Als zwei Kunden am Montag zum Abschied mit Blumen vorbeikommen, muss Agnès Derivery schlucken. Die letzten Tage schon waren für die Betreiberin der Chocolaterie „Bitter-Süß“ emotional. Nur noch bis Samstag hat das liebevoll gestaltete Geschäft in der Altstadt am Holbeinplatz vorerst geöffnet. Derivery hatte vor wenigen Wochen den Entschluss gefasst, aufzuhören. Leicht fällt es der 53-Jährigen nicht.
Augsburger Geschäft "Bitter-Süß": Selbstgemachte Rumkugeln
Seit acht Jahren verkauft die blonde Frau mit dem französischen Akzent, die für ihre Kunden immer ein offenes Ohr und gerne einen Scherz parat hat, süße Köstlichkeiten. Neben Schokolade, Pralinen, selbstgemachten Rumkugeln und Schokoladenkuchen schenkt Derivery Kaffeespezialitäten aus. Vor ihrem Laden, an dem der Vordere Lech vorbeifließt, lassen sich Kunden gerne auf den weißen Bänken nieder. Vor allem die Menschen, die zu ihr kamen, sagt die Geschäftsfrau, werde sie vermissen. Aber warum hört sie mit der Chocolaterie, die man zu den beliebtesten Altstadt-Geschäften zählen kann, auf?
Das habe persönliche Gründe, sagt Agnès Derivery. Sie wolle künftig mehr Zeit für ihre Tochter haben. „Zudem habe ich eine Mutter, um die ich mich jetzt stärker kümmern muss.“ Dieser Spagat zwischen Familie und Beruf war für die Frau, die auf Guadeloupe in der Karibik geboren und aufgewachsen ist, nicht immer einfach. Vor allem an saisonalen Hochphasen eines Schokoladenladens, wie in der Vorweihnachtszeit. Teilweise, so Derivery, sei sie 70 Stunden die Woche in dem kleinen Geschäft gestanden – mitunter auch monatelang mit Krücken nach einem Skiunfall. Agnes Derivery liebt ihr „Bitter-Süß“. Sie habe viel Herzblut, Leidenschaft, Schweiß und Tränen hineingesteckt. „Es ist mein Baby.“ Doch vor wenigen Wochen habe sie ein überraschendes Angebot bekommen, dass sie, wie sie sagt, nicht ablehnen konnte.
Konditormeister übernimmt die Chocolaterie am Holbeinplatz
Konditormeister Max Ertl von der traditionsreichen Konditorei Ertl aus Steppach, mit dem sie befreundet ist, habe ihr in einem Gespräch aus einem Spaß heraus ein Angebot gemacht. „Er meinte zu mir, wenn du verkaufen willst, sag Bescheid“, erzählt Derivery. Das war vor einem Monat. Sie überlegte hin und her. „Irgendwann muss man eine Entscheidung treffen.“ Etliche ihrer Stammkunden habe sie mit Briefen persönlich darüber informiert. „Wenn auch noch nicht alle.“ Die Resonanz berühre sie. „Die meisten sind richtig traurig darüber, da ist viel Wehmut dabei.“ Mit ihrem Nachfolger Max Ertl habe sie ein gutes Gefühl. Er wolle den Laden in ihrem Sinne weiterführen. Das bestätigt der 28-Jährige, der in der dritten Generation im Familienbetrieb arbeitet.
„Wir wollen das Geschäft nur ein wenig umräumen und werden fast alle Produkte übernehmen“, meint Ertl. Im August hat der Laden ganz geschlossen, ab dem 2. September soll es für die Kunden wie gewohnt weitergehen. Freilich aber wird sich das Angebot etwas ändern. Max Ertl will eine Torten- und eine Eistheke einbauen. „Wir stellen Konditorenmeistereis her und werden im Sommer 16 Sorten anbieten.“ Bislang haben die Ertls einen zusätzlichen Laden am Münchner Viktualienmarkt. Der wird aufgelöst. Man wolle sich auf Augsburg konzentrieren.
Agnès Derivery hat am Samstag ihren letzten Tag. Da steigt auch das Festival La Strada. Dann will sie mit ihren Kunden anstoßen. Und danach? „Ich weiß es noch nicht. Aber erst einmal fliege ich für fünf Wochen nach Guadeloupe.“
Hören Sie dazu auch unsere Podcast-Folge zu Geschäften und Cafés in Augsburg.
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