„BIBLIOTHECA PUBLICA“ ist in riesigen Buchstaben auf einem langen Podest im Annahof lesbar. Darunter befindet sich die Annahof-Parkgarage mit 156 Stellplätzen auf sieben Ebenen. Der Stadtmarkt und das Evangelische Forum Annahof sind mit wenigen Schritten erreichbar. Dass der Annahof ein geschichtsträchtiges Areal ist, darauf deutet das einstige Anna-Gymnasium hin. 1615 errichtete Elias Holl das Schulhaus. Die restaurierte Fassade prägt die Nordseite des Annahofs. Er war der Schulhof des Gymnasiums, das 1967 in Neubauten an der Schertlinstraße umzog.
Der historische Annahof und die ihn auf drei Seiten umschließenden Gebäude sind auf vielen Stichen und Fotos dokumentiert. Heute bildet der Nachkriegsbau des Evangelischen Forums die Ostseite des Annahofs. Die Westseite prägte bis 1894 die auf Stichen abgebildete markante Stadtbibliothek, an die die Aufschrift erinnert.
Im Annahof stand die erste deutsche Stadtbibliothek
Dass nach dem Abtragen der obersten Bodenschicht Grundmauern und Keller der 1562/63 erbauten reichsstädtischen Bibliothek auftauchen würden, war bei der Planung einer Tiefgarage unter dem Annahof vermutet worden. So kam es auch. Der Vorgänger von Elias Holl, Stadtbaumeister Bernhard Zwitzel, hatte die „Liberaia gen Sant Anna“ 1562/63 erbaut. Die im Jahr 1537 gegründete Bibliothek war die erste deutsche Stadtbibliothek, 25 Jahre später bekam sie ein eigenes Gebäude. Die Stadt wollte mit ihren Bücherschätzen renommieren. 330 Jahre lang konnte sie dies in dem Bibliotheksbau.
Der erste gedruckte Gesamtkatalog erschien anno 1660. Er listete 8500 Titel auf. Im Jahr 1845 waren es circa 125.000 Bände. Der weitere Bücherzuwachs machte 1892/93 den Neubau der jetzigen Staats- und Stadtbibliothek an der Schaezlerstraße nötig. Das bedeutete ein Jahr später den Abbruch der alten Bibliothek. Das mehrfach umgebaute Gebäude hatte mehrere Verwendungszwecke: Dem Treppenturm an der Südostecke war ein Observatorium aufgesetzt. Das Tiefparterre diente dem Bauamt als Materiallager, „Baugewölb“ genannt.
Spuren aus der Römerzeit im Annahof
All das war den Archäologen bekannt, als sie im August 2002 mit der Erforschung und Dokumentation des Bauplatzes begannen. Sie legten Mauern, Gewölbe, Rampen und Kalkgruben frei. Dass sich in den oberen Stockwerken eine Bibliothek befand, darauf deuteten Reste von Metallbeschlägen und Buchschließen. Sie fanden sich im Abfall und zwischen dem Pflasterbelag.
In der zweiten Grabungsphase ab September 2003 ging es tiefer. Dort folgte eine sensationelle Entdeckung: Die Archäologen fanden unnatürliche Bodenverfärbungen. Sie stammten von römerzeitlichen Befestigungsanlagen. Es waren Spuren einer vermutlich fünf bis sechs Meter hohen Holz-Erde-Mauer und von Spitzgräben aus der Römerzeit. Sie gaben Rätsel auf, denn die „Römerstadt“ lag nicht hier.
Der Augsburger Stadtarchäologe Dr. Lothar Bakker brachte Licht in ein bislang unbekanntes Kapitel in der Geschichte von Augusta Vindelicum, der römischen Provinzhauptstadt von Rätien. Sie war um 160/170 nach Christus durch Angriffe der Germanen gefährdet. Rom entsandte um 170 eine Legion. Die etwa 6000 Soldaten wurden beim Bau einer Stadtmauer eingesetzt. Sie arbeiteten daran vermutlich bis zum Jahr 178. In diesem Jahr wurde die Legion nach Regensburg verlegt. Die Soldaten lebten in einem zehn bis 20 Hektar großen Kastell. Dieses sicherten sie durch zwei Wehrgräben und eine Holz-Erde-Mauer. Dieses provisorische Lager war nun entdeckt. Unter dem Annahof dürfte die Südseite verlaufen sein. Als das Kastell nicht mehr benötigt wurde, ließen es die römischen Stadtherren einebnen.
Augsburg ist voller archäologischer Schätze
Bayerns Generalkonservator Egon Greipl besuchte 2002 die Grabung und plädierte für die Erhaltung historischer Relikte. Doch er konnte dies nicht durchsetzen. „Augsburg hat das Glück und das Problem, dass unter seinem Boden beispiellose Zeugnisse aus Antike und Früher Neuzeit liegen“, sprach er das Augsburger Dilemma bei Baumaßnahmen in der Kernstadt an.
Nach Abschluss der archäologischen Erforschung im Mai 2004 konnten die Bagger den Aushub vollenden. Römische Fundmünzen und Keramikscherben sowie allerhand Weggeworfenes aus jüngeren Epochen blieben als Spuren aus den Bodenschichten, die beim Bau der Tiefgarage zutage kamen, untersucht wurden und schließlich auf der Deponie landeten. Aus vielen Tonnen Beton entstand die unterirdische Parkgarage. Bilder überliefern das einstige oberirdische Aussehen des Annahofs. Zeichnungen, Pläne, Fotos und Fundstücke dokumentieren die archäologische Erforschung.
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