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Augsburg: Augsburgs Sozialreferent: "Migrationsquote ist herausfordernd und bereichernd"

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Augsburgs Sozialreferent: "Migrationsquote ist herausfordernd und bereichernd"

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    Martin Schenkelberg (CDU) hat im September sein Amt als Sozialreferent in der Stadtregierung angetreten.
    Martin Schenkelberg (CDU) hat im September sein Amt als Sozialreferent in der Stadtregierung angetreten. Foto: Silvio Wyszengrad

    Augsburg steckt seit Wochen in einem Teil-Lockdown mit Beschränkungen von sozialen Kontakten. Wie sehen Sie das als Sozialreferent?

    Martin Schenkelberg: Als Stadt Augsburg haben wir sehr schnell auf die anrollende zweite Welle reagiert. Ich stehe auch absolut hinter den Regelungen. Die konsequente Einhaltung, dazu gehört auch die Ahndung, ist die Grundlage dafür, dass wir unsere sozialen Dienste, sowohl der städtischen als auch der freien Träger, nicht einstellen müssen. Auf der anderen Seite stehe ich als Sozial- und Jugendreferent dafür, dass wir die Auswirkungen des zweiten Lockdowns so weit wie möglich begrenzen. Wir müssen aufpassen, dass Einsamkeit und Isolierung von Menschen durch unsere Maßnahmen nicht befördert werden. Es ist eine Abwägung zwischen Gesundheitsschutz, Freiheitsrechten und möglichen Schäden durch Einschränkungen. Ich glaube, dass man mit zu strikten und zu langanhaltenden Maßnahmen auch Schaden anrichten kann.

    Was bedeutet die aktuelle Situation mit Kontaktbeschränkungen für Jugendliche?

    Schenkelberg: In Jugendzentren, wo tolle und wichtige Arbeit geleistet wird, dürfen wir nur noch eine sehr dünne Belegung zulassen. In Oberhausen beispielsweise, wo normalerweise 120 Jugendliche Beschäftigung finden, sind es jetzt zwölf. Wir dürfen Politik aber nicht nach dem Scheuklappenprinzip machen, dass wir im Jugendzentrum die Regeln einhalten und es uns egal ist, wo sich Jugendliche in Oberhausen sonst aufhalten. Das bedeutet für mich, dass wir uns einerseits dafür einsetzen müssen, dass unsere Jugendzentren, wenn auch mit strikten Regeln, weiter geöffnet bleiben, und wir andererseits Ideen dafür entwickeln müssen, wo sich Kinder und Jugendliche aufhalten können, wenn in den Jugendzentren kein Platz mehr ist oder diese auch geschlossen wären. Unser Jugendamt ist auf der Suche nach Lösungen.

    Der Seniorenbeirat hat sich in einer Resolution dafür ausgesprochen, Besuchsregelungen in Pflegeheimen zu lockern, auf die sich Stadt und freie Träger geeinigt haben (ein Besucher pro Bewohner und Tag für eine Stunde). Die Arbeiterwohlfahrt lehnt die vom Beirat geforderten Lockerungen mit Blick auf das Infektionsrisiko ab. Was ist der richtige Weg?

    Schenkelberg: Die Wahrheit liegt wie so oft in der Mitte. Einerseits kann der Betrieb unserer Senioreneinrichtungen nur aufrechterhalten werden, wenn wir die Infektionszahlen unter Kontrolle halten. Hierfür brauchen wir strenge Regeln und eine konsequente Einhaltung. Anderseits haben Seniorinnen und Senioren, die in einem Altersheim leben, die gleichen Grundrechte wie alle Augsburgerinnen und Augsburger und das gleiche Bedürfnis nach Nähe und menschlichen Bindungen. Das bedeutet, dass wir allgemeine Regeln, soweit Freistaat und Bund uns hierbei ein Ermessen lassen, immer wieder daraufhin überprüfen müssen, ob sie gerechtfertigt, ob sie zwingend notwendig sind. So ist am Ende das Infektionsgeschehen im jeweiligen Heim dafür ausschlaggebend, ob es eine strenge Besuchsregelung braucht oder eine eher lockere Regelung. Im Notfall ist auch ein zeitlich befristetes Besuchsverbot nicht auszuschließen. Dies darf aus meiner Sicht aber immer nur ultima ratio sein.

