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Augsburger Geschichte: Wie der Fuggerei-Erker gerettet wurde - und woher er eigentlich stammt

Augsburger Geschichte

Wie der Fuggerei-Erker gerettet wurde - und woher er eigentlich stammt

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    Das Höchstetter-Haus an der Ecke Ludwigstraße/Kesselmarkt um 1720. 437 Jahre lang schmückte es der Erker aus fünf kunstvoll gestalteten Seiten eines Achtecks. 
    Das Höchstetter-Haus an der Ecke Ludwigstraße/Kesselmarkt um 1720. 437 Jahre lang schmückte es der Erker aus fünf kunstvoll gestalteten Seiten eines Achtecks.  Foto: Sammlung Häußler

    Die Fuggerei feiert 2021 ihr 500-Jahr-Jubiläum. Die Gründungsstory und ein halbes Jahrtausend Fuggerei-Geschichte werden dabei in Erinnerung gebracht. Die Fuggerei zieht als älteste Sozialsiedlung der Welt Besucher aus aller Herren Länder an. Sie lassen in den Fuggerei-Gassen das einmalige Flair auf sich wirken. Die Historie bekommen sie bei einer Führung erzählt oder lesen darüber. In den Fuggerei-Museen und im Weltkriegsbunker sind Zeitabschnitte nacherlebbar.

    Wie viele der Fuggerei-Besucher von der Jakoberstraße aus den doppelstöckigen kunstvollen Erker aus grauem Sandstein am Senioratsgebäude wahrnehmen, ist nicht bekannt. Er sieht dort so aus, als wäre er schon immer ein Bestandteil der Fuggerei. Doch er hat seine ureigene Geschichte: Der Erker ist älter als die Fuggerei. Er befand sich ab 1507 am Haus eines Zeitgenossen des Fuggerei-Gründers Jakob Fugger. Jetzt ziert der Erker ein als Erweiterung des Senioratsgebäudes 1962/63 errichtetes Gebäude.

    Der historisierende Treppengiebel "vertuscht" das wahre Alter

    Dass das Haus so jung ist, „vertuschen“ der historisierende Treppengiebel und der doppelstöckige Erker mit Spitzdach. Es ist der „Höchstetter-Erker“, der den Zugang zur Fuggerei an der Jakoberstraße markiert. 437 Jahre war er das dekorative Schauobjekt am Höchstetter-Haus an der Ecke Ludwigstraße/Kesselmarkt, also an ganz anderer Stelle. Es war vor 500 Jahren der Firmensitz der Kaufherrenfamilie Höchstetter. Der Erker ist der einzige bauliche Überrest des Gebäudes.

    Der Kesselmarkt um 1905. Links ist der Erker am Höchstetter-Haus erkennbar.
    Der Kesselmarkt um 1905. Links ist der Erker am Höchstetter-Haus erkennbar. Foto: Sammlung Häußler

    Der kunstvolle Eckerker ist aus fünf Seiten eines Achtecks gebildet. Ambrosius Höchstetter (er lebte von 1463 bis 1534) hatte ihn Anno 1504 beim berühmten Baumeister der Ulrichsbasilika, Burkhard Engelberg, in Auftrag gegeben. Der Erker war als Zierde der im Blickfeld stehenden Hausecke des Neubaus seines Firmen- und Familiensitzes bestimmt. 1507 war das Meisterwerk gotischer Steinmetzkunst fertig. Die Wappen der Familien Höchstetter und Rehlinger, aus der Ambrosius Höchstetters Frau stammte, machen deutlich, wer hier residierte. Sie zieren den unteren Teil des Erkers. In der oberen Wappenreihe demonstrierte Ambrosius Höchstetter seine Beziehungen als Bankier regierender Häuser in Europa: Es sind Wappen des Kaiserhauses Habsburg.

    Handelshaus Höchstetter ging 1529 bankrott

    Die Höchstetter zählten zeitweise zu den schärfsten Konkurrenten der Fugger. Sie besaßen Anfang des 16. Jahrhunderts Bergwerke in Tirol, im Erzgebirge, in Spanien und in England sowie Niederlassungen in bedeutenden Handelsstädten zwischen Nordsee und Mittelmeer. Während die Fugger Krisen finanziell durchstanden, ging das Handelshaus Höchstetter 1529 bankrott.

