchscheint. Die erlebt man im Straßenwahlkampf, ja immer dann, wenn Wild mit Menschen ins Gespräch kommt, um darüber zu reden, was die Augsburger beschäftigt. „Ich bin durch und durch Kommunalpolitikerin.“
Martina Wild hielt Familie und Beruf möglichst auseinander
Eine andere politische Ebene hat Wild nie interessiert. Als es vor einigen Jahren darum ging, für die Grünen in den Landtag zu gehen oder nicht, war die Entscheidung schnell getroffen. Ebenfalls basisdemokratisch, mit der Familie. Drei Kinder haben Wild und ihr Mann Christian Dietmayer: Carina (16), Luca (12) und Laura (5). Bevor sie OB-Kandidatin wurde, hat Wild Familie und Beruf möglichst auseinandergehalten. Nun interessieren sich Bürger auch für ihr Privatleben. Also begleiten Mann und Kinder sie, wenn es nötig ist – mit allen Konsequenzen. Lucas Freunde haben ihn schon mit Wilds Wahlplakaten aufgezogen: „Deine Mama wacht jetzt überall über dich“, haben sie gesagt. Luca und seine Geschwister stört das nicht. Sie finden es cool, dass ihre Mutter Oberbürgermeisterin werden will. Selbst wenn dann noch weniger Zeit für die Familie bliebe.
Ihr Mann – Dietmayer arbeitet bei Premium Aerotec – und die Kinder es nicht anders gewohnt. Martina Wild war schon früh politisch interessiert. Ihr Opa, er kam aus Breslau, war „SPD-nah“. „Er hat mir beigebracht, wie wichtig es ist, Frieden zu halten, auf die Menschen und die Natur zu achten.“ Was sie zudem prägte, war ihre Jugend in der Ära Kohl. „Er war der ewige Kanzler, das fand ich schlimm.“ Der Wunsch, etwas zu verändern, brachte sie 1996 zu den Augsburger Grünen. Martina Wild wurde in den Vorstand gewählt, gründete die grüne Hochschulgruppe neu, engagierte sich im Studentenparlament, war Mitarbeiterin der Grünen-Landtagsabgeordneten Ulrike Gote.
OB-Kandidatin der Grünen spielte schon als Kind "Politik"
„Ich habe schon im Sandkasten der Politik gespielt.“ Im Stadtrat sitzt Wild seit 16 Jahren, Paul Wengert (SPD) war in dieser Zeit Oberbürgermeister, Martina Wild „gerade noch 26“. Es war keine spaßige Zeit, um sich zu engagieren. „Wir mussten sparen und kürzen.“ Frischen Wind spürte Wild erst Jahre später mit der Kulturhauptstadtbewerbung, initiiert durch die grüne Kulturreferentin Eva Leipprand. Plötzlich, sagt Wild, sei „die Käseglocke über der Stadt aufgegangen“.
Die studierte Historikerin, Romanistin und Politikwissenschaftlerin wurde in Augsburg geboren, sie lebt mit ihrer Familie in Inningen. Die Kinder spielen im Verein Tennis und Fußball, die Nachbarn grüßen, wenn Wild durch die Straßen geht. Kleinstadt-Atmosphäre mitten in der 300000-Einwohner-Kommune. In den letzten sechs Jahren, in denen die Grünen Teil des Regierungsbündnisses mit CSU und SPD waren, hat sich Wild dafür eingesetzt, dass es ein Stück weit so bleibt. Eine dichtere Bebauung von Bergheim, ein neues Wohngebiet in Radegundis – ihre Partei lehnte solche Vorhaben ab. „Wir haben als kleinster Partner des Bündnisses öfter die Koalitionsfrage gestellt.“ Wild sagt es mit einer Stimme, die keinen Zweifel lässt, dass es für sie Grenzen gibt. Ja sagen, nur um zu regieren, ist ihre Sache nicht.
Ihre Parteikollegin sind voll des Lobs für Wild. Als Fraktionsvorsitzende der Grünen musste sie in den vergangenen sechs Jahren vermitteln zwischen den Vorstellungen der Parteibasis und den Kompromissen, die man als Partner einer Koalition eingehen muss. „Sie hat die Kooperation mit CSU und SPD gemanagt und die grüne Fahne hochgehalten“, sagt ein Parteimitglied. Doch es gab Verluste. Christian Moravcik, nach der Wahl 2014 eines der jüngsten Mitglieder im Stadtrat, wechselte in dieser Amtsperiode zur SPD, weil er die Entscheidung seiner Partei für die Theatersanierung und die damit verbundene Verschuldung nicht mittragen wollte. Es hieß, Moravcik habe das Problem auch an Wild festgemacht. Sie sieht das gelassen: „Wir haben viel versucht, es gab Mediationssitzungen.“ Der junge Grüne verließ die Partei trotzdem. Wild sieht das nicht als Scheitern.