    Um die Frage, wie viele Besuch in den Augsburger Pflegeheimen erlaubt sein soll, gibt es Diskussionen.
    Um die Frage, wie viele Besuch in den Augsburger Pflegeheimen erlaubt sein soll, gibt es Diskussionen. Foto: Silvio Wyszengrad

    Wie kann man vermeiden, dass Senioren wie im ersten Lockdown wochenlang zu Hause sitzen und nur noch minimalsten Kontakt nach außen haben?

    Schenkelberg: Der beste Weg, das zu vermeiden, ist, dass wir alle uns an die Hygieneregeln halten, die weder schwer einzuhalten, noch irgendwie unzumutbar sind. Wenn wir das konsequent machen, wird auch der Inzidenzwert kleiner und wir können zum Alltag zurückkehren. Ich finde es aber auch notwendig, dass Seniorinnen und Senioren, die alleine zu Hause leben, die Möglichkeit zum Kontakt mit Familie und engen Freunden haben. Das ist aus meiner Sicht auch verantwortungsvoll möglich, wenn man im eigenen Wohnzimmer Abstände wahrt, Masken trägt und regelmäßig lüftet. Kontakte ganz ohne Einschränkungen wird es zurzeit leider nicht geben können, aber auf der Basis lebensnaher Regelungen ist meines Erachtens viel möglich.

    Die Arbeitslosigkeit ist in der Corona-Krise gestiegen. Macht Ihnen das Sorgen?

    Schenkelberg: Ich beobachte die Entwicklungen mit Sorge. Wir haben inzwischen die begründete Hoffnung, dass das Infektionsgeschehen mit der Entwicklung eines Impfstoffes zurückgeht. Dann ließen sich die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt hoffentlich in Grenzen halten. Aktuell steigen die Zahlen derer, die im Bereich der Arbeitsförderung Maßnahmen bekommen, relativ stark an, und es gehört nicht viel Fantasie dazu, um sich vorzustellen, dass ein Teil dieser Betroffenen mit Verzögerung von vielleicht einem Jahr im Bereich der Grundsicherung ankommt. Bislang ist mein Eindruck, dass die ganz harten Auswirkungen der Corona-Krise noch nicht in den städtischen Behörden aufgelaufen sind. Wir sind aber in Habachtstellung und haben auch die Möglichkeit, außerhalb des Korsetts der standardisierten Hilfen zu unterstützen. Wenn Menschen kurzfristig Hilfe brauchen und glaubhaft machen können, durchs sozialrechtliche Netz zu fallen, haben wir etwa den Corona-Fonds, der unbürokratisch und schnell helfen kann.

    Mal abgesehen von Corona - was werden Ihre Schwerpunkte in den kommenden sechs Jahren sein?

    Schenkelberg: Wir dürfen über die Bewältigung der Corona-Krise hinaus nicht unsere tägliche Arbeit vergessen. Das ist die praktische alltägliche Fürsorge für Menschen in Not. Ich bin dankbar für die Erfolge aus der letzten Periode, etwa bei der Obdachlosenunterbringung und der Verbesserung der wirtschaftlichen Lage der städtischen Altenhilfe. Meine Schwerpunkte sehe ich vor allem im konzeptionellen Bereich. Wir wollen etwa ein seniorenpolitisches Gesamtkonzept mit Schwerpunkt bei der Pflegebedarfsplanung. Wir brauchen eine systematische Analyse, wie viele Plätze im Bereich der stationären Pflege, der Kurzzeitpflege und der teilstationären Pflege in Augsburg fehlen und wo Handlungsbedarf besteht.

    Manche Einrichtungen sind voll, Kurzzeitpflegeplätze teils schwierig zu bekommen...

    Schenkelberg: Wir alle haben die Vermutung, dass Plätze fehlen, aber wir haben keine belastbaren Zahlen. Im stationären Bereich liegt die Auslastung der fünf städtischen Einrichtungen seit geraumer Zeit bei annähernd 100 Prozent. Das ist ein Indiz für eine angespannte Situation. Bei der Kurzzeitpflege gibt es auch hohen Bedarf. Wenn der Grundsatz "ambulant vor stationär" gelebt werden soll, dann braucht es mehr Kurzzeitpflegeplätze. Mit steigendem Alter steigen die Erkrankungen. Besonders Demenz ist ein Problem. Und da ist es für pflegende Familien sehr entlastend, wenn es die Möglichkeit gibt, dass zum Beispiel die Eltern oder Großeltern mal in die Kurzzeitpflege gehen. Wir werden viel mehr Modelle in diese Richtung brauchen. Mit Ergebnissen zur Pflegebedarfsplanung rechnen wir in etwa einem Jahr.

