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Corona-Krise: Große Geschäfte bleiben geschlossen: Wie Corona die Modebranche beutelt

Corona-Krise

Große Geschäfte bleiben geschlossen: Wie Corona die Modebranche beutelt

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    Allein auf der Etage: Das Augsburger Stammhaus von Rübsamen bleibt geschlossen. Modeberaterin Christine Settele ist aber nicht untätig. Sie stellt ihren Stammkundinnen neue Kombinationen mittels WhatsApp zu.
    Allein auf der Etage: Das Augsburger Stammhaus von Rübsamen bleibt geschlossen. Modeberaterin Christine Settele ist aber nicht untätig. Sie stellt ihren Stammkundinnen neue Kombinationen mittels WhatsApp zu. Foto: Ulrich Wagner

    Ein BH kann begeistern. Keine Frage. Silke Gintzel strahlt übers ganze Gesicht und hebt das terracottafarbene Teilchen geradezu triumphierend in die Höhe. "Er ist da", ruft sie. "Endlich!" Schon lange hat sie gerade auf dieses Modell gewartet. Bestellt war es. Doch ob auch kommt, was geordert wird, das ist so eine Frage in diesen Tagen. In einer Zeit, in der nichts mehr normal ist. In der vieles, auch der Kauf eines BHs, nicht mehr so ist, wie es noch bis vor kurzem war. Zumindest nicht für all diejenigen, die gerne in ein Geschäft gehen. Auch Modegeschäfte mussten am 18. März schließen. Und nicht alle dürfen an diesem Montag wieder öffnen.

    Geschlossen bleibt, wer mehr als 800 Quadratmeter Verkaufsfläche hat. Beispielsweise auch das Stammhaus von Rübsamen in Augsburg mit seinen 3500 Quadratmetern. Geschlossen heißt freilich nicht, dass gar nichts mehr geht. Im Untergeschoss steht jemand. Eine einzige Verkäuferin: die Abteilungsleiterin Silke Gintzel. Umgeben von Wäsche in herrlicher Fülle. Doch es herrscht eine gespenstische Stille.

    De Corona-Krise ist eine "epochale Erschütterung"

    Dort, wo normalerweise Kundinnen neue Kollektionen betrachten, Stoffe befühlen, Teile anprobieren, sich beraten lassen, sicher auch so manchen Plausch genießen – dort ist niemand mehr. Seit Wochen. Eine Situation, wie sie bei Rübsamen noch keiner erlebt hat. Dabei gibt es das Familienunternehmen schon lange. Seit 120 Jahren. Doch nun erlebt es eine völlig unvorhersehbare "epochale Erschütterung", wie sich Geschäftsführer Marcus Vorwohlt ausdrückt. Denn die Modebranche trifft es hart. Knallhart.

    Marcus Vorwohlt ist der Geschäftsführer des traditionsreichen Augsburger Modeunternehmens Rübsamen.
    Marcus Vorwohlt ist der Geschäftsführer des traditionsreichen Augsburger Modeunternehmens Rübsamen. Foto: Ulrich Wagner

    Angesichts des nahezu weltweit zusammengebrochenen Marktes für Mode und Textilien und des langen Shutdowns sind die Umsätze allein bei den Bekleidungsunternehmen um bis zu 85 Prozent und mehr eingebrochen, meldet der Gesamtverband der deutschen Textil- und Modeindustrie. Präsidentin Ingeborg Neumann appelliert eindringlich an die Politik, zu handeln, ansonsten drohe eine Pleitewelle. Vor allem eine Öffnung aller Läden sei wichtig. Allerspätestens im Mai.

    "Später als Mai ist undenkbar", sagt auch Marcus Vorwohlt und beginnt in der Mitarbeiterlounge, im obersten Stockwerk des Augsburger Modehauses, vorzurechnen: Etwa zehn Millionen T-Shirts, Hosen, Blusen oder Socken gehen täglich allein in Deutschland über die Ladentheke. In normalen Zeiten. Seit dem 18. März geht nichts mehr.

