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Frauenriedhausen: Waghubingers Spurensuche am Rande des Abgrunds

Frauenriedhausen

Waghubingers Spurensuche am Rande des Abgrunds

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    „Bilder, die man in eine Beziehung mitbringt, enden häufig als Rahmen“, philosophierte Stefan Waghubinger im Theater in Frauenriedhausen. Mit seinem Auftritt setzte er einen grandiosen Schlusspunkt des Lauinger Kabarett-Herbstes 2019.
    „Bilder, die man in eine Beziehung mitbringt, enden häufig als Rahmen“, philosophierte Stefan Waghubinger im Theater in Frauenriedhausen. Mit seinem Auftritt setzte er einen grandiosen Schlusspunkt des Lauinger Kabarett-Herbstes 2019. Foto: Gusbeth

    Frauenriedhausen Warum geht man ins Kabarett? Um sich zu amüsieren. Selbstverständlich. Also darf man im Kabarett lachen? Natürlich! Meinen Sie? Bei Stefan Waghubinger ist das so eine Sache. Der verhinderte Theologe predigt im TiF so böse, so spießig, so warmherzig, so brutal, so unbedarft, so naiv, so banal, so lakonisch, so unaufgeregt, so väterlich, so kindlich, so philosophisch wie kaum ein anderer Kabarettist. Doch wer klatscht schon nach einer Predigt oder gar im Beichtstuhl?

    Waghubingers namenlose Kunstfigur hat sich von seiner Frau getrennt. Nein, es war eher andersrum. Er zieht unters Dach seines Elternhauses und dort ein schonungsloses Resümee über sein Leben, die Gesellschaft, den Zeitgeist, Gott und die Welt. Ein Selbstfindungstrip in einem Schwebezustand, wo das Alte noch nicht ganz weg und das Neue noch nicht ganz da ist. Man will Veränderung vermeiden, müsste aber eigene Entscheidungen treffen und das Loslassen lernen.

    Ein Programmtitel, wie gemacht für den Grabstein

    „Alles, was über das Leben hinausgeht, kann man nicht verstehen“, resümiert der ehemalige Theologiestudent. Das könnte der Grund sein, warum er heute auf den Kabarett-Brettern steht und nicht von einer Kanzel predigt oder im Beichtstuhl Absolution erteilt. Auch wenn sein Programm „Jetzt hätten die guten Tage kommen können“ ein Konjunktiv Irrealis ist und als Inschrift auf einem Grabstein gedacht sein könnte, kommt es der Realität näher, als es manchem lieb sein dürfte.

    Zwischen Beckett und Valentin, absurd, grotesk

    Wer ihn nicht kennt, wartet gespannt auf die Pointe. Doch die ist längst erfolgt – oder kommt erst im nächsten, vielleicht noch absurderen Satz. Wenn man lacht – ist es schon zu spät, wenn man nicht lacht – auch. Ein Warten auf Bonmot gewissermaßen, zwischen Beckett und Valentin, getreu dem absurd-grotesken Motto: „Die Erkenntnis, dass es zu spät ist, kommt ja meistens nicht rechtzeitig.“

    Waghubinger ist Spurensucher und Fährtenleger in einem. Er ist den menschlichen Abgründen auf der Spur. Dabei legt er selbst die Fährten, die an den Rand dieser Abgründe führen. Sie führen zu Glauben und Wissen, Zufall und Notwendigkeit, Angebot und Nachfrage, Bäumen und Menschen, selig und heilig, Religion und Evolution, Homo Sapiens und Neandertaler, geraden und krummen Gurken, Dinosaurier, roten und braunen Eichhörnchen, Quantenphysik. Und dann?

    Der Theologe ist kein Missionar, kein Besserwisser

    Und dann lässt er den Zuhörer allein (denken), auch wenn die Abgründe dank österreichischem Akzent vielleicht leichter zu ertragen sind. Doch der studierte Theologe ist kein Missionar, er weiß keine Antworten auf die Gretchenfragen. Er stellt sie nur. Der gebürtige Österreicher ist kein Besserwisser, eher ein Idealist. Im Tucholsky´schen Sinne ein „gekränkter Idealist: Er will die Welt gut haben, sie ist schlecht, und nun rennt er gegen das Schlechte an“.

    Von Kindheitsträumen und Erwachsenen-Albträumen

    Der „Dachboden“ seiner Kindheit schirmt ihn vor diesem Schlechten ab, wie früher, als er seine Schwammerlsuppe nicht essen wollte und deshalb dorthin verbannt wurde. Zwischen Kindheitsträumen und Erwachsenen-Albträumen wandelt er zwischen der realen und der quantenmikroskopischen Welt, unterm Arm eine verschlossene Kiste mit Schrödingers Katze: „So lange man nicht nachschaut, ist alles möglich“.

    Doch wenn alles möglich ist, war der Abend im TiF vielleicht auch nur ein Waghubinger Paradoxon und man weiß nicht so recht, ob man ihn wirklich erlebt hat oder nicht, ob es ein Dachstuhl war oder ein Beichtstuhl. Es könnte aber auch sein, dass Waghubinger nur ein Spieler ist, wie jener im guten Menschen von Sezuan. Den lässt Brecht sagen: „Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen, den Vorhang zu und alle Fragen offen.“

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