    Eine andere Gruppe, die das Sozialreferat besonders im Blick hat, sind Kinder und Jugendliche. Was wollen Sie da erreichen?

    Schenkelberg: Wir wollen ein Konzept zur Jugendpartizipation entwickeln. Es geht um die Frage, wie stark Kinder und Jugendliche mitreden können, und es geht um die Frage der Möglichkeiten zur Teilhabe in den Stadtteilen. Hierzu wollen wir auch Jugendliche einbinden, weil sich nicht nur die Erwachsenen Gedanken machen sollen, was gut für Jugendliche ist. Manche Städte haben so etwas wie einen Jugendbeirat, aber da bin ich skeptisch: Das sind eher formale Veranstaltungen, wo man sich oftmals die Frage nach den Ergebnissen stellen muss. Ich halte die Einbindung bei Projekten für vielversprechender. Das gibt es im Baubereich schon, aber auch bei Themen wie Corona-Einschränkungen muss man die Bedürfnisse von Jugendlichen mitdenken. So sind im Bürgerbeirat Corona zum Beispiel auch Jugendliche vertreten. Das ist auch absolut notwendig.

    Wohnungsmieten und Preise steigen in Augsburg seit Jahren. Was kann die Stadt dagegen tun?

    Schenkelberg: Bei dem Thema möchte ich noch genauer hinschauen, um mir eine abschließende Meinung zu bilden. Wir versuchen schon, an mehreren Stellschrauben zu drehen. Bei anstehenden Bebauungsplanverfahren stehe ich dafür, den Stadtratsbeschluss durchzusetzen, dass mindestens 30 Prozent sozialer Wohnungsbau nötig sind oder die Stadt Grundstücke erwirbt. Da gilt es dann, konsequent zu sein. Es gibt immer viele Gründe, die man suchen und finden kann, um ein Auge zuzudrücken, aber angesichts des äußerst angespannten Wohnungsmarktes müssen wir für Entlastung sorgen. Das betrifft Leute, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen. Aber auch Menschen mit mittleren Einkommen haben inzwischen Schwierigkeiten, etwas zu finden. Wir entwickeln zudem eine Zweckentfremdungssatzung. Die Wirkung darf man nicht überbetonen, weil die Lage hier noch lange nicht mit München vergleichbar ist, aber eine solche Satzung kann ein Baustein sein. Wenn es gelänge, 100 Wohnungen pro Jahr aufzuspüren, die zweckentfremdet genutzt werden und sie wieder dem Wohnungsmarkt zuzuführen, wäre das schon etwas.

    Sie waren vorher Sozialreferent in Ansbach und sind ins siebenmal größere Augsburg gekommen. Wie gut sind Sie schon angekommen?

    Schenkelberg: Der Wechsel nach Augsburg war ein Sprung, was die Bevölkerungsanzahl und die Zahl der Mitarbeiter betrifft, die Themen sind aber teilweise vergleichbar. Vieles, was ich in Ansbach bearbeiten durfte, auch wenn es nur ein halbes Jahr war, habe ich hier wiedergefunden. Ich habe mich sehr bewusst für Augsburg entschieden, weil das Amt als Sozialreferent deutlich politischer ist als in Ansbach. Städte haben mich schon immer fasziniert und ich finde es toll, in einer Stadt wie Augsburg arbeiten und leben zu dürfen. Die hohe Migrationsquote ist herausfordernd und bereichernd und vielleicht ein Vorbote, wie sich Deutschland insgesamt entwickelt. Es ist spannend, da zu arbeiten, wo neue Entwicklungen ablaufen, und das ist in Augsburg der Fall.

    Sie sind Wochenendpendler zwischen Augsburg und Ansbach. Wie bekommen Sie das hin?

    Schenkelberg: Die Woche ist mit Terminen angefüllt und ich bin eigentlich nur zum Schlafen in meiner Mietwohnung in Kriegshaber. Am Wochenende bin ich entweder bei meiner Frau in Ansbach oder meine Frau kommt hierher, wenn es Termine am Wochenende gibt. Sie teilt von Anfang an meine Begeisterung für Augsburg.

    Zur Person: Martin Schenkelberg ist seit September Sozialreferent. Er wechselte aus Ansbach, wo er in derselben Position tätig war. Zuvor arbeitete der Jurist bei kommunalen Spitzenverbänden. Der gebürtige Rheinländer hat ein CDU-Parteibuch, ist seit November aber auch Mitglied der CSU.

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