    Das „Höchstetter-Haus“ hatte in der Folgezeit verschiedene Besitzer, das Gebäude wurde mehrfach umgebaut. Der Hausname und der Erker blieben jedoch. Als der Gebäudekomplex in der Nacht vom 25. auf den 26. Februar 1944 von Bomben getroffen wurde und ausbrannte, überstand der Erker erstaunlicherweise das Inferno. Aus Sicherheitsgründen mussten die Restmauern des Höchstetter-Hauses niedergelegt werden. Das erledigten militärische Spreng- und Abbruchtrupps, die mit Historie absolut nichts zu tun hatten.

    Ende Februar 1944: Der kunstvolle Sandstein-Erker hat das Bombeninferno überlebt. Das Höchstetter-Haus ist zerstört.
    Ende Februar 1944: Der kunstvolle Sandstein-Erker hat das Bombeninferno überlebt. Das Höchstetter-Haus ist zerstört. Foto: Sammlung Häußler

    Sie hätten mit Sicherheit den kunstvollen Sandstein-Erker „zerlegt“, hätten nicht maßgebliche Augsburger die Initiative ergriffen. Der Erker blieb unangetastet, seine Rettung musste jedoch schnell organisiert werden. Die filigrane Steinmetzarbeit wurde in ihre Einzelteile zerlegt. Ab 1949 lagerten die Steinteile in der von Bomben verschonten Dominikanerkirche, dem späteren Römischen Museum.

    Der Wiederaufbau gestaltete sich schwierig

    In der ersten Wiederaufbau-Phase gestaltete sich die Suche nach einem passenden Ort für eine Wiederanbringung des Erkers schwierig. Auf dem Grund des Höchstetter-Hauses wurde 1955/56 der Neubau der „Schwäbischen Landeszeitung“ (seit 1959 „Augsburger Allgemeine“) errichtet. Die moderne Architektur des Zeitungshauses war für den historischen Erker ungeeignet. Dass der Erker am 1962/63 errichteten Erweiterungsbau des Senioratsgebäude der Fuggerei eine neue Heimat fand, ist dem Architekten Freiherr Raimund von Doblhoff und dem Fugger'schen Familienseniorat zu verdanken.

    Der Architekt aus altem Adel hatte ein Gespür für die Integrierung von Historischem in Neues. Das bewies er beim Wiederaufbau der zu etwa 70 Prozent zerstörten Fuggerei. Dafür war er verantwortlich. Die Fuggerei war 1955 wiederaufgebaut. Doblhoff gestaltete ab 1953 auch das heutige Senioratsgebäude an der Jakoberstraße. Im Inneren „verbaute“ er aus zerstörten Fugger-Bauten geborgene historische Fragmente wie Netzrippengewölbe, steinerne Türrahmen und Wappensteine.

    Der Höchstetter-Erker schmückt seit 1962 das Senioratsgebäude der Fuggerei an der Jakoberstraße.
    Der Höchstetter-Erker schmückt seit 1962 das Senioratsgebäude der Fuggerei an der Jakoberstraße. Foto: Sammlung Häußler

    Als 1962 an das Senioratsgebäude ein Erweiterungsbau angefügt wurde, stimmten die Fugger der Integrierung der einstigen Leonhardskapelle zu. Sie befand sich 700 Jahre lang an der Ecke Karlstraße/Karolinenstraße, eingefügt in ein einstiges Haus der Welser. Es wurde 1944 zerstört. Säulen und Gewölbeteile waren 1958 geborgen worden. Die mit Neuteilen ergänzte gotische Leonhardskapelle wurde zum Tiefgeschoss des Neubaus an der Jakoberstraße. Der kunstvolle Erker fand einen würdigen Platz an dessen Nordwestecke. Raimund von Doblhoff bezeichnete aufgrund seiner „Verwertung“ historischer Baureste das Senioratsgebäude der Fuggerei als „Architektur-Altersheim“.

    Weitere Folgen der Augsburger Geschichte lesen Sie hier.

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