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Bombennacht in Augsburg 1944: Eine Multimedia-Reportage

Die Augsburger Bombennacht – eine Multimedia-Reportage
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Die Augsburger Bombennacht – eine Multimedia-Reportage

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    Der Keller in der Nibelungenstraße füllte sich mit Rauch, Staub und Brandgeruch. "Unser Haus dröhnte und wummerte, knirschte und bröckelte", schrieb Willy Haßold nur Tage später in einem Brief an seinen Sohn. Eine Stunde lang donnerten Spreng- und Brandbomben auf Augsburg. Dann kehrte Stille ein. Die

    Willi Haßold (links) beschreibt seinem Sohn Horst das „Flammenmeer“ in Augsburg nach dem Angriff.
    Willi Haßold (links) beschreibt seinem Sohn Horst das „Flammenmeer“ in Augsburg nach dem Angriff. Foto: Archiv

    Vier Tage nach dem schwersten Luftangriff auf Augsburg im Zweiten Weltkrieg berichtete Willy Haßold seinem Sohn, wie er die Nacht vom 25. auf den 26. Februar erlebt hatte. Horst war in Husum, wo er zum Marineartilleristen ausgebildet wurde. Schon vor dem ersten Satz ist alles gesagt. Der Brief beginnt mit "ehemaliges Augsburg, 29. Februar 1944." Willy Haßold war wütend: "Die Hunde kamen aus drei Richtungen." Auch sein Sohn wird den Krieg noch erleben. Später wird er in britische Gefangenschaft geraten. Noch später wird er sich als Ballonfahrer und Mitglied in der Geschäftsführung der Ballonfabrik einen Namen machen.

    "In ca. 10 bis 15 Minuten war die Altstadt ein Flammenmeer."

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    Doch in der Augsburger Bombennacht denkt kurz vor Mitternacht zunächst niemand an die Zukunft. Fast 250 schwere Lancaster-Bomber haben in der eiskalten Februarnacht eine Feuersbrunst hinterlassen. Wer die Bomben überlebt hatte und einen Weg ins Freie fand, strömte aus Kellern, Schutzgräben und Bunkern.

    Ein Bäcker aus Lechhausen schrieb 1945 nieder: "Der ganze Himmel war brandrot. Ungeheurer Rauch kam auf. Menschen schrien und rannten." Mit Kübelspritzen versuchten die Menschen, die Brände zu löschen. Auf den Dachböden versuchten sie, Brandbomben unschädlich zu machen. Die Feuerwehr startete Löschversuche, doch die Bomben hatten viele Leitungen zerfetzt.

    20.04 und Folgezeit Einflug von etwa 300 Maschinen über Amiens – ... – Saarbrücken 21.45 Augsburg Fliegeralarm 22.15 Angriff auf Augsburg wahrscheinlich 22.44 Aus dem Kriegstagebuch des Luftschutzes in Augsburg

    Mitten im Inferno erlebte Willy Haßold auch eine freudige Überraschung: "Aber unser Mohrle (der Kanarienvogel), lebte noch und saß ziemlich verschüchtert in seinem Käfig." Während er einen ersten Blick auf die Schäden der Nacht warf, war die nächste Welle der Bomber schon längst in der Luft. Wer Glück hatte, den jagte eine Luftschutzsirene wieder in die Keller. Wer Pech hatte, bemerkte die zweite nächtliche Angriffswelle erst, als um 0.55 die ersten Bomben fielen. Mehr als 200 britische und kanadische Flieger warfen weitere Bomben auf die schon brennende Stadt. Der Untergang des alten Augsburg ging weiter.

    Die verschonte Stadt
    Die verschonte Stadt

    Bilder aus der Zeit vor dem Angriff zeigen ein friedliches Augsburg. Andere Städte sind schon schwer gezeichnet vom Bombenkrieg. Die Deutsche Luftwaffe hatte unter anderem Warschau, Rotterdam, Coventry und London bombardiert. Englische Bomber zerstörten Stuttgart, Köln und viele weitere Städte. In Hamburg wütete ein Feuersturm.

