Stefan Doesel, wie viel arbeiten Sie als Hausarzt in Haunstetten in Zeiten von Corona?
Stefan Doesel: Bislang arbeite ich nicht mehr als sonst – 55 Stunden die Woche. Doch ich glaube, das ist die Ruhe vor dem Sturm. Aber meine Mitarbeiterinnen trifft es schlimm. Bei ihnen schellt ununterbrochen das Telefon. Sie nehmen die Anrufe zum Teil zu dritt entgegen.
Wer ruft bei Ihnen an?
Doesel: Hauptsächlich rufen die eigenen Patienten an, aber natürlich auch andere. Denn in Haunstetten sind schon Arztpraxen geschlossen. Eine wohl, weil dort ein Covid-Fall vor Ort war.
Werden Patienten nur noch mit Termin bei Ihnen in die Praxis gelassen?
Doesel: Das wäre wünschenswert, aber das ist nicht realistisch.
Wie gehen Sie mit den Patienten um, die in Ihre Praxis kommen?
Doesel: Es ist tatsächlich schwierig, die Patientenströme zu kanalisieren. Alle, die keine Infektsymptome haben, wie etwa Rücken- oder Magenschmerzen, kommen in die normale Sprechstunde. Für alle anderen, die grippale Symptome oder Anzeichen einer Erkältung aufweisen, für die richten wir täglich eine Infektionssprechstunde ein. Hier können wir natürlich nicht von vornherein kanalisieren, ob es sich nur um einen bloßen Husten handelt oder vielleicht um Covid-19.
Sind die beiden Sprechstunden räumlich getrennt?
Doesel: Nein, dazu haben wir die Räumlichkeiten nicht. Wir trennen das zeitlich. Nach jeder Infektionssprechstunde werden die Räume von uns durchgelüftet und gereinigt. Wir desinfizieren sämtliche Flächen und Türklinken. Halten wir eine Infektionssprechstunde ab, weist ein rotes Stoppschild an der Praxistür darauf hin. Das heißt dann für die Patienten, man darf die Praxis nur mit entsprechenden Terminen betreten.
Halten sich alle Patienten daran?
Doesel: Die meisten sind vernünftig. Aber leider nicht immer alle. Es kann trotzdem sein, dass die 80-jährige Rentnerin hereinkommt, um sich ein Rezept für ein Medikament zu holen, also genau die Risikogruppe, die wir schützen wollen.
Apropos Schutz. Sind Sie ausreichend mit Schutzmaterialien ausgestattet?
Doesel: Das ist unser größtes Problem. Denn eigentlich müssten wir in ein paar Tagen die Praxis schließen. Denn unsere Schutzkittel und Atemschutzmasken werden knapp. Wir tragen diese jeden Tag. Aktuell haben wir nur noch 25 Masken, wir sind aber neun Leute. Normalerweise sollte man die Masken nach drei Stunden wegschmeißen. Weil es aber derzeit keinen Nachschub gibt, wird empfohlen, sie zu desinfizieren und mehrere Tage zu verwenden.
Vom wem erhalten Sie die Atemschutzmasken?
Doesel: Von einem Zulieferer aus der Region. Doch wir können bei ihm aktuell nichts mehr bestellen. Kein Desinfektionsmittel, keine Handschuhe, keine Masken und keine Schutzanzüge. Angeblich sei alles beschlagnahmt worden. Er bekommt selber nichts mehr geliefert. Ich habe deshalb auch jemanden von der Uniklinik telefoniert. Er erzählte mir, dass es dort auch mit der Ausrüstung knapp werde.
Wie wichtig ist die Schutzausstattung für Ihre Arbeit?
Doesel: Sie ist Grundvoraussetzung, dass der Betrieb in der Praxis aufrechterhalten werden kann. Es geht dabei nicht nur um die Patienten. Als Arbeitgeber habe ich auch meinen Mitarbeitern gegenüber eine Sorgfaltspflicht, dass sie sich nicht anstecken. Ich fragte beim Gewerbeaufsichtsamt nach. Dort sagte man mir, dass ich schließen müsse, wenn ich keine Masken mehr habe. Als ich mein Problem schilderte, fragte die Behörde beim Gesundheitsministerium nach.
Und, was kam dabei heraus?
Doesel: Der Mangel an Masken wurde bestätigt. Plötzlich hieß es, dass es unsere eigene Entscheidung sei, ob wir die Praxis weiter geöffnet halten – im Fall, dass die Masken ausgegangen sind. Die Verantwortung wird auf uns Ärzte abgewälzt. Das heißt, ich stecke im Dilemma zwischen meiner ethischen Verantwortung, den Patienten zu helfen und sie nicht im Stich zu lassen oder aber den Arbeitsschutz für meine Mitarbeiter und mich zu gewährleisten. Aber es gibt eine neueste Information. Die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns erwartet angeblich eine Ladung an Atemschutzmasken. Ich hoffe, dass der Engpass damit behoben wird.
Das heißt, Sie desinfizieren Ihre restlichen Schutzmasken, solange es noch geht, und hoffen jetzt auf baldigen Nachschub?
Doesel: Ja. Aber es wird verdammt eng. Und es gibt Vorfälle, die werfen uns zusätzlich zurück. So wie gestern.
Was war passiert?
Doesel: Eine Patientin kam mit ihrem Kind in unsere normale Sprechstunde. Nach der Untersuchung zog sie einen Zettel vom Gesundheitsamt hervor. Demnach hatte das Kind Kontakt zu einer mit Corona infizierten Person gehabt. Eigentlich hatte es eine Kontaktsperre. Wir kontaktierten danach das Gesundheitsamt und mussten die Praxis komplett desinfizieren. Außerdem mussten wir unsere Masken wegwerfen, wo wir doch sowieso schon so knapp damit sind.
Zur Person: Stefan Doesel, 51 Jahre alt, ist Hausarzt. Er betreibt eine Arzt-Praxis im Augsburger Stadtteil Haunstetten und ist außerdem auch als Notarzt tätig.
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