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Otto-Riß-Haus: Finanzielle Probleme: Im Augsburger Blindenheim geht die Angst um

Otto-Riß-Haus

Finanzielle Probleme: Im Augsburger Blindenheim geht die Angst um

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    Als die Mutter von Gabriele Fuchs beinahe über Nacht ihr Augenlicht verliert, beginnt für die beiden eine „Odyssee“ – so nennt es Fuchs im Gespräch. Krankenhaus, Reha und immer die Frage: Wo finde ich nun eine angemessene Unterkunft für meine Mutter? „Anfangs wollte meine Mutter gar nicht mehr das Krankenhaus verlassen – so viel Angst hatte sie vor dem, was vor ihr liegt.“

    Ein blinder und pflegebedürftiger Mensch brauche schließlich nicht nur eine Wohnung, in der er sich gut orientieren kann, sondern habe auch einen besonderen Pflegebedarf. Nach langer Suche findet Fuchs das Otto-Riß-Haus in der Jakobervorstadt. Eine Vorzeigeeinrichtung speziell für blinde Menschen, erzählt sie. Sieben Jahre lebt ihre Mutter nun schon dort – Tag und Nacht umsorgt von den Pflegekräften der im Haus befindlichen Sozialstation. Doch das wird sich ab dem 1. Juli ändern.

    Das Konzept im Otto-Riß-Haus Augsburg soll sich ändern

    Dann soll das bisherige Betreuungsmodell aufgelöst werden. So erzählt es nicht nur Gabriele Fuchs, das sagen auch andere, die im Heim Angehörige haben. Etwa Götz Beck, Geschäftsführer der Regio Augsburg Tourismus, dessen Mutter dort lebt. Ursächlich sei die wirtschaftliche Schieflage des Vereins, sagt Beck. Einem unserer Redaktion vorliegenden Schreiben des Vorstands ist zudem zu entnehmen: „Für 2019 wird in der Bilanz des Verein Blindenheim Augsburg e.V. (BHA) ein Verlust zwischen EUR 150.000 und EUR 200.000 auszuweisen sein. Reserven des Vereins sind nahezu aufgebraucht.“ Einblick in die Zahlen des Vereins haben weder Fuchs noch Beck. Diese stammen aus den Reihen des Vorstands.

    Die Vorsitzenden des Vereins, Wolfgang Schäufele und Josef Hutter, wollen sich zu den aktuellen Vorgängen nicht weiter äußern. Für die Kommunikation ist mittlerweile ein Rechtsanwalt zuständig. Fuchs erklärt, die Abkehr vom alten Pflegemodell sei abrupt angekündigt worden. Anfang März habe es eine Infoveranstaltung zur Lage des Heims gegeben. Das ist auch im E-Mail-Verkehr zwischen Schäufele und Fuchs nachzulesen. Auf dieser Veranstaltung seien Bewohner und deren Angehörige vor vollendete Tatsachen gestellt und fast dazu gedrängt worden, den neuen Pflegevertrag mit der Caritas abzuschließen.

    In den Tagen nach der Veranstaltung sei „ausführlich“ in einem Brief über die Situation des Vereins unterrichtet worden, schreibt Schäufele in einer Mail. Und erklärt, der Trägerverein sei „aus wirtschaftlichen Gründen gezwungen“, das bisherige Modell der an das Haus angeschlossenen Sozialstation zu kündigen. Schäufele ist seit Dezember 2019 Zweiter Vorsitzender des Vereins. Im Otto-Riß-Haus sorgt sein Wirken seither für Aufregung. Einige der bisherigen Pflegekräfte sind bereits gekündigt worden, noch arbeiten ein paar von ihnen im Haus. Dort leben etwas mehr als 20 Sehbehinderte und Blinde – nicht alle von ihnen sind pflegebedürftig.

    Das Blindenheim Otto-Riß-Haus ist in Schwaben vielleicht einmalig

    Heidi Horn aber ist es. Die 63-Jährige erblindete nach schwerer Krankheit und sitzt mittlerweile im Rollstuhl. Sie sagt, „im Haus herrscht große Aufregung. Wir haben Angst vor dem, was ab Juli auf uns zukommt.“ Bisher lief das so: Im betreuten Wohnen kümmern sich Pflegekräfte der Sozialstation um die Menschen. Weil die Station im Haus ist, können die Pfleger Tag und Nacht helfen. Horn selbst bezeichnet sich als „Nachteule“. Sie geht gerne zusammen mit einer Freundin ins Restaurant oder besucht Kulturveranstaltungen – Pflegekräfte helfen beim Ankleiden.

    Kommt Horn nach Hause, ist meist schnell jemand in ihrer kleinen Wohnung, um die 63-Jährige zu unterstützen. Als sie sich vor einigen Wochen den Oberschenkel brach, war schnell ein Pfleger zur Stelle, um das Schlimmste zu verhindern. Sie selbst, querschnittsgelähmt und blind, erklärt, die Verletzung nicht bemerkt zu haben.

    Horn sagt, „am Abend spazieren an meinem Fenster die Menschen zum Eis essen vorbei – soll ich in Zukunft gar nicht mehr am Leben teilnehmen können?“ Denn wenn die Caritas ab Juli die Betreuung übernimmt, wird die 63-Jährige gegen halb neun ins Bett gebracht. So zumindest sehen die vorläufigen Planungen aus. Auch die Caritas muss kostenorientiert arbeiten. Zukünftig wird offenbar auch jede zusätzliche Anfahrt des Pflegedienstes abgerechnet. Gabriele Fuchs zeigt eine Kalkulation: Ein nächtlicher Toilettengang der dementen Mutter kostet 40 Euro. Fuchs sagt, sie fürchte bereits Tausende Euro an Zusatzkosten.

    Angehörige wollen eine andere Lösung für das Otto-Riß-Haus

    Bisher seien alles inbegriffen gewesen: Unterbringung, Betreuung und Pflege, geregelt durch individuelle Verträge zwischen Trägerverein und Bewohner. Das Otto-Riß-Haus ist also kein Heim im Sinne des Heimgesetzes, sondern eher ein betreutes Wohnen mit Zusatzangeboten. Schwabenweit wohl ein einmaliges Modell für Blinde und Sehbehinderte. Und, so sagen Fuchs und Beck, genau so etwas brauche es für blinde und pflegebedürftige Menschen. Ein normales Pflegeheim sei da kaum adäquat.

    Dass das vorherige Modell der mehr oder weniger Rund-um-die-Uhr-Betreuung mit viel Pflegepersonal nicht kostendeckend war, ist sowohl Fuchs als auch Beck klar. Sie glauben aber, erklären sie, ein Modell finden zu können, das alle zufriedenstellt. Nur: Der Vorstand sei nicht zu Gesprächen bereit, Einwände und Vorschläge würden überhört.

    Mittlerweile seien viele der Angehörigen und Bewohner in tiefer Sorge, wie es mit ihnen weitergeht. Fuchs jedenfalls will nicht aufgeben. Sie hat nun Mitgliedschaft bei dem Trägerverein beantragt, um Einblick in die Bilanz zu erhalten. Und einen Spendenaufruf bereitet sie ebenfalls vor.

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