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Augsburg: Wie kommt die Türkenfahne in den Dom?

Augsburg

Wie kommt die Türkenfahne in den Dom?

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    Wie kommt die Türkenfahne in den Dom?
    Wie kommt die Türkenfahne in den Dom?

    Wenn Mohammed in Karikaturen auftaucht, ist Ärger angesagt. Mindestens. Ja, sogar Mord, Totschlag und Terror. Erinnert sei an die Karikaturen 2005 in einer dänischen Zeitung und an diejenigen in der Pariser Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