In Augsburg begann das Fahrrad-Zeitalter um 1880. Die Augsburger entdeckten relativ spät das Zweirad. Ein Grund dafür dürfte der immens hohe Preis für ein solches Vehikel gewesen sein. Hochräder mussten aus England importiert werden, der erste „made in Germany“ ist 1881 nachweisbar. Am 22. Juni 1882 erschien in der Neuen Augsburger Zeitung ein aufschlussreiches Verkaufsinserat mit der Miniaturabbildung eines Hochrads: Georg Bauer, Gastwirt und erster Velociped-Händler in Augsburg, bot zwei gebrauchte englische Velocipeds, Radhöhe 1,34 und 1,36 Meter, für 320 und 200 Mark an. 1882 bekam in Augsburg ein im Akkord arbeitender Spinner 2,75 Mark Tageslohn, ein Tagelöhner 1,80 Mark.
Dass es auch einen „Velociped-Verfertiger“ in Augsburg gab, enthüllt das Branchenverzeichnis im Adressbuch von 1884. Es war der Zeugschmied Jakob Günther in der Schmiedgasse. In den 1880er Jahren bestellten geschäftstüchtige Schlosser, Schmiede und Mechaniker eingespeichte Räder in England und bauten dazu Rahmen. Jakob Bauer, „Hofwirt“ am Jakobsplatz, ist 1884 laut Branchenverzeichnis der einzige „Velociped-Händler“ in Augsburg.
Bei der großartigen „Schwäbischen Kreisausstellung“ in Augsburg war 1886 auch das Fahrrad ein Thema. 730000 Besucher bestaunten die neuesten Entwicklungen aus Industrie und Gewerbe. In der Abteilung „Erzeugnisse für den Verkehr“ waren neben Kutschen auch „Velocipeds“ zu bestaunen: „Tri- und Bicycles“ führt die Ausstellungsliste auf. Es waren Produkte des Augsburger „Velociped-Verfertigers“ Jakob Günther. Er bekam 1886 dafür eine der 549 kunstvoll gestalteten Preismedaillen mit dem Porträt des bayerischen Prinzregenten Luitpold.
1886 kam auch das erste Hochrad des Nähmaschinenherstellers Adam Opel in Rüsselsheim auf den Markt. Opel produzierte bald auch Sicherheits- oder Niederräder. Eines davon war das legendäre „Blitz“-Niederrad, mit dem viele Rennen gewonnen wurden. Es wurde 1890 für 375 Mark verkauft. Das entsprach zu dieser Zeit vier Monatslöhnen eines gut verdienenden Arbeiters in einer Augsburger Maschinenfabrik.
1895 wurden in Deutschland von 243 Herstellern rund 250000 Fahrräder gebaut. Dank der Massenproduktion sanken die Preise auf etwa 150 bis 250 Mark. Außerdem florierte der Handel mit gebrauchten Fahrrädern. 1895 gab es in Augsburg acht Fahrrad-Geschäfte. Sie warben für die neuesten „Niederräder“ mit „Pneumatic“ (Luftbereifung). Fahrunterricht gab es nach dem Kauf kostenlos. Auch der Gebrauchtrad-Handel von privat zu privat florierte. Die 1895 in Anzeigen Augsburger Zeitungen genannten Preise: 35, 40, 48 Mark für ein „Niederrad“ aus zweiter Hand.
Vor allem junge Männer aus betuchten Kreisen wollten als elitäre Sportler hoch zu Fahrrad gelten
Von England war die Begeisterung für das „Bicycle“ als Sportgerät früh nach Deutschland geschwappt. Bereits 1869 wurden „Velociped-Clubs“ beziehungsweise „Bicycle-Clubs“ in München, Altona und Magdeburg gegründet. Augsburg zog erst 1881 nach: Der 8. Februar 1881 ist das Gründungsdatum des „Velociped-Clubs Augsburg“. Zweitältester Radlerverein war der „Augsburger Velociped-Club Augusta“. Innerhalb etablierter Augsburger Turnvereine bildeten sich Radler-Abteilungen. Die meisten Clubs waren jedoch Neugründungen. Vor allem junge Männer aus betuchten Kreisen wollten als elitäre Sportler hoch zu Fahrrad gelten. Den Gegenpol bildeten bald spezielle Arbeitervereine.
1895 gab es in Augsburg fünf Radlerclubs. Das Adressbuch von 1901 führt 13 Fahrradclubs, 20 „Velociped-Geschäfte“ und einen Velociped-Reparateur auf. Auch in Lechhausen gab es Fahrradhandlungen: Sechs nennt das „Adreß-Buch von Lechhausen“ 1904. Ihre Zahl ging bis 1910 auf zwei zurück. Drei Verbände hatten anno 1900 in Augsburg Geschäftsstellen, darunter eine Sektion des „Radfahrer-Verbandes zur Wahrung der Interessen der bayerischen Radfahrer“.
Das „Velociped“ oder „Fahrrad“, wie das Gefährt nach 1900 fast durchweg hieß, hatte ein hohes Image. Das drücken Fotos aus: Man fuhr mit seinem Gefährt zum Fotografen und posierte im Atelier vor einer auf Leinwand gemalten Landschaft. Ein solches Foto überliefert einen Sportler mit zwei Auszeichnungen an der Brust und seinem Hochrad um 1890. Um 1907 ließ sich in Lechhausen bei Foto Behrbohm ein junger Mann mit seinem Fahrrad ablichten.
Mit der zunehmenden Popularität und Verbreitung des Fahrrads stieg die Anzahl der Fahrrad-Geschäfte: 1914 sind es 31. Die Wertigkeit des Fahrrads drückt sich in der Berichterstattung in den Zeitungen aus. Fahrradrennen waren Themen, ebenso Unfälle und Diebstähle. Der Polizeibericht vom 7. September 1893 ist ein Beispiel dafür: Ein etwa 17-Jähriger habe sich in einem Augsburger Geschäft ein „Pfeilrad“ für 240 Mark ausgesucht, das er angeblich als Geburtstagsgeschenk erhalten solle. Die Inhabersgattin möge ihn zwecks Bezahlung zum Vater begleiten. Sie tat es. „In der Schaezlerstraße schwang sich der Bursche aufs Fahrrad und fuhr davon, ohne bisher wieder gesehen zu werden“, zitiert eine Zeitung den Polizeibericht.