Martina Wild: "Wir wollen in die Stichwahl"
Die 42-Jährige weiß, dass es auf kommunaler Ebene heute kaum noch eine Partei alleine schaffen kann. 15 Parteien wollen in den Augsburger Stadtrat, die absolute Mehrheit werde wohl keine bekommen. „Auch wenn es gut ist, dass sich so viele Bürger engagieren“, gibt Wild zu – der Stadtrat werde kleinteiliger werden. Für sie, die Freizeit-Tennisspielerin, ist das Ziel jedoch klar: „Man tritt ja nicht an, um Zweite zu werden“, sagt sie, um dann doch leicht zurückzurudern: „Wir wollen in die Stichwahl.“
Die Chancen stehen nicht schlecht, bei den Landtagswahlen schnitten die Grünen mit gut 24 Prozent als zweitstärkste Partei ab. Reitet Wild auf dieser Welle, könnte sie am 29. März eine der zwei übrig gebliebenen OB-Kandidaten sein, auch wenn Kritiker sagen, sie habe vielleicht nicht die Ausstrahlung einer Oberbürgermeisterin. Wild schätzt die Lage realistisch ein: Sie musste sich erst bekannt machen. Denn obwohl sie mitregierte, „ich konnte als Fraktionsvorsitzende nicht die öffentliche Präsenz zeigen, wie sie eine Bürgermeisterin Weber oder ein Referent Wurm hatten“. Auch einen Plan B hat Wild offenbar, sollte sie nicht OB werden: Sie könnte in einer neuen Regierung das Bildungsreferat leiten. Da Hermann Köhler (CSU) nach dieser Periode ausscheidet, wäre der Weg frei – vielleicht sogar in Form einer weiblichen Doppelspitze.
Kurz vor der Wahl und nach hunderten von Terminen wirkt Wild noch voller Elan. Nur eines bringt sie aus der Ruhe: Wenn man sie „nur“ als Mutter dreier Kinder bezeichnet. Als Fraktionsvorsitzende habe sie einen Vollzeitjob ausgefüllt und mit ihrem Mann eine Familie gemanagt, was in das Frauenbild passt, das die 42-Jährige vertritt. Nur die Doktorarbeit hat sie zuletzt ruhen lassen. Irgendwann, sagt Wild, möchte sie sie zu Ende schreiben. Aber erst gibt es Wichtigeres.
Welche Lieblingsplätze haben die OB-Kandidaten? Um es zu erfahren, klicken Sie einfach auf die roten Markierungen in der interaktiven Karte.
Lesen Sie hier mehr über die Augsburger Kandidaten für die OB-Wahl:
- Eva Weber: Die CSU-OB-Kandidatin, die nie Politikerin werden wollte
- SPD-Kandidat Dirk Wurm entschied siDirk Wurm entschied sich für die Heimat - und gegen Costa RicaKommunalwahl 2020ch für die Heimat - und gegen Costa RicaDirk Wurm entschied sich für die Heimat - und gegen Costa RicaKommunalwahl 2020
- OB-Kandidat Peter Hummel (Freie Wähler) will mit Augsburg ins Gespräch kommen
- Der OB-Kandidat der AfD kam als Flüchtling nach Deutschland
- Claudia Eberle von Pro Augsburg ist für ganz Augsburg aktiv
- Frederik Hintermayr: Für den Kandidaten der Linken ist auch das Private meist politisch
- Christian Pettinger (ÖDP): Ein Klimaschützer mit Sinn fürs Marionettentheater
- Anna Tabak (WSA) will die große Koalition stoppen
- Bruno Marcon will, dass "Augsburg in Bürgerhand" bleibt
- Lisa McQueen von "Die Partei" will sich für junge Leute einsetzen
- Seine Kinder motivieren Lars Vollmar (FDP) zu seiner Kandidatur
- Nach einem Unfall gründete Roland Wegner die V-Partei
Lesen Sie auch: Dafür stehen die Parteien und Gruppierungen bei der Wahl in Augsburg