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Der Seelensucher

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    Er hat als Landgerichtsarzt das Seelenleben von vielen Mördern, Triebtätern und Drogensüchtigen untersucht. Künftig will er Menschen heilen. Foto: Alexander Kaya
    Er hat als Landgerichtsarzt das Seelenleben von vielen Mördern, Triebtätern und Drogensüchtigen untersucht. Künftig will er Menschen heilen. Foto: Alexander Kaya Foto: Alexander Kaya

    Von Peter Richter und

    Medizinische Gutachten stehen, weil oft schwer verständlich, selten im Rampenlicht der Öffentlichkeit. Es sei denn, der Angeklagte ist prominent wie 2004 Max Strauß. Gruber attestierte dem Sohn des früheren bayerischen Ministerpräsidenten, angeklagt der Steuerhinterziehung, trotz seiner Depressionen verhandlungsfähig zu sein. Was dessen Verteidiger empörte. Hatten sie doch aus München einen Universitätsprofessor mitgebracht, der - wenn auch vergeblich - genau das Gegenteil festgestellt haben wollte.

    Der Anlass für Gruber, diese wie andere Prozesse jetzt Revue passieren zu lassen, ist sein Abschied von der Justiz. Mit 57 will der verheiratete Medizinaldirektor etwas Neues wagen. Er scheidet zum 1. Juni aus dem sicheren Staatsdienst aus, um im Thelottviertel eine eigene Praxis als Nervenarzt zu eröffnen. Es dränge ihn, sagt er, sein Wissen "vielseitiger" einzusetzen. Er will nicht nur Patienten begutachten müssen, er will sie auch behandeln und mit ihnen "Erfolge erleben".

    Eigentlich wollte das schon der junge Gruber. Auf die Idee, ab 1980 in Freiburg Medizin zu studieren, brachte ihn sein Zivildienst im Krankenhaus. "Nach dem Abitur wusste ich, dass ich nie etwas mit Jura zu tun haben wollte", erinnert sich der 57-Jährige. Ein Irrtum. Obwohl, so ganz falsch ist es nicht, denn Gruber ist nie in den Justizdienst eingetreten. Chef der an 22 Landgerichten in Bayern eingerichteten "ärztlichen Dienststellen" ist Gesundheitsminister Markus Söder.

    Jeder Berufsrichter entscheidet frei, wen er als Sachverständigen für seinen Prozess haben möchte. Gruber begrüßt, dass sich Bayern als einziges Bundesland staatlich bezahlte Landgerichtsärzte leistet. Ihr festes Gehalt macht sie von Gutachteraufträgen unabhängig. Die Gerichte greifen immer häufiger auf den Sachverstand von Experten zurück. Allein Gruber hat, seit er am Landgericht ist, 1580 bis zu 100 Seiten starke Gutachten geschrieben. In ihnen fließen die Ergebnisse stundenlanger Gespräche mit Häftlingen ein, sowie die Auswertung der von ihnen beantworteten Testfragen. Der Rat von Mitgefangenen, "stell Dich blöd, aber nicht zu blöd, sonst landest Du in der Psychiatrie", verfängt nicht. Denn es gibt, verrät Gruber, eine "Lügenskala". Der Fragenkatalog ist so aufgebaut, dass die Antworten verraten, wo gelogen wird.

    Nicht immer gelingt es dem Psychiater, sich ein Bild von der Persönlichkeit des Täters zu machen. Zumal, wenn der Beschuldigte hartnäckig schweigt. Mit Schaudern erinnert sich der 57-Jährige an den aufsehenerregenden Mord 2003 in Gersthofen. An jenen 20-jährigen Förderschüler, der wie in einem Horrorfilm getarnt mit einer Totenkopfmaske ins Schlafzimmer der zwölfjährigen Vanessa eindrang und sie erstach. Für den Psychiater ein bis heute rätselhaftes Verbrechen.

    Außer extremer Gefühllosigkeit habe er bei dem Täter keinerlei abartige Neigungen feststellen können. Ganz anders beim Mörder der 18-jährigen Nora aus Haunstetten. Sie war 2008 auf dem Nachhauseweg nachts überfallen, brutal vergewaltigt und getötet worden. Von einem 17 Jahre alten Lehrling, den das Gericht zu zehn Jahren Haft verurteilte, mit anschließender Sicherungsverwahrung. Der 17-Jährige leidet an sich steigernden Gewaltfantasien. "Schwerer Sadismus und Pädophilie", so Grubers Erkenntnis nach zwei Jahrzehnten als Landgerichtsarzt, "lassen sich nicht mehr heilen."

    Eine Herausforderung stellen Gutachten dar, die entscheiden, ob Sexualtäter aus der Haft oder der Sicherungsverwahrung wieder entlassen werden können. Sind sie in Freiheit für die Allgemeinheit noch gefährlich oder nicht? Man kann auch falsch liegen, räumt Richard Gruber selbstkritisch ein. "Manchmal kommt man an den Kern eines Menschen einfach nicht ran."

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