Nur noch 45 Prozent der Menschen glauben, dass man in Deutschland seine politische Meinung noch frei äußern dürfe. Das hat eine Allensbach-Umfrage ergeben. Die juristische Praxis widerlegt diese Ansicht. Im politischen Diskurs kann man vieles sagen oder im Internet posten, ohne sich strafbar zu machen: Geschmackloses, Beleidigendes, Diskriminierendes und Ausländerfeindliches. Die Grenze zwischen erlaubter politischer Meinungsäußerung und Strafbarkeit ist hoch angesetzt. Dies zeigte - wieder einmal - ein Prozess am Mittwoch gegen einen vom Dienst suspendierten Augsburger Polizisten, den die Staatsanwaltschaft wegen 33 Fällen der Beleidigung, Volksverhetzung und Verwenden von Kennzeichen verfassunsgswidriger Organisationen angeklagt hatte. Amtsrichterin Rita Greser verurteilte den 53-jährigen Beamte jedoch lediglich in einem einzigen Punkt.
Der seit Beginn der Ermittlungen im Dezember 2019 vom Dienst unter Zahlung von monatlich netto 3500 Euro Gehalt suspendierte Beamte der Inspektion Mitte hatte einen öffentlichen Facebook-Account betrieben, der angeblich auch von etlichen seiner Kollegen gelesen wurde. Die Anklagebehörde hatte insgesamt 33 Posts, Karikaturen, Bilder und Videos für strafbar gehalten, so Äußerungen gegenüber den Grünen-Politikern Anton Hofreiter, Claudia Roth, Renate Künast, Katrin Göring-Eckhardt und Cem Özdemir. Alle Posts - bis auf den einen letztlich laut Urteil strafbaren - hatten Bezug zu politischen Themen, vor allem zur Migrations- und Flüchtlingspolitik.
Anton Hofreiter und andere Grünen-Politiker standen im Fokus
"Schade, dass man mit Arschlöchern kein Benzin machen kann. Der Vorrat wäre unerschöpflich", stand beispielsweise unter einem Foto von Anton Hofreiter zum Thema Benzinpreiserhöhung, garniert mit einem Affenkopf. Dieser Post blieb am Ende straflos wie auch ein Bild von Claudia Roth mit dem Begleittext "Theoretisch können alle 'Grünen' schwimmen, weil sie hohl sind. Praktisch gehen sie aber unter, weil sie nicht ganz dicht sind".
Insgesamt 26 Posts hielt die Anklagebehörde für Volksverhetzung. Im Mittelpunkt Flüchtlinge, Migranten, Farbige, verschleierte Frauen und der immer wiederkehrende Vorwurf, Fremde würden in Deutschland vor allem finanziell bevorzugt. Für die Staatsanwaltschaft waren alle Posts geeignet, zu Hass und Gewalt aufzustacheln.
Nicht so am Ende freilich für das Gericht, das im Urteil weitgehend den Argumenten von Verteidiger Walter Rubach folgte. Der Strafverteidiger hatte zu Beginn des Prozesses eine Erklärung seines Mandanten verlesen, in der dieser erklärt, er habe sich bei allen Personen für seine "verbalen Entgleisungen und Darstellungen" entschuldigt. Er sei weder rechtsradikal noch rassistisch, noch generell ausländerfeindlich. Er habe viele ausländische Freunde und Bekannte, habe sich für eine afghanische Flüchtlingsfamilie persönlich engagiert, sei lange Zeit als Kontaktbeamter für eine Asylunterkunft eingesetzt gewesen. Er sei aber auch der Meinung, dass Politiker und Politikerinnen eine Politik betrieben, die "wir Polizisten gelegentlich ausbaden". Deshalb müsse sich die Politik harte und deutliche Kritik gefallen lassen. Zur Sache im einzelnen äußerte sich der Polizist nicht.
Das dienstliche Verhalten des Polizisten spielte im Prozess keine Rolle
Schon zu Beginn der Verhandlung hatte Richterin Greser klargemacht, dass es sich bei der Beurteilung der Vorwürfe um reine Rechtsfragen handle. Das dienstliche Verhalten des Angeklagten, der politische Neutralität zu wahren habe, sei nicht Gegenstand des Prozesses. Völlig konträr waren die Rechtsansichten von Staatsanwalt Robert Birkner und Verteidiger Walter Rubach bei den Plädoyers. Der Anklagevertreter hielt den Begriff "Arschloch" in Zusammenhang mit dem Foto von Anton Hofreiter für eine Formalbeleidigung, ebenso alle anderen Äußerungen gegenüber Grünen-Politikern. Ein Polizist, so der Staatsanwalt, würde den auf ihn gemünzten Begriff "Arschloch" ja auch als Beleidigung anzeigen. Die vielen Posts des Angeklagten in Bezug auf Flüchtlinge schürten Hass. "Der gemeine Ausländerhasser fühlt sich dadurch bestätigt", nannte der Ankläger eine Folge solcher Äußerungen. Er forderte, den Angeklagten in allen Fällen zu verurteilen, und hielt eine Bewährungsstrafe von 14 Monaten für angebracht - eine Strafe, die für den Angeklagten die automatische Entfernung aus dem Dienst zur Folge hätte.
Verteidiger Rubach zeigte anhand von Urteilen des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofes auf, dass selbst Beleidigungen unterhalb der Gürtellinie, auch üble Beschimpfungen, dann nicht strafbar sind, wenn sie in einem sachlichen Kontext stehen, zum Beispiel in Kontext der politischen Kritik. "Mir persönlich gefällt manches auch nicht", machte der Anwalt klar, dass er die angeklagten Äußerungen nicht mittrage. Es gehe aber einzig und allein um die Frage der Strafbarkeit. Volksverhetzung liege vor, so der Verteidiger, wenn zu Hass und Gewalt aufgestachelt oder einem Menschen die Existenz abgesprochen werde. Dies sei aber in keinem einzigen Post seines Mandanten geschehen.
Bei Claudia Roth sei der Angriff ins Persönliche abgeglitten, so das Gericht
Rubach forderte am Ende einen glatten Freispruch für den Polizisten. Richterin Greser, die ebenso zahlreiche höchstrichterliche Urteile durchforstet hatte, gab schließlich dem Verteidiger Recht - bis auf eine Ausnahme. Die Posts seien zwar geschmacklos und "nicht schön", aber rechtlich hinzunehmen. Wenn ein Sachbezug zur Politik bestehe, müssten Politiker und Politikerinnen derartige Ansichten hinnehmen. "Die Meinungsäußerung ist ein hohes Gut", sagte die Richterin. Die Grenze sei allerdings überschritten, wenn der Angriff ohne Sachbezug ins Persönliche abgleite. Dies sei in einem Fall der Beleidigung gegeben. Dabei hatte der Angeklagte zwei Fotos gepostet: das Hinterteil eines Pferdes und das Gesicht von Grünen-Politikerin Claudia Roth. Text: "Die Kraft von Make-up vorher und nachher."
Die Sanktion des Gerichts: eine Geldstrafe von 4400 Euro. Der Fall des Polizisten wird voraussichtlich in die Berufung zum Landgericht und womöglich in die Revision zum Oberlandesgericht gehen, um die Rechtsfragen obergerichtlich zu klären. Nach Rechtskraft des Urteils wird das beamtenrechtliche Disziplinarverfahren gegen den Beamten weiterbetrieben.