Eine knappe Woche vor der Kommunalwahl bekräftigen Sozialdemokraten und Grüne ihre Forderung nach einem 365-Euro-Ticket in Augsburg . „Solange der öffentliche Nahverkehr teurer ist als das Auto , fahren die Leute mit dem Auto “, so SPD-OB-Kandidat Dirk Wurm . Auch die Grünen halten das Ticket, anders als den von den Linken geforderten Gratis-Nahverkehr, für einen „realistischen Schritt“. Nötig sei aber eine deutliche Anhebung der Parkgebühren. Die CSU sieht ein 365-Euro-Ticket eher skeptisch.
Vorbild für ein 365-Euro-Ticket ist die Stadt Wien , wo das Angebot 2012 eingeführt wurde. „Man muss offensive Angebote bringen, wenn man die Leute zum Umsteigen bringen will“, so Günter Steinbauer, Leiter der Wiener Verkehrsbetriebe, zuletzt auf einer Diskussionsveranstaltung der SPD . Der Anteil des Autos am Wiener Verkehr lag im Jahr 2018 mit 29 Prozent elf Prozent niedriger als 15 Jahre zuvor (zum Vergleich: In Augsburg sind es aktuell 33 Prozent). Die Zahl der Jahreskarten stieg von 300.000 auf 800.000.
Mehr Infrastruktur, teures Parken und günstige Preise
Nötig, so Steinbauer, sei aber ein Paket gewesen: Wien habe in den Jahren vor 2012 das Nahverkehrs-Netz ausgebaut, 2012 wurden die Parkgebühren erhöht und das Anwohnerparken verschärft. Bei der Finanzierung hilft, dass Firmen pro Mitarbeiter und Woche zwei Euro sogenannte „Dienstgeberabgabe“ an die Stadt zu bezahlen haben.
Die SPD versucht auf den letzten Metern des Wahlkampfs, das 365-Euro-Ticket nach vorne zu bringen. Die Tarifreform von 2017 müsse überarbeitet werden, so Wurm , der neben einer Verbesserung für Gelegenheitsnutzer und einer Wiedereinführung des Seniorentickets das 365-Ticket vorschlägt. „Es zieht Nachfrage.“ Bei der Finanzierung sei der Freistaat gefordert. Wurm erinnerte daran, dass Ministerpräsident Markus Söder ( CSU ) im Landtagswahlkampf 365-Euro-Tickets in bayerischen Ballungsräumen in Aussicht gestellt hatte . „Wenn man eine Verkehrswende ausruft, muss man sie auch unterstützen“, so Wurm .
Grüne: Parken in Augsburg ist zu billig
Auch die Grünen zielen in diese Richtung. Nahverkehr müsse bezahlbar sein, so OB-Kandidatin Martina Wild . Allein die Streichung der Semmeltaste bringe 600.000 Euro. Nach Jahren der Stagnation bei den Parkgebühren ließe sich auch an dieser Schraube drehen. Zudem müsse man überprüfen, ob die jährliche Gebühr von 30 Euro für einen Anwohnerparkausweis noch berechtigt sei. „Das sind Steuerungsmechanismen, die bisher zu wenig genutzt werden“, so Wild . In einem ersten Schritt könne es auch darauf hinauslaufen, die Sperrzeit des bisherigen 365-Euro-Abos im AVV von 9 Uhr auf 8 Uhr vorzuverlegen. Viele Berufstätige könnten dann immer noch profitieren.
Die CSU sieht die Vorschläge skeptisch. Der Ruf der SPD nach Geld vom Freistaat sei kein Konzept, sondern eine beliebige Aktion, hieß es zuletzt von Fraktionschef Bernd Kränzle . OB-Kandidatin Eva Weber ließ verlauten, dass die Stadt die Parkgebühren verzehnfachen müsse, wenn mit den Einnahmen ein 365-Euro-Abo finanziert werden soll.
365-Euro-Ticket: 12,5 Millionen Euro weniger für die Stadtwerke
Die prognostizierten Einnahmeausfälle eines 365-Euro-Tickets allein bei den Stadtwerken werden auf 12,5 Millionen Euro jährlich geschätzt, sollte die Sperrzeit ganz wegfallen. Günstiger wäre es, die Sperrzeiten auf 8.30 oder 8 Uhr zu verlegen – gäbe man den Nahverkehr mit dem 365-Euro-Abo schon früher frei, gäbe es AVV-weit Finanzierungslücken zwischen 1,5 und 3 bzw. zwischen 2,5 und 5 Millionen Euro jährlich.
Nicht eingerechnet sind dabei die Kosten, die durch zusätzlich nötige Fahrzeuge und Fahrer entstehen würden, sollte es tatsächlich zu Fahrgaststeigerungen kommen. Nach Einschätzung der Stadt wären sie aber in jedem Fall höher als die Zusatzeinnahmen durch mehr Abonnenten. Am Morgen sind die Fahrzeuge auf einigen Linien heute schon brechend voll. Wurms Parteifreund und Nürnberger Oberbürgermeister Ulrich Maly warnte auf der SPD-Diskussion vor einer zu starken Fokussierung auf den Preis. „Wenn wir neue Fahrgäste anziehen, ohne die Kapazitäten dafür zu haben, vergrätzen wir alte und neue Fahrgäste“, warnte er.
Kritische Stimmen zum 365-Euro-Ticket
Es gibt in der Fachwelt auch durchaus kritische Stimmen zum 365-Euro-Ticket. Das Beratungsunternehmen Civity legte zuletzt etwa dar, dass in Wien der Anteil des Nahverkehrs bis 2012 aufgrund des Infrastrukturausbaus deutlich gestiegen sei, mit der Einführung des 365-Euro-Abos aber weitaus geringer wuchs. Die Preissenkung sei somit nicht der entscheidende Faktor gewesen.
Neben der SPD und den Grünen sprechen sich Pro Augsburg und WSA für ein 365-Euro-Abo aus. In diesem Jahr soll die Tarifreform, die 2017 in Kraft trat, auf ihre Wirksamkeit untersucht werden. Die Stadt Augsburg hat zusätzlich zur AVV-weiten Evaluierung eine eigene Untersuchung in Auftrag gegeben, die die Belange der Stadt besonders im Auge haben soll. Mit Ergebnissen und Vorschlägen ist vor der Wahl nicht mehr zu rechnen.
AVV und auch die Stadtwerke verzeichneten zuletzt Fahrgaststeigerungen , was nicht zuletzt daran liegen dürfte, dass mehr Abos (speziell das 9-Uhr-Abo für 360 Euro ist ein Renner) abgeschlossen wurden, die Zahl der Einzelfahrscheine aber zurückging. Bestimmte Teile der Bevölkerung zahlen seit der Tarifreform allerdings doppelt so viel Geld für eine Einzelfahrt. Das sorgt für Unmut. Punktuell besserten Stadtwerke und Stadt nach ( Cityzone und Kurzstrecke in bestimmten Stadtteilen), eine abschließende Regelung ist noch nicht gefunden.
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