    Neben Kleidung häuft sich eines an: ein gigantischer Verlust

    "Circa 500 Millionen Teile wurden also nicht verkauft. Schon, wenn man von einem Einkaufswert von im Schnitt 23 Euro pro Teil ausgeht, ergibt das einen Verlust nur des Einkaufswertes von rund zwölf Milliarden Euro." Der Verkaufswert liege bei etwa 25 Milliarden Euro. Diese Summe kompensieren zu wollen – "ein Ding der Unmöglichkeit".

    Zumal zu berücksichtigen ist: "Mode ist ein verderbliches Gut. Nach etwa drei Monaten beginnen wir in der Regel zu reduzieren, weil schon wieder die neue Kollektion da ist. Dann müssen Sie noch einmal etwa 30 Prozent abziehen." Was sich also anhäuft, im Modehandel, ist neben Kleidung vor allem eines: ein gigantischer Verlust.

    Dabei hat die Krise erst begonnen. Davon ist Marcus Vorwohlt überzeugt. Phase eins: der Stillstand. Phase zwei: beginnt jetzt. An diesem Montag. Wenn etliche Geschäfte wieder öffnen. Auch Rübsamen kann Standorte aufsperren. Friedberg etwa. Landsberg. Aichach. Murnau. "Doch es wird nicht gleich alles gut, nur weil wir wieder öffnen", sagt Vorwohlt. Er erwartet keinen Ansturm, keine Normalität. Zu stark hat die Krise alle Prozesse durcheinandergewirbelt. Haben jetzt die Händler zu viel Ware, könnte im Herbst zu wenig da sein.

    Und dann? "Dann kommt Phase drei", sagt Vorwohlt. Im nächsten Frühjahr. Im nächsten Sommer. "Die neue Normalität." Erst dann werde sich zeigen, was bleibt.

    Doch was ist mit dem Onlinehandel? War er nicht immer der Gewinner? Wurden dort nicht ständig steigende Verkaufszahlen gemeldet? "Unser Onlinehandel läuft gut", sagt Vorwohlt und lächelt. Das große Geschäft aber, nein, das werde dort nicht gemacht, auch nicht auf Plattformen wie Zalando oder Amazon. 30 Prozent des Umsatzes erwirtschafte man im Schnitt online, etwa 70 Prozent im stationären Handel. "Der Onlinehandel hilft uns jetzt", sagt Vorwohlt, "das Problem aber, das löst er nicht."

    Peter Schöffel erwartet eine große Bereinigung des Marktes

    Und nicht nur der Modehandel hängt von geöffneten Läden ab. Auch so einen bekannten Freizeit- und Outdoor-Bekleidungshersteller wie Schöffel trifft der Lockdown empfindlich. Das wird schnell im Gespräch mit Firmeninhaber Peter Schöffel deutlich. Auch Schöffel ist ein Familienunternehmen. Eines mit langer Tradition: Seit über 200 Jahren besteht es und beschäftigt heute allein an seinem Stammsitz in Schwabmünchen bei Augsburg etwa 200 Mitarbeiter.

    Peter Schöffel, Inhaber des gleichnamigen bekannten Freizeit- und Outdoor-Bekleidungsherstellers, nennt die Zeit herausfordernd. Er erwartet eine große Bereinigung des Marktes. Schöffel selbst aber, da ist sich Peter Schöffel sicher, ist ein solides Unternehmen und wird die Krise meistern.
    Peter Schöffel, Inhaber des gleichnamigen bekannten Freizeit- und Outdoor-Bekleidungsherstellers, nennt die Zeit herausfordernd. Er erwartet eine große Bereinigung des Marktes. Schöffel selbst aber, da ist sich Peter Schöffel sicher, ist ein solides Unternehmen und wird die Krise meistern. Foto: Schöffel

    "Herausfordernd" nennt Schöffel die Zeit. Ein Drittel seiner Mitarbeiter ist in Kurzarbeit, der Vertrieb zu 100 Prozent. "Drei Viertel unseres Geschäfts läuft über den Fachhandel", sagt Schöffel, "Er ist unser wichtigster Partner. Denn Beratung ist sehr wichtig und das fehlt vielen Kunden online." Was hinzu kommt: Auch Schöffels Ware ist "verderblich": Im Sommer wird eine andere Bekleidung fürs Wandern, Radeln und Bergsteigen benötigt als im Frühjahr, Herbst oder Winter.