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    17 Bilder
    Bilder aus der Zeit vor dem Angriff im Jahr 1944 zeigen ein friedliches Augsburg.

    Das wussten die Augsburger. Sie lernten viel über den Luftschutz. Keller wurden vorbereitet, Gräben angelegt, Bunker gebaut. Auch Willy Haßold erlebte, wie sich die Stadt rüstete. Der 50-Jährige war Diabetiker und musste nicht in den Krieg. Er war Mitinhaber der Eisen- und Eisenwarengroßhandlung Heinr. Hauff Nachf. am Hohen Weg.

    Jugendliche wie der damals 15-jährige Karl Kling aus Krumbach, später Landtagsabgeordneter und Chef des Allgäu-Schwäbischen Musikbundes, mussten als Luftwaffenhelfer bereitstehen.

    Zeitzeuge Karl Kling (links) zusammen mit Xaver Frey, später Landrat des Kreises Augsburg.
    Zeitzeuge Karl Kling (links) zusammen mit Xaver Frey, später Landrat des Kreises Augsburg. Foto: Archiv

    "Im Februar kamen wir nach Augsburg zurück. In der Nähe des Bahnhofes Göggingen war eine Flakgroßbatterie. Unser Auftrag war der Schutz der Messerschmitt-Werke", schrieb Kling. Sechs Schüler aus Krumbach gegen Hunderte Bomber.

    Trotz aller Vorbereitung hatten die Menschen Zweifel: "Wird es sich bewähren, sind alle bereit, wenn einmal der große Schlag gegen Augsburg erfolgt?", notiert der Bäckermeister aus Lechhausen. Vor dem Februar 1944 verschonte der von Deutschland begonnene Krieg die Stadt weitgehend. Sechs Angriffe stehen zu Buche, die meisten waren Folgen von Attacken etwa auf München. Es gab 16 Tote.

    Dabei gab es militärisch wichtige Ziele. Im Süden der Stadt, wo heute das Univiertel ist, lag der Flugplatz. Nebenan und in Haunstetten entwickelte Messerschmitt Kampfflugzeuge. Im Nordosten baute die MAN Dieselmotoren für die von Briten und Amerikanern gefürchteten U-Boote. Darauf zielte der schwerste Angriff vor 1944: Am 17. April 1942 schickte die Royal Air Force zwölf Lancaster-Bomber nach Augsburg.

    Bombenangriffe vor der Bombennacht am 25./26. Februar 1944

    1./2. September 1940: Bei einem Nachtangriff auf München lässt ein Kampfflugzeug seine Bomben schon auf der Autobahn in Gersthofen ab. Ein Mensch stirbt durch Flakfeuer.

    8./9. November 1940: Zwei britische Bomber werfen bei einem Nachtangriff auf München ihre Bomben zu früh ab. Die Flugkörper schlagen in der Hessenbachstraße in Pfersee ein.

    17. April 1942: Beim sogenannten "Augsburg Raid" bombardieren acht Lancasterbomber MAN, Riedinger und Heidl Textilviertel. Bei dem Angriff kommen zwölf Menschen ums Leben, 27 weitere werden verletzt, 18 davon schwer.

    28./29. August 1942: Bei einem Nachtangriff auf Nürnberg werfen drei Lancaster und eine Stirling ihre Bomben über Gersthofen ab. Dabei treffen sie die Ballonfabrik, Firmhaberau, Spickel und den Siebentischwald. Bei dem Angriff stirbt eine Person, vier weitere werden verletzt.

    16./17. April 1943: Eigentlich sollte die Stadt Pilsen im heutigen Tschechien bombardiert werden. Doch bei dem Nachtangriff wirft eine Lancaster schon in Augsburg ab und trifft die Bahn in der Holzbachstraße.

    Es war eine ungewöhnliche Attacke, sagt Hans Grimminger, der den Luftkrieg erforscht. Die Zahl der Bomber war gering, sie flogen ohne Schutz bei Tageslicht in niedriger Höhe. Sie erlitten hohe Verluste, die Schäden waren nicht sehr groß. Aber die psychologische Wirkung war gewaltig: "Der Angriff war so etwas wie der 11. September für Amerika", sagt Grimminger: Die Briten schafften es bei Tag bis tief nach Süddeutschland. Das war erst der Beginn.

