Der Kommunalwahlkampf 2020 ist digitaler, als es je einer in Augsburg war. Wer jüngere Wähler erreichen will, muss sie in ihrer Welt abholen. Dazu zählen soziale Netzwerke wie Facebook, Instagram oder Twitter. Ihre Algorithmen spielen den Nutzern immer wieder die Themen aus, die sie interessieren. Videos von Podiumsdiskussionen, Live-Debatten mit Nutzern, Fotos von Wahlkampfauftritten, ein paar persönliche Einblicke – wer es geschickt anstellt, vermittelt den Menschen den Eindruck, hautnah am Wahlkampf teilzunehmen. Und: Kandidaten werden nahbarer; vor allem für Bürger, die weder an einer Debatte im Pfarrsaal teilnehmen noch sich einem Infostand nähern würden.
Das Facebook-Video hat Unterhaltungswert: Dirk Wurm, Oberbürgermeisterkandidat der SPD, sitzt bei Gegenlicht vor seinem Handy und spricht im Live-Chat mit Bürgern. Nach zehn Minuten bricht der Ton ab, doch Wurm, der gerade noch selbstironisch festgestellt hat, er könne auch „eine Stunde durchreden“, spricht noch 20 Minuten weiter. Er hat das technische Problem nicht erkannt. Ein paar Minuten nach der Live-Schaltung postet Wurm ein zweites, kürzeres Video. Es ist die Zusammenfassung seiner vorherigen Ausführungen – verbunden mit dem Versprechen, den Ton nächstes Mal im Griff zu haben.
Rund 50 Prozent des Wahlkampf-Budgets werden online ausgegeben
Experten gehen davon aus, dass inzwischen – zumindest bei Bundestagswahlen – rund 50 Prozent des Wahlkampfbudgets online ausgegeben werden. Auf kommunaler Ebene dürfte es etwas weniger sein: Stadtrats- und (Ober-)Bürgermeisterwahlen sind Persönlichkeitswahlen. Im besten Fall kennt man die Kandidaten, denen man seine Stimme gibt; sie sind Nachbarn, im selben Verein aktiv, engagieren sich für den Stadtteil. Dennoch: Auch hier ist das Internet unverzichtbar geworden.
Nützlich ist es vor allem für kleinere Parteien und Gruppierungen, die weniger Geld und Personal für den Wahlkampf zur Verfügung haben als die Volksparteien. Alle 15 Wählervereinigungen und Parteien, die in Augsburg antreten, nutzen soziale Netzwerke, um für ihre Positionen zu werben. Vor allem die Gruppierungen, die Unterstützer-Unterschriften sammeln mussten, um antreten zu können, warben dafür auf Facebook und Co. Dabei standen weniger Themen im Fokus, als die Kandidaten selbst. Soziale Netzwerke funktionieren über die persönliche Ansprache.
Umso erstaunlicher, dass Andreas Jurca, OB-Kandidat der AfD, im Vergleich zu seinen Mitbewerbern kaum personalisierten Posts absetzt. Gerade seine Partei führt schließlich einen intensiven Online-Wahlkampf – sowohl auf Landes-, als auch auf Bundesebene. Auf der Augsburger AfD-Facebook-Seite aber gibt es vor allem allgemeine, bundespolitische Nachrichten. Wer versucht, kommunale Themen oder gar den Kandidaten dahinter zu entdecken, tut dies nahezu vergeblich.
Wie ein Auszug aus dem Wahlkampf-Kalender
Augsburgs OB-Kandidaten fühlen sich in den sozialen Netzwerken mehr oder weniger zuhause. Die Grünen-Politikerin Martina Wild hat ihren Facebook-Account erst vergangenen August angelegt. Ihr Auftritt erscheint sich wie ein Auszug aus ihrem Wahlkampf-Kalender: Öffentliche Termine zu allerlei Themen, Privates dagegen verrät sie kaum. Dabei hätte Wild hier Nachholbedarf, denn den Mensch hinter der Politikerin kennen nur wenige. Als Grünen-Fraktionschefin hat Wild bislang mehr im Hintergrund gearbeitet als ihre Mitbewerber Eva Weber (CSU) und Dirk Wurm. Die beiden städtischen Referenten lassen schon lange keine Gelegenheit mehr für öffentliche Auftritte aus und nehmen dazu gerne auch ihre Partner mit.
Wer das „Online-Marketing“ nahezu perfekt beherrscht, ist Eva Weber. Auch sie konzentriert sich in sozialen Netzwerken zwar auf Sachthemen, streut aber immer wieder persönliche Fotos und Gedanken ein. Weber hat ein eigene Hasthags entwickelt, also Schlagwörter, mit denen sich Nachrichten im Internet einfach von vielen Menschen finden lassen. Sie hat zudem einen Podcast gestartet – ein Audio-Format, das laut Studien vor allem 30- bis 49-Jährige erreicht, aber auch jüngere Generationen anspricht. Die CSU-Kandidatin überlässt in ihrer Kampagne nichts dem Zufall: So spontan ihre Videos und Bilder wirken, alles ist bis ins Detail inszeniert.
Das Internet, kein Ersatz für persönliche Begegnungen
Die wenigsten Kandidaten sind zeitlich in der Lage, ihre Facebook- und Instagram-Accounts selbst zu „füttern“. Wie hinter jedem „analogen“ Wahlkampf steckt auch hinter den Online-Präsenzen oft ein größeres (und gut geschultes) Team. Das missglückte Live-Video von Dirk Wurm ist da schon sympathisch, weil Persönliches durchschimmert. Es zeigt, dass da einer mit sozialen Netzwerken und der Technik spielt, der nicht in der digitalen Welt aufgewachsen ist und sich erst mit ihr anfreunden musste. In vielen anderen Fällen zeigen Facebook- und Instagramseiten eben genau das inszenierte Bild, das der Kandidat von sich vermitteln will und sind damit als Ersatz für eine persönliche Begegnung kaum geeignet...
Lesen Sie dazu auch den Kommentar von Redakteur Stefan Krog: Radler-Begehren: Jetzt kommt noch Spannung in den Wahlkampf
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