Es ist ein Thema, das die Politikerin Eva Weber umtreibt. Schon als Kandidatin und nun auch als Oberbürgermeisterin der Stadt Augsburg. Immer wieder greift sie in Reden die Frage auf, wie es gelingt, die Gesellschaft zusammenzuhalten. Tatsächlich gibt es sie ja, die zunehmende Aufspaltung in durch Einzelinteressen geprägte Gruppen. Vor der Kommunalwahl im Frühjahr hatten deshalb auch viele, vor allem in der Politik, gebangt, wie hoch die Wahlbeteiligung ausfallen würde. Denn auch hier ist schon lange etwas ins Rutschen geraten.
In den ersten Nachkriegsjahrzehnten lag die Beteiligung bei Stadtrats- und OB-Wahlen in Augsburg fast ausnahmslos im Bereich zwischen 65 und 75 Prozent. Ab den 1990er Jahren zeigte die Kurve dann deutlich nach unten. Der Tiefpunkt bisher lag im Jahr 2014, als nur noch 41,2 Prozent der Wahlberechtigten ihr Wahlrecht nutzten. Würde die Quote dieses Mal sogar unter 40 Prozent sinken? Ganz so schlimm kam es nicht. Im Gegenteil: Die Interesse stieg erstmals seit längerer Zeit wieder leicht an. Bei der Stichwahl zwischen Eva Weber und SPD-Konkurrent Dirk Wurm lag die Beteiligung bei immerhin 48,1 Prozent.
Die Hälfte der Augsburger interessiert sich nicht für die Politik in der Stadt
Dennoch - und das kann einem schon zu denken geben: Rund die Hälfte der Augsburger im wahlberechtigten Alter interessiert sich offenbar nicht oder nur wenig für die Politik in der Stadt. Zumindest reicht das Interesse nicht, um alle paar Jahre bei einer Wahl abzustimmen. In diesem Jahr wäre es bei der OB-Stichwahl in Augsburg sogar besonders leicht gewesen. Wegen der Corona-Krise gab es nur eine Briefwahl, die Stimmzettel dafür wurden allen nach Hause geschickt. Eva Weber weiß, dass trotz ihre deutlichen Wahlsiegs genau genommen nur 30 Prozent Wahlberechtigten für sie gestimmt haben.
Auch als sie noch Kandidatin war, beim Neujahrsempfang der Augsburger CSU im Januar, ging Weber darauf ein. Die Zusammenführung der Lager in der Gesellschaft und der Dialog sei "Hauptaufgabe der nächsten Jahre", sagte sie. Es gebe auch in Augsburg einen Teil der Bevölkerung, der sich "aus Angst und Wut" abgekoppelt habe von den rasanter werdenden gesellschaftlichen Entwicklungen. Bei ihren Gesprächen mit Bürgern habe sie erlebt, dass es viele gegensätzliche Meinungen gebe, begonnen vom Verkehr über den Klimaschutz bis hin zur Integration. Einfacher geworden ist es seither nicht. Im Gegenteil: Die Corona-Krise mit ihren Einschränkungen für das Alltagsleben hat die Spaltung eher noch befördert. Kritiker der Corona-Maßnahmen sehen in der Politik mehr ein großes Übel als ein Gewinn.
Mehr Bürgerbeteiligung lautet gemeinhin das Schlagwort, mit dem man all diesen Problemen begegnen will. Auch Eva Weber hat sich das im Wahlkampf auf die Fahnen geschrieben. Und sie hat damit auch recht: Politiker und Stadtverwaltung müssen versuchen, die Bürger einzubinden und abzuholen. Sie müssen dabei aktiv auf die Menschen zugehen. Eine Bürgersprechstunde anzubieten und zu warten, ob jemand vorbeikommt, das reicht schon lange nicht mehr. In der Corona-Krise will Eva Weber nun mit einem Bürgerbeirat die Menschen einbinden. Es gebe viele Fragen, auch Kritik - und dafür müsse es auch Raum geben, argumentiert sie.
Bürger in Augsburg sollen mitreden: Eignet sich ein Losverfahren?
Dieses Anliegen ist gut. Ob sich die Methode - das Losverfahren - eignet, um einen Beirat zu finden, der wirklich die Bürgerinteressen widerspiegelt, muss sich erst noch zeigen. Eine andere Variante wäre gewesen, Menschen aus unterschiedlichen Gruppen und Schichten einzuladen. Die Oberbürgermeisterin sagt, man müsse die Dinge mal ausprobieren - auch mit der Gefahr, dabei Fehler zu machen. Das ist erfrischend ehrlich. Allerdings muss man auch aufpassen, die Bürger nicht zu enttäuschen. Gerade Corona ist ein sensibles Thema. In dem Beirat muss Weber ebenso deutlich erklären, was die Stadt überhaupt entscheiden kann - und wo die Regeln an anderer Stelle gemacht werden.
Die Stadt setzt schon jetzt häufig bei Bauprojekten, bei der Umgestaltung von Stadtvierteln und bei Neubaugebieten auf Bürgerbeteiligung. Solche Bürgerwerkstätten sind gute Plattformen, um konkrete Wünsche aufzunehmen. Hier können wertvolle Ideen entstehen. Man darf dabei aber nie vergessen: Repräsentativ ist auch das nicht. Bei der Bürgerbeteiligung zur Sanierung des Staatstheaters etwa haben viele kulturinteressierte Augsburger engagiert mitgearbeitet. Daraus aber den Schluss zu ziehen, es handle sich bei deren Wünschen de facto um den "Bürgerwillen", ist falsch. Es handelt sich eher um den Willen einer bestimmten Gruppe. Deren Anliegen können durchaus berechtigt sein, sind aber eben nicht unbedingt mehrheitsfähig.
Die Entscheidung selbst muss weiter beim Stadtrat liegen
Am Ende muss es den offiziellen Organen unserer Demokratie überlassen zu sein, die wesentlichen Entscheidungen zu treffen. Der Stadtrat ist und bleibt die gewählte Vertretung der Augsburger Bürger. Er kann sich durch Beiräte Anregungen, Meinungen und Fachwissen einholen. Aber zu entscheiden und dies dann auch vor den Bürgern zu vertreten, das obliegt dem Rat selbst.
Eva Webers Idee, die Stadtviertel noch stärker in den Blick zu rücken und dort eigene Bezirksausschüsse einzurichten, kann Politik noch näher zu den Menschen bringen. Aber auch der Vorschlag ihres Konkurrenten im Wahlkampf, Dirk Wurm, in kurzen Abständen Stadtteilversammlungen abzuhalten, bei denen die Verwaltung den Bürgern Rede und Antwort steht, ist ein guter Gedanke. Und dann sind da noch die Möglichkeiten des Internets, die man konsequent nutzen sollte. Die Frage, ob man Ratsitzungen live übertragen kann, sollte unbedingt noch einmal diskutiert werden.
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