    Hans Grimminger sieht den Angriff auf Augsburg am 17. April 1942 als ungewöhnliche Attacke.
    Hans Grimminger sieht den Angriff auf Augsburg am 17. April 1942 als ungewöhnliche Attacke. Foto: Archiv

    Anfang 1944 nahmen Briten und Amerikaner Augsburg ins Visier. Sie zielten vor allem auf die Flugzeugwerke von Messerschmitt. "Um die Luftherrschaft zu gewinnen, wollten sie die Flugzeugindustrie angreifen", sagt Grimminger. Am Ende der "Big Week" genannten Angriffsserie stand Augsburg auf der Zielliste. Das war am 25. und 26. Februar 1944.

    Anflug
    Anflug

    Das Ziel war das Gleiche. Augsburg. Amerikaner und Briten planten einen Schlag gegen die Stadt und ihre Rüstungsindustrie. Doch die Pläne waren unterschiedlich. Während die Amerikaner einen Tagangriff auf die Messerschmitt-Werke planten, wollten die Engländer und Kanadier bei Nacht die Stadt ins Visier nehmen. Sie versuchten erst gar nicht, einzelne Ziele zu treffen.

    "Der Angriff wurde von ca. 150 Maschinen durchgeführt und galt ausschließlich den Messerschmitt-Werken, welche schweren Schaden erlitten und über 380 Tote hatten, darunter 250 Konzentrationsgefangene. Selbstverständlich gab es auch Tote und Schäden in der Umgebung des Werks." Aus dem Kriegstagebuch des Luftschutzes in AugsburAus dem Kriegstagebuch des Luftschutzes in Augsburg

    Kurz vor 14 Uhr fielen die ersten Bomben auf den Süden der Stadt. Fast 200 amerikanische Bomber vom Typ B 17 ("Fliegende Festung") griffen den Flugplatz und die Messerschmitt-Werke an. Der Bäcker aus Lechhausen notierte später: "Der Abwurf der Bomben war ein ungewohnter Anblick und sah aus weiter Entfernung gar nicht so gefährlich aus."

    Vor Ort sah die Welt anders aus. 1300 Sprengbomben fielen. Fast 200 Menschen starben, darunter 60 Häftlinge aus Konzentrationslagern und Zwangsarbeiter, die nicht in Bunker durften.

    Hans Grimminger hat nach den Namen der Toten geforscht. Seine Listen sind eine Sammlung des Grauens. Die Menschen starben nicht nur auf dem Gelände des Flugzeugbauers. In Siebenbrunn endete das Leben des zweijährigen Josef. Peter aus Haunstetten wurde nur einen Monat alt.

    Die Royal Air Force

    Im Jahr 1918 bestand die Royal Air Force aus 291.000 Soldaten und 22.000 Flugzeugen. Zur ersten großen Bewährungsprobe im Zweiten Weltkrieg wurde für die Royal Air Force die Luftschlacht um England.

    Zwischen Sommer 1940 und Anfang 1941 versuchte die deutsche Luftwaffe, Großbritannien durch Bombenangriffe auf Städte zur Kapitulation zu bringen oder zumindest eine Invasion der Insel zu ermöglichen.

    Die Luftschlacht um England brachte beiden Seiten schwere Verluste. Tausende Soldaten starben, zehntausende Zivilisten in Großbritannien kamen ums Leben.

    In den Folgejahren konzentrierte sich die Royal Air Force zunehmend auf den Bombenkrieg gegen deutsche Städte.

    Ziel der britischen Bombenangriffe war nicht nur die Zerstörung militärischer Anlagen. Es ging auch darum, die Moral der Bevölkerung zu schwächen.

    Britische Bomber waren etwa an der Zerstörung Hamburgs ("Operation Gomorrah“), aber auch an den Bombardierungen von Lübeck, Dresden und Heilbronn beteiligt.

