Traumatisierte Menschen, die sich in Anfällen auf dem Boden winden. Frauen, die sich nachts nicht auf die Toilette trauen aus Angst, vergewaltigt zu werden. Menschen, die mit Messern unter dem Kopfkissen schlafen; weil sie fürchten, in ihren Zelten aus Plastiktüten Opfer einer Gewalttat zu werden. Das alles hat Maria Möller, Ärztin in Augsburg, erlebt, als sie im Sommer und Spätherbst 2019 auf der griechischen Insel Lesbos war; sie wollte dort den Flüchtlingen im Lager Moria helfen.
Die Grünen wollen die Aufnahme von Flüchtlingen in Augsburg ermöglichen
Angesichts der Situation in den Flüchtlingscamps auf Lesbos in Griechenland fordert die Augsburger Stadtratsfraktion der Grünen nun einen Bericht darüber, wie viele freie Plätze es für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge derzeit bei den Jugendhilfeträgern in Augsburg gibt. Die Grünen wollen, dass freie Plätze reaktiviert werden, um Aufnahme- und Versorgungsstrukturen zu schaffen. Bisher ist nicht klar, ob und wie viele Flüchtlinge aus Lesbos kommen. Im Bündnis „Städte Sicherer Häfen“ engagieren sich mittlerweile 126 Kommunen. Sie wollen Flüchtlinge auf eigene Initiative aufnehmen – auch in Augsburg gibt es Forderungen dazu.
Was die Ärztin Maria Möller auf Lesbos gesehen und gehört hat, lässt für sie nur einen Schluss zu: „Wir in Europa und Deutschland müssen diese Menschen aufnehmen. So viele wie möglich.“ Insbesondere unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, abgekürzt UMF, und Frauen würden in Moria leiden. Und jetzt frieren die Menschen auf der griechischen Insel auch noch – rund um das Lager sei bereits alles abgeholzt, erklärt Möller. „Bekannte schreiben mir, dass Kinder durch das zum Wärmen verbrannte Holz Vergiftungen erleiden. Es gibt teilweise wochenlang keinen Strom.“ Während im Sommer noch etwa 8000 Menschen dort gelebt haben, sind es nun mehr als 20.000.
Im Jahr 2015, auf dem Höhepunkt der sogenannten Flüchtlingswelle, kamen rund 400 Minderjährige in Augsburg unter. Bis 2020 haben laut Sozialreferent Stefan Kiefer (SPD) 500 bis 1000 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge die hiesigen Einrichtungen durchlaufen, eine genaue Zählung liegt nicht vor. Aktuell leben in Augsburg 114 minderjährige Flüchtlinge – wobei hier auch die bereits volljährigen, sich aber noch in der Jugendhilfe befindlichen Flüchtlinge mitgezählt werden. Das sind in Augsburg die meisten. Damit leistet die Stadt mehr, als sie nach dem Königsteiner Schlüssel müsste.
In Augsburg gibt es freie Plätze für Flüchtlinge
Der wurde 1949 ursprünglich entworfen, um die Finanzierung der deutschen Forschungslandschaft zu sichern. Seit Jahrzehnten legt er auch fest, wie viele Asylbewerber ein Bundesland aufnehmen muss – er richtet sich nach Steuereinnahmen und der Bevölkerungsanzahl. Er wird jährlich neu ermittelt und sieht 92 Plätze für Minderjährige in Augsburg vor. 2019 habe es elf Neuzuweisungen gegeben, erklärt Kiefer. Laut dem SPD-Politiker gibt es in der Stadt aktuell 47 sofort verfügbare Plätze bei freien Trägern. „Eine Belegung dieser Plätze wäre möglich, wobei aufenthaltsrechtliche Fragen und solche der Kostenübernahme zu klären wären.“ Anders als bei den dezentralen Unterkünften für volljährige Flüchtlinge und Familien, hält die Stadt selbst keine Plätze für Minderjährige vor.
Es sind freie Träger selbst, die dafür auch Geld erhalten. Einer ist das Freiwilligenzentrum Augsburg. Ergänzend zur Jugendhilfe gibt es dort das Projekt „Patenschaften für minderjährige unbegleitete Jugendliche“. Seit 2015 unterstützt es das Ankommen der Jugendlichen in der Gesellschaft.
Projektleiterin Gabriele Opas erklärt, zur Zeit habe man 70 Patenschaften. Die Situation bezüglich unbegleiteter minderjähriger Ausländer habe sich etwas entspannt. „Viele Jugendliche sind in einer Ausbildung, machen Sprachkurse und haben auch durch unsere Patenschaften die Chance, wirklich anzukommen.“ Es sei unerlässlich, dass Augsburg die Plätze für die jungen Menschen aus Lesbos reaktiviere und Flüchtlingen so eine Chance auf ein menschenwürdiges Leben gebe.
Augsburg entscheidet nicht über die Kapazitäten für die Aufnahme von Flüchtlingen
Vor große Probleme würde die Aufnahme die Stadt nicht stellen, meint Gabriele Opas. „Die Aufnahme- und Versorgungsstrukturen sind unserer Meinung nach in Augsburg aufgebaut und können sehr gut reaktiviert werden.“ In den Jugendhilfeeinrichtungen gebe es trotz des Abbaus von Plätzen immer noch die Strukturen und gut ausgebildete Erzieher und Gruppenleitungen mit viel Erfahrung. Sozialreferent Kiefer sagt, die Entscheidung darüber, noch größere Kapazitäten für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge aufzubauen, liege beim Bund.
Würde die Bundesrepublik beschließen, 15.000 junge Flüchtlinge von ihnen aufzunehmen, könnte die Stadt ihren Anteil – eben jene 25 bis 50 Menschen – auf die Träger verteilen. Die Kosten trägt dann der Bund. Kiefer sagt: „Dazu sind wir bereit.“ Der Vorschlag der Grünen müsste erst einmal geprüft werden. Die Frage sei, ob die Stadt überhaupt eigenmächtig handeln dürfe und wer dann für die Kosten aufkomme.
Viele der jungen Flüchtlinge von 2015 leben heute in Wohngruppen oder dezentralen Unterkünften. Insgesamt laufe die Aufnahme anerkannter Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt erfolgreich, ebenso die Integration der Menschen. Auch dank vieler Helfer.
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