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Augsburger Geschichte: Das Bismarckviertel: Wie aus Grünland ein herrschaftliches Wohngebiet entstand

Augsburger Geschichte

Das Bismarckviertel: Wie aus Grünland ein herrschaftliches Wohngebiet entstand

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    Das Bismarckviertel im Jahr 1911. Der Herrle-Saalbau zwischen Singerstraße und Hochfeldstraße (ganz links) ist deutlich auszumachen.
    Das Bismarckviertel im Jahr 1911. Der Herrle-Saalbau zwischen Singerstraße und Hochfeldstraße (ganz links) ist deutlich auszumachen. Foto: Sammlung Häußler

    Das Bismarckviertel hat eine vielfältige Geschichte. Sie beschränkt sich nicht auf die historischen Häuser. Es ist bereits das Areal erinnernswert, auf dem sie gebaut wurden. Es lag vor der ab 1867 abgebrochenen Stadtbefestigung zwischen dem Eserwall und dem Roten Tor. Es war eine weite Grünzone, die als Schussfeld vor der "Festung Augsburg“ von Bebauung frei bleiben musste. 1844 wurde weit draußen vor der Stadtmauer die Eisenbahntrasse zum Hauptbahnhof angelegt.

    Postkarte von 1937: Die Bismarckstraße wird von der Straßenbahn befahren.
    Postkarte von 1937: Die Bismarckstraße wird von der Straßenbahn befahren. Foto: Sammlung Häußler

    Das Areal zwischen der Eserwallstraße und dem Schienenstrang wurde ab 1885 zum Baugebiet. Bis zu diesem Zeitpunkt standen dort seit Jahrhunderten nur Gartenhäuser in riesigen Privatgärten reicher Augsburger Familien. Der Stadtplan von 1730 zeigt "Herrn von Rads Garten“. Dieser fast 100.000 Quadratmeter große "Lustgarten“ reichte bis zur Haunstetter Straße. Kupferstiche und Stadtpläne dokumentieren seine Größe und seine Gestaltung. Ab 1601 ist die Besitzgeschichte verfolgbar. 1732 wurde der "von Rad‘sche Garten“ zum "Stetten-Garten“. Er lag im Ostteil des neuen Baugebiets, in dem 1888 das erste Haus erstand.

    Öffentliche Grünanlage gegenüber der Augsburger Freilichtbühne

    Auch Gartenbesitzer Moritz von Stetten baute: Er ließ 1897 an der Hochfeldstraße eine großzügige Villa errichten. Der Stadtplan von 1910 zeigt sie und das anschließende Bismarckviertel. Über die Hälfte ist 1910 noch grün eingezeichnet, also ohne Bebauung. Das änderte sich nach 1918. In diesem Jahr starb Moritz von Stetten, danach wurde der "Stetten-Garten“ in Bauplätze zerteilt. Ein kleiner Teil gegenüber der Freilichtbühne blieb als öffentliches Grün erhalten. Die Stetten-Villa fiel 1944 Bomben zum Opfer. An ihrer Stelle erstand Anfang der 1960er-Jahre ein großes Wohngebäude mit 38 Wohnungen.

    Der Festsaalbau Herrle wurde 1897 fertiggestellt. Am 5. Dezember 1897 versandten Gäste bei einem Besuch diese prächtige Hauspostkarte.
    Der Festsaalbau Herrle wurde 1897 fertiggestellt. Am 5. Dezember 1897 versandten Gäste bei einem Besuch diese prächtige Hauspostkarte. Foto: Sammlung Häußler

    Auf dem Stadtplan von 1910 bildet der "Saalbau Herrle“ den markanten Mittelpunkt des entstehenden Bismarckviertels. Er gehörte der Brauerei Herrle am Milchberg. Brauereibesitzer Kaspar Herrle betrieb schon vor der Gründung des Bismarckviertels mitten im neuen Baugebiet einen Biergarten. 1892 stand an der Hochfeldstraße ein einziges Haus, an der Singerstraße waren es sechs. Dazu zählte die "Restauration Herrle“, Singerstraße 11.

    Der Bierbrauer hatte das Neubaugebiet auf seine ureigene Art "besiedelt“: Er ließ in seinem Biergarten zwischen Singerstraße und Hochfeldstraße ein zweistöckiges Gebäude mit Mischnutzung bauen: Das Parterre war Gastronomiebereich, darüber lagen Mietwohnungen. Kaspar Herrle setzte die "Erschließung“ 1896/97 mit dem "Festsaalbau Herrle“ fort, geplant von Stararchitekt Jean Keller, der 1886 Hessings Kurhaus-Theater erbaut hatte.