    Das RAF Bomber Command versuchte dabei immer wieder, sogenannte Feuerstürme zu erzeugen, also gewaltige Flächenbrände. Damit sollten größtmögliche Zerstörungen angerichtet werden.

    Um Feuerstürme zu erzeugen, warfen die Flugzeuge zunächst große Luftminen ab, um die Dächer abzudecken. In die beschädigten historischen Gebäude wurden dann Brandbomben abgeworfen.

    Angeordnet wurden die Flächenbombardements von Sir Arthur Travers Harris, dem Oberbefehlshaber des RAF Bomber Commands.

    Er ist wegen dieser Angriffe auf die Zivilbevölkerung bis heute umstritten. Im Februar 1944 griffen 594 britische Flugzeuge Augsburg an, warfen über 300.000 Bomben ab. 730 Augsburger verloren ihr Leben, große Teile der Innenstadt wurden zerstört.

    Die britische Luftwaffe verlor während des Zweiten Weltkrieges rund 55.000 Mann. Bis 1945 war die RAF auf rund 963.000 Menschen angewachsen.

    Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde die britische Luftwaffe auf rund 150.000 Angehörige verkleinert.

    In England rüsteten sich zugleich fast 600 Flugzeuge für den nächsten Schlag. Hans Grimminger glaubt nicht, dass die Augsburger wussten, was auf sie zukommt. "Selbst die Besatzungen haben erst kurz vorher erfahren, wohin sie fliegen." Er hat ehemalige Piloten kennengelernt und mit ihnen gesprochen. Kurz vor dem Abflug teilte man ihnen das Ziel mit. Augsburg. Ein Pilot hat ihm erzählt: "Die Vorgesetzten haben die Industrieziele genannt. Ein Flieger hat gerufen: Also es geht wieder gegen Frauen und Kinder."

    Die britischen Besatzungen wussten Bescheid. Doch es war Krieg. Auch englische Städte brannten. Und die Flieger, die den Schrecken brachten, fürchteten ebenso um ihr Leben. Eine furchtbare Spirale der Gewalt, die der absurden Logik des Krieges folgte. Kurz nach 18 Uhr starteten die ersten Bomber. Der Zielpunkt war der Platz vor dem Dom. Damit war klar, was die Bomben treffen sollten. Die Innenstadt.

    Angriff
    Angriff

    Etwa um 21.30 Uhr erfuhr Willy Haßold, dass Augsburg ein Angriff drohte. Der erste von zweien auf die Stadt. 15 Minuten später war Luftalarm. Karl Kling und fünf weitere Burschen aus Krumbach richteten ein Flugabwehrgeschütz in den Nachthimmel. Und der Bäcker aus Lechhausen stieg in den Luftschutzkeller.

    "Im Anflug Feuer sichtbar aus dem Raum Straßburg."

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    Die Bomber kamen aus dem Süden. Die Stadt war leicht zu finden, schreibt eine Besatzung später: Es lag Schnee, Wertach und Lech hoben sich ab und lenkten die Maschinen ins Ziel. Leuchtfeuer markierten den Platz vor dem Dom. "Man wählte einen Punkt nördlich der Innenstadt, weil die Besatzungen dazu neigten, ihre Bomben zu früh abzuwerfen", sagt Hans Grimminger.

    22.36 Uhr: Bomber um Bomber wirft seine Last ab. Fast 250 Lancaster-Maschinen und drei Mosquitos brummen über die Stadt. Sprengbomben legen Häuser in Schutt, Brandbomben zünden das Holz an.

    Nach etwa einer Stunde Angst, Schrecken und Sterben erleben Willy Haßold, Karl Kling und der Bäcker eine Atempause. 23.40 Uhr.

    Gut eine Stunde später. 0.55 Uhr. Die nächsten Bomben fallen. 115 Halifax-, 177 Lancaster-Maschinen und vier Mosquitos werfen wieder Bomben ab. Viele Brandbomben, denn die Stadt sollte brennen. Ein Arsenal des Schreckens regnete in den zwei Wellen herab: mehr als 1000 Sprengbomben, manche mit fast vier Tonnen Sprengstoff. Über 20.000 Brandbomben und mehr als 260.000 Stabbrandbomben. Tod und Zerstörung brachen über die Stadt herein.