    Fällt eine ganze Saison, wie nun das Frühjahr, komplett aus, wird das in den Zahlen deutliche Spuren hinterlassen, sagt Schöffel. "Zumal im Frühjahr vor allem hochpreisige Jacken verkauft werden. Damit wird uns ein erheblicher Teil unseres Umsatzes fehlen, was wir auch im Ergebnis spüren werden."

    Und selbst wenn die Geschäfte wieder öffnen dürfen, ist auch nach Einschätzung von Schöffel die Krise längst nicht vorbei: "Der Schock sitzt tief in der Bevölkerung. Wie die Menschen in den nächsten Wochen und Monaten reagieren, wie viel und was sie konsumieren, ist schwer vorherzusehen."

    Leichter zu prognostizieren sind für Schöffel die wirtschaftlichen Folgen. "Machen wir uns nichts vor", sagt der 59-Jährige. "Der Staat kann gar nicht alle Firmen retten. Das wäre nicht zu bezahlen." Und Unternehmen, die vielleicht gerade jetzt viel investiert haben, die Probleme haben, könnten seiner Einschätzung nach zu denen gehören, die nicht überleben. Schöffel ist sich sicher: "Es wird eine große Bereinigung des Marktes geben, und mit den betroffenen Firmen werden auch viele Jobs wegfallen."

    Doch es sei eben auch die Stunde der soliden Unternehmen. Und zu denen zählt Schöffel sein eigenes: "Wir haben immer so gewirtschaftet, dass das Unternehmen genug Polster hat. Wir haben Gewinne im Unternehmen belassen und waghalsige Risiken gemieden. Ich bin deshalb sicher, wir werden die Krise meistern."

    Verändert sich die Textilbranche nach Corona?

    Die Textilbranche allerdings, sie könnte sich verändern. Denn Schöffel hat die Hoffnung, dass die Krise Menschen zum Umdenken bringt. "Viele haben jetzt mehr Zeit. Sie gehen bewusster raus in die Natur und genießen sie. Sie denken darüber nach, was wirklich wichtig ist. So könnte der Nachhaltigkeitsgedanke sogar an Bedeutung gewinnen und der Wunsch nach hochwertigen Produkten wachsen."

    Wäre dies ein Resultat der Krise, erfüllte sich für Mara Michel ein lang gehegter Wunsch. Was die Geschäftsführerin des Netzwerkes Deutscher Mode- und Textildesigner dieser Tage erlebt, "ist eine Katastrophe". Michel nennt das Ganze einen Teufelskreislauf. Denn nicht nur die Modehändler und Hersteller kämpfen um ihre Existenz, auch die Mode- und Textildesigner. "So lange die großen Händler nicht öffnen dürfen und nur Verluste anhäufen, kauft auch keiner ein. Die Industrie produziert weniger und fragt vor allem überhaupt nicht nach Neuem. Dies wiederum hat zur Folge, dass Designer überhaupt nicht gebraucht werden. S. Oliver beispielsweise hat einfach 170 Leute entlassen – darunter vor allem auch Designer."

    In der Modebranche sind tausende Jobs in Gefahr

    Handel Der stationäre Textil-, Schuh- und Lederwarenhandel umfasst nach Angaben des Handelsverbands Textil rund 33.000 Unternehmen mit fast 80.000 Verkaufsstellen. Er erzielt einen Umsatz von etwa 50 Milliarden Euro und beschäftigt rund 440.000 Mitarbeiter.

    Hersteller Die deutschen Bekleidungshersteller haben nach Angaben des Gesamtverbandes der deutschen Textil- und Modeindustrie im vergangenen Jahr mit insgesamt rund 26.000 Beschäftigten in Deutschland rund 6,4 Milliarden Euro Umsatz erwirtschaftet. (huda)

    Für die Designerin Michel steht aber auch fest: Dass die Mode jetzt überhaupt in eine so existenzielle Krise gerutscht ist, hat ihre Ursachen vor Corona. "Die Mode dümpelt in Deutschland doch seit Jahren nur noch so dahin." Es gebe kaum noch wirkliche Mode, sondern vor allem Alltagskleidung. Das, was Mode ausmacht, Kleidung, die den persönlichen Typ unterstreicht, die Menschen aus der Masse heraus hebt, die Träume am eigenen Körper visualisiert, das finde man doch kaum noch. Leider.