    Vom "Festsaalbau Herrle“ wurde bereits am 5. Dezember 1897 eine gezeichnete "Hauspostkarte“ mit drei Abbildungen verschickt. Es erschienen noch zahlreiche Bildpostkarten. Eine zeigt den Saal mit Orgel und großem Chor auf der Bühne beim "Beethovenfest“ am 19. Mai 1898. Es folgten viele Anlässe für Festpostkarten: 1901 tagte darin der "Verein für die Hebung der Fluß- und Kanal-Schifffahrt in Bayern“, 1902 der „Verband Deutscher Architekten- und Ingenieur-Vereine“. Im "Herrle-Saal“ fanden bis zum Zweiten Weltkrieg ungezählte Faschingsredouten, Vereinsfeste und Jubiläen statt.

    Im Herrle-Biergarten herrschte Oktoberfest-Stimmung

    Eine am 13. September 1901 versandte Postkarte überliefert im Herrle-Biergarten eine Ochsenbraterei. "Wie auf dem Münchner Oktoberfest“ gehe es zu, schrieb ein Besucher auf der Bildpostkarte vom Garten des "Etablissements Herrle“. Den Saal überliefern viele Fotos und Ansichtskarten. Sie zeigen die Ausstattungen bei Vereinsjubiläen, Festbanketten oder Frühlingsfesten. Girlanden, üppiges Grün und Blumenarrangements schmückten den hohen Saal und die Galerie.

    1919 erwarb die Brauerei Lorenz Stötter die Herrle-Brauerei samt allen Immobilien. Dazu zählte auch der Saalbau. Die Stötter-Brauerei wurde im Februar 1920 von der Hasenbräu AG "geschluckt“. 1929 verkaufte Hasen-Bräu den Saalbau an die Witwe des Pächters. Ihre Söhne ließen den Saal 1938 modernisieren. 1944 wurde er zum Bombenopfer. Das große Grundstück wurde mit Wohnhäusern gebaut.

    Der Herrle-Saalbau war nicht der einzige gastronomische Betrieb, der nach dem Zweiten Weltkrieg im Bismarckviertel verschwand. Auch der "Garten zum Stockhaus-Keller“ an der Ecke Singerstraße/Eserwallstraße wurde Baugrund. Postkarten überliefern das Gartenlokal "Stockhaus-Keller“ ab 1900. Er hatte viele uniformierte Gäste aus der Chevaulegers-Kaserne jenseits der Eserwallstraße. Auch die Infanteristen aus der Prinz-Karl-Kaserne kamen über die Bismarckbrücke. Sie überbrückte ab 1898 die Bahntrasse.

    Welche Regeln auf der Bismarckbrücke galten

    Die erste Bismarckbrücke verfügte über 3,5 Meter breite Fußwege und eine acht Meter breite, mit Holz gepflasterte Fahrbahn. Die Ingenieure waren sich offenbar der Statik der tragenden Eisenkonstruktion nicht ganz sicher. Sie beugten mit Schildern vor: "Es ist verboten, über die Brücke anders als im Schritt zu reiten oder zu fahren.“ Auch die Marschtritte hunderter Soldaten hätten Schwingungen erzeugt, deshalb mussten Kolonnen auf der Brücke auf Gleichschritt verzichten.

    Der Name für die Brücke bot sich im Einweihungsjahr 1898 aus aktuellem Anlass an: 1898 verstarb der einstige Reichskanzler und Augsburger Ehrenbürger Fürst Otto von Bismarck. Nach ihm wurden die neue Brücke und die Straße, die den Bahnübergang mit der Innenstadt verbindet, benannt. Der gesamte Stadtteil wurde zum "Bismarckviertel“. Dass von 1904 bis 1952 die Tramlinie 3 mit der Endhaltestelle "Infanteriekaserne“ die Bismarckstraße befuhr, daran erinnern nur noch Fotos.

    Foto um 1910: Blick aus der Hochfeldstraße im Bismarckviertel auf die Ulrichsbasilika.
    Foto um 1910: Blick aus der Hochfeldstraße im Bismarckviertel auf die Ulrichsbasilika. Foto: Sammlung Häußler

    Jedes Haus im Bismarckviertel hat seine ureigene Grundstücks-, Bau- und Besitzgeschichte. Besonders markant ist das riesige Wohngebäude an der Ecke Bismarckstraße/Theodor-Heuss-Platz. Der Architekt Walter Krauss plante es 1897. 1944 wurde der mächtige Bau schwer beschädigt und in unterschiedlichen Architekturstilen wiederaufgebaut.

    Illustrationen und Aufnahmen des Bismarckviertels zwischen 1730 und 1938 sind in dieser Bildergalerie zusammengefasst:

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