Siedler erinnern an Kraftakt vor 100 Jahren
Die Wohnbaugenossenschaft gibt zur Jubiläumsfeier eine weitere Chronik heraus
Die Siedlungsgenossenschaft Augsburg-Firnhaberau hat sich selbst und den Genossenschaftsgedanken gefeiert. Vor 100 Jahren wurde sie gegründet, ursprünglich um Industriearbeitern menschenwürdige Wohnungen zu verschaffen. Bis heute hat sie 874 Mietwohnungen, 502 Siedlungshäuser und elf Gewerbegebäude gebaut oder ermöglicht. In den vergangenen zehn Jahren hat ihre Bedeutung wieder zugenommen. Das war bei einem Jubiläumsfest mit zahlreichen Gästen im Neuen Hubertushof zu erfahren. Die Musik steuerte „Café Arrabbiata“ bei.
Die Gründungsveranstaltung der Genossenschaft war am 15. Juli 1920 im Gasthof Drei Königinnen in der Jakobervorstadt. 36 Bauwillige nahmen daran teil und trugen jeweils einen Geschäftsanteil von 200 Mark bei. Von herkömmlichen Häuslebauern unterschieden sie sich dadurch, dass sie sich verpflichteten, eine feste wöchentliche Stundenzahl an Eigenleistungen in ihr Heim zu investieren. In der Zeit unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg waren die Finanzmittel in Deutschland sehr knapp; man forderte den Siedlern daher sogenannte Muskelhypotheken ab.
Für die Siedler bedeutete das harte Arbeit: Die bisherige wilde Auenlandschaft am Lech musste mit einfachen Werkzeugen wie Pickeln oder Spaten urbar gemacht werden; der Wald wurde gerodet, Wege wurden angelegt, der Boden eingeebnet, und dann schuf jeder auf seinem eigenen, ihm zugelosten Grundstück einen Garten. Gebaut wurden zunächst Doppelhäuser nach einheitlichem Bauplan. Die Stadt stellte eine Erschließung des Baugebiets erst in Aussicht, wenn die Genossenschaft dazu Finanzmittel zur Verfügung stellte. Das ist in der Jubiläumschronik der Siedlungsgenossenschaft nachzulesen, die an diesem Abend vorgestellt und an die Festgäste verteilt wurde.
Aufsichtsratsvorsitzender Karl Forner sagte, die ersten Siedler hätten „ein Stück Verwegenheit“ gebraucht. Die Arbeit habe nur in Selbst- und Nachbarschaftshilfe, nach dem Prinzip genossenschaftlicher Solidarität bewältigt werden können. In der Festschrift steht, die Siedler hätten eine Mentalität entwickelt, mit der sie aufkommende Probleme immer möglichst selbst und gemeinsam lösten. Am 6. Februar 1921 wurde die erste Bauhütte aufgestellt, in der der Siedlungsbau organisiert und registriert wurde. Dank einer vorausschauenden Bevorratungspolitik könne die Genossenschaft trotz hoher Grundstückspreise heute wieder bezahlbaren Wohnraum anbieten, sagte Forner. Derzeit entsteht das bisher größte Neubauprojekt am Lux- und Siedlerweg.
Horst Hinterbrandner, CSU-Stadtrat und selbst Vorstand der Wohnungsbaugenossenschaft Eigenes Heim in Lechhausen, gratulierte im Namen der Stadt Augsburg. Die letzten 100 Jahre waren für die Siedlungsgenossenschaft in der Firnhaberau nach seiner Überzeugung erst der Anfang, auch wenn Mietwohnungen inzwischen zu einer Ware und die Genossenschaft zu einem Dienstleister geworden seien. Das unermüdliche Engagement der Genossen sei nach wie vor vorbildlich.
Die Festrede hielt der Direktor des Verbands bayerischer Wohnungsunternehmen und -genossenschaften, Stefan Roth. Er erklärte, was für ein ökonomisches Gebilde eine Wohnungsgenossenschaft ist und wie sie in einem „dritten Weg“ zwischen Kapitalismus und Sozialismus funktioniert. Dabei hob er hervor, dass sie zwar einer Aktiengesellschaft ähnelt, aber nicht nur auf eine Geldrendite ausgerichtet ist. Menschen zu einer Wohnung zu verhelfen, bezeichnete er vielmehr als „soziale Rendite“. Bei einer Genossenschaft gebe es niemals eine Wohnungskündigung wegen Eigenbedarf.
Roth beklagte die Tendenz zur Verrechtlichung, die auch bei Genossenschaften zu beobachten sei. Der Vorstand müsse heute das Mietrecht genau kennen, denn die Menschen seien schnell bereit, ihre Rechte einzuklagen. Dennoch stehe der Mensch nach wie vor im Mittelpunkt, und so könne eine Wohnungsgenossenschaft Großartiges leisten. „Und Sie sind ein leuchtendes Beispiel dafür“, fügte er hinzu.
Die Jubiläumschronik (fester Einband, 124 Seiten, Großformat, viele Abbildungen) kann über die Geschäftsstelle der Genossenschaft, Hubertusplatz 11, Tel.: 708816, kostenlos bezogen werden.
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