    Die Kleiderschränke sind doch längst voll

    Zu wenig mutig sei die Industrie, zu wenig mutig der Handel, zu wenig mutig auch die Kunden. "Die Modebranche setzt in Deutschland nur noch auf Masse und wundert sich, dass die Menschen nicht kaufen. Dabei sind doch die Kleiderschränke längst übervoll und noch dazu mit immer dem Gleichen", sagt Michel.

    Für die erfahrene Designerin gibt es nur einen Weg, und der führt zurück: "Wir müssen Mode wieder stärker in Deutschland produzieren. Wie müssen hin zu einer nachhaltigen, hochwertigen Mode kommen und weg von der Masse."

    Doch was passiert jetzt eigentlich mit der vielen unverkauften Frühjahrsware? Die Lager sind voll. Ab Mai werden die Sommerkollektionen verkauft. "Einen Teil der Ware können wir an unsere Markenanbieter zurückschicken", sagt Marcus Vorwohlt. "Das können wir aber nur tun, weil lange Bindungen bestehen."

    Hört man sich in der Branche um, haben die größten Probleme wohl die ganz großen Bekleidungsketten. Sie importieren direkt aus Asien und stehen seit Wochen mit viel Ware in leeren Geschäften da. Eine riesige radikale Rabattschlacht wird daher befürchtet. Doch könnte es auch sein, dass so manches Stück aus der Frühjahrskollektion 2020 einfach im Frühjahr 2021 wieder auftaucht. Eine klare Antwort auf diese Frage, es gibt sie noch nicht.

    Bei Rübsamen wird mit den Kunden telefoniert

    Bei Rübsamen geht man noch einen anderen Weg. Einen ganz persönlichen: Man telefoniert. Direkt mit den Kunden. "Das können wir natürlich nur machen, weil wir sehr viele Stammkunden haben", sagt Vorwohlt. Und weil er langjährige Mitarbeiter wie Martina Kuchenbaur hat. Ihr Reich ist die Herrenabteilung. Sie weiß nicht nur, wo jedes Hemd, jede Hose, jedes T-Shirt liegt, sie kennt vor allem ihre Kunden. "Wenn ich die Stimme höre, erkenne ich meine Kunden meist gleich", sagt die zierliche Beraterin, lächelt und legt ein paar Jeanshosen fein säuberlich zusammen. "Und wenn ich die Stimme höre, habe ich gleich ein Bild vor Augen."

    Das kommt offenbar an. Martina Kuchenbaur telefoniert viel. "Viele Kunden rufen auch nur an, um ein wenig zu plaudern." Ein Herr hat gleich dreimal angerufen. An einem Tag. Zwar habe er immer wieder etwas bestellt, mal Hemden, mal Unterhemden, dann Socken – "aber ein bisschen war ich auch Seelendoktor", sagt sie nicht ganz ohne Stolz.

    Eine Luxusboutique am Kurfürstendamm, die aufgrund der Corona-Edidemie geschlossen ist, hat seine Schaufenster verhängt.
    Eine Luxusboutique am Kurfürstendamm, die aufgrund der Corona-Edidemie geschlossen ist, hat seine Schaufenster verhängt. Foto: Jens Kalaene, dpa

    Modeberaterin Christine Settele berät weiter – und zwar übers Smartphone.

    Dass die Seele sich oft gerade durch den Kauf eines schicken Kleides, einer tollen Hose, eines aufregenden Oberteils gestreichelt fühlt, muss man den meisten Frauen nicht erzählen. Kein Wunder also, das auch Christine Settele bei ihren Stammkundinnen gefragt ist – und zwar übers Smartphone.

    Die Beraterin stellt im ersten Stock auf den persönlichen Geschmack der Kundin ausgerichtete Kombinationen zusammen, fotografiert sie und verschickt den Vorschlag per WhatsApp. Das ist der Unterschied zwischen Frauen und Männern, sagt Chef Marcus Vorwohlt: "Männer wollen ein Problem gelöst haben. Frauen wünschen sich einen bunten Blumenstrauß."

    Manchmal brauchen Frauen aber auch nur einen BH. Einen schönen. Einen, der passt und der bequem ist.

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