    "Die Mosquitos (Flugzeuge) berichten von konzentrierten Feuern in einem kleinen Halbkreis in der Innenstadt, aber der Rauch machte es schwierig, weitere Ergebnisse des Angriffs zu beobachten." Aus einem Geheimbericht des Bomber CommanAus einem Geheimbericht des Bomber Command

    "Mörder", schimpft Willy Haßold im Brief an seinen Sohn die Flieger. "Aber auch beim 2. Angriff hielt der Herrgott wieder den Daumen dazwischen und so überlebten wir auch diesen." Um 1.40 Uhr fielen die letzten Bomben.

    Karl Kling, der Flakhelfer notierte: "Es grenzte an ein Wunder, dass die sechs Krumbacher unverletzt blieben." Fast 2000 Schuss hatten sie in den Himmel abgefeuert. Insgesamt wurden in der Nacht 23 Bomber abgeschossen – auch fern von Augsburg. 145 Flieger aus England und Kanada starben bei Einsätzen auf Augsburg und Täuschungsangriffen. Dennoch schreiben die Engländer von wenig Gegenwehr.

    Als der Bäcker aus Lechhausen nach oben kam, war ihm klar, dass bei größeren Bränden nicht mehr viel mit den sogenannten Kübelspritzen zu helfen war." Auch die Feuerwehr stand vor einer schier aussichtslosen Aufgabe: Die Stadt brannte, man zählte mehr als 4300 Feuer. Wenn Schläuche und Spritzen noch intakt waren, gefror bei Minus 18 Grad nicht selten das Wasser. Augsburg stand in Flammen. Doch es scheint, als hätte es für die Stadt noch schlimmer kommen können.

    Hans Grimminger hat die Karten ausgewertet, mit denen die Engländer ihre Angriffe dokumentierten. In der zweiten Welle fiel die tödliche Fracht weiter östlich ab als geplant. "Wahrscheinlich haben die Engländer den Wind falsch eingeschätzt", vermutet Grimminger. Weil sie mit mehr Ostwind rechneten, hätten sie die an Fallschirmen hängenden Markierungen für den zweiten Angriff – am Boden war nur Qualm – zu weit östlich hinterlassen. Dort gingen dann auch die Bomben nieder. Die Innenstadt bekam weniger ab als geplant, sagt er.

    Doch es war genug. Karl Kling schreibt von einer brennenden und "weinenden" Stadt. "Wir wussten ab dieser Stunde, was Krieg ist und erstmals, was Lebensangst bedeutet".

    Mitten im Inferno atmeten die Menschen aber auch auf. Willy Haßold: "Wir waren alle sehr glücklich, dass wir lebten und alles andere war höchst nebensächlich." Eine Nachbarin kam aus ihrem brennenden Haus zu ihm und seiner Frau und sie machten etwas Erstaunliches. "Wir setzten uns zu dritt auf das Sofa im Wohnzimmer, hüllten uns in Decken und versuchten etwas zu schlafen, denn der folgende Tag brauchte einigermaßen gute Nerven. So warteten wir still auf den kommenden Tag, der aber nicht kam."

    "Kurzer Gang durch das nächtliche Augsburg zeigte, wir furchtbar die Stadt (...) getroffen wurde. (...) Ein schauerliches Nachtgemälde." Aus dem Kriegstagebuch des Luftschutzes in AugsburAus dem Kriegstagebuch des Luftschutzes in Augsburg

    Aufräumen
    Aufräumen

    Am 26. Februar wurde es nie richtig hell. "Wir mussten tagsüber ständig Kerzen brennen und auch nur manchmal leuchtete die Sonne durch die Rauch-, Staub- und Aschenschicht", schrieb Willy Haßold an seinen Sohn nach Husum. Er bekam den Brief erst mit einigen Tagen Verzögerung und erfuhr nicht nur, dass seine Familie lebte, sondern auch vom Schrecken und Sterben in Augsburg. Mehr als 800 Menschen verloren durch die Angriffe des 25. und 26. Februar ihr Leben.

    Die offizielle Zahl ist niedriger, doch Hans Grimminger hat in seinen Listen 818 Namen von Opfern stehen. Er zählt auch tote Soldaten, Luftwaffenhelfer und Menschen, die verletzt aus der Stadt flohen und anderswo starben. Wieder sind ganze Familien darunter, Babys, Kinder. Sie starben durch Bomben, durch Feuer, wurden verschüttet oder ertranken.

    "Samstag, den 26. Februar 1944. Wetter: Mäßig kalt, gegen Mittag etwas Sonne, die die mächtigen Schichten von Rauch, Qualm und Staub nicht zu durchdringen mochte, sondern mit gelbrotem Schein matt am Himmel hing." Aus dem Kriegstagebuch des Luftschutzes in AugsburAus dem Kriegstagebuch des Luftschutzes in Augsburg

    Am Schwall flog eine Bombe in einen Lechkanal, zerstörte die Mauer des Luftschutzkellers. Er lief voll Wasser, 27 Menschen ertranken. Tausende Menschen verloren ihr Zuhause. Fast 3000 Gebäude waren vollkommen zerstört. Besonders hart erwischte es die Innenstadt, das Lechviertel aber auch Lechhausen. Die Augsburger flohen aus der Stadt. "Auf den Straßen am kalten Morgen herrschte die reinste Völkerwanderung von der Innenstadt nach den äußeren Stadtteilen", notierte der Bäcker aus Lechhausen. "Arme Menschen mit ihrem bisschen Hab und Gut, das sie dem wütenden Element entrissen." Viele von ihnen kamen an der Maria-Theresia-Schule zusammen.

    Willy Haßold arbeitet dort in einer Auffangstelle und sah "Tausende und Abertausende Leut, manche ohne Schuhe, verbrannt, dreckig, hundemüde, abgespannt und zum Teil auch verwundet." Er hörte kein Klagen. Von außerhalb kamen Helfer mit Brot und Milch. Augsburger wurden ins Umland transportiert – Frauen und Kinder mit dem Auto, Männer zu Fuß, schreibt Haßold. Rund 85.000 Menschen flohen aus der Stadt; die Einwohnerzahl schrumpfte um rund 80.000 auf gut 115.000 Menschen. Ihnen mangelte es anfangs an fast allem.

    Das Rüstungskommando Augsburg schrieb: "Die elektrischen Leitungen waren überall restlos zerstört. Die Wasserleitungen an dutzenden von Stellen unterbrochen, Gas desgleichen." Mit dem fehlenden Wasser hatten vor allem die Feuerwehren zu kämpfen, die schon am 26. Februar bis aus Stuttgart kamen. "Sie konnten aber nichts Wesentliches tun", hielt Willy Haßold fest. Die Stadt muss ein fürchterliches Bild abgegeben haben. "Es war eine gespenstische Szene", erinnert sich Karl Kling an das, was er als 15-Jähriger sah. Manches hat er gar nicht niedergeschrieben.

    Augsburg bot ein Bild des Schreckens. In Haunstetten, damals noch selbstständig, lagen getötete Zwangsarbeiter und Häftlinge aus Konzentrationslagern in Splittergräben. "Eine unheimliche Stimmung liegt über der Stadt", notierte auch der Bäcker aus Lechhausen. Er wagte am Nachmittag des 26. Februar einen Fußmarsch in Richtung Zentrum. Doch er kehrte bald um.

    Unterwegs sah er Ruinen, Bäume ohne Kronen, umgefallene Litfaßsäulen: "Wie wenn ein Orkan über das alles hinweggefegt wäre." Brandgeruch lag in der Luft. Leichen. "Über der Lechbrücke lag am Zaun ein älterer Mann zusammengeschrumpft mit verglasten Augen", schrieb er auf. Der Lechhauser kam bis zum Jakobertor. Dann ging er heim. Das Grauen war zu groß. Und es war noch nicht zu Ende

    Folgen
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    Augsburg hatte nicht viel Zeit, um sich zu erholen. Schon am 16. März 1944 griffen die Amerikaner wieder die Messerschmitt-Werke an. Doch sie verfehlten ihr Ziel, weil das Wetter schlecht war. Die Bomben fielen unter anderem auf Lechhausen, Göggingen, Inningen, Wehringen und Bobingen. 231 Menschen starben. Hans Grimminger hat in den Archiven der Briten und Amerikaner noch zehn große Angriffe zusammengetragen. Ihre Folgen sind bis heute zu spüren.

    Das Stadtbild hat sich durch den Zweiten Weltkrieg radikal gewandelt. Am Rathausplatz verschwand die Börse. Er ist heute frei. Die Pilgerhausstraße wurde gebaut – früher standen dort die Häuser dicht an dicht. Im Siebentischwald sind in Bombentrichtern Froschteiche angelegt worden. Und in der Erde liegen noch zig Bomben, die nicht explodiert sind. Wenn gebaut wird, schaut das Amt für Katastrophenschutz auf Luftbildern der Amerikaner nach: Sie zeigen eine Stadt, die Anfang 1945 von Bombentrichtern übersät ist. Überall wo Bomben explodierten, könnten Blindgänger liegen. Sie sind die eiserne Erinnerung an die Bombennacht. Die menschliche lebt in den Köpfen und auf Papier weiter.

    Ein Kriegsschadensplan von der Jakobervorstadt.
    Ein Kriegsschadensplan von der Jakobervorstadt. Foto: Geodatenamt der Stadt Augsburg, Untere Denkmalschutzbehörde

    Der Bäckermeister aus Lechhausen hat seine Erlebnisse 1945 niedergeschrieben. Karl Kling, der 15-jährige Luftwaffenhelfer spricht von einem "unheimlichen Zynismus", Kinder wie ihn in den Krieg zu schicken. Für ihn war der Krieg erst im Mai 1945 zu Ende. Auf dem Weg in Gefangenschaft sprang er in Krumbach aus dem Zug. Und die Familie Haßold war lange Zeit aus-einandergerissen.

    Horst, der Sohn, kam nach dem Angriff kurz in seine Heimatstadt. Der Krieg ging aber weiter. Im September 1944 geriet er in Boulogne-sur-Mer in britische Gefangenschaft. Auf Augsburg fielen weiter Bomben. Anfang 1945 bekam er die Nachricht: Familie lebt. Die Bomben fielen weiter und bis Februar 1946 wusste Horst Haßold nicht, wie es um seine Familie stand. Erst 1948 kam er nach Hause. In ein immer noch zerstörtes Augsburg.

    Ein städtischer Kriegsschadenplan von 1944.
    Ein städtischer Kriegsschadenplan von 1944. Foto: Geodatenamt der Stadt Augsburg, Untere Denkmalschutzbehörde

    Redaktion: Marcus Bürzle, Sascha Borowski, Florian Ankner (Texte), Robert Glawatz (Videos), Anne Wall, Silvio Wyszengrad (Fotos), Norbert Staub, Markus Stammel (Koordination), Sören Becker, Axel Hechelmann (Webanpassungen 2021).

    Danksagung: Imperial War Museum, Stadtarchiv Augsburg, Fürstlich und Gräflich Fuggersche Stiftungs-Administration, Franz Häußler (historische Bilder), Hans Grimminger, Landschaftpflegeverband Stadt Augsburg, Amt für Katastrophenschutz und dem Geodatenamt der Stadt Augsburg.

    Aus Bombenkratern werden Biotope: Im Augsburger Stadtwald wurden in den ehemaligen Bombenkratern Teiche angelegt, in denen Frösche laichen können.
    Aus Bombenkratern werden Biotope: Im Augsburger Stadtwald wurden in den ehemaligen Bombenkratern Teiche angelegt, in denen Frösche laichen können. Foto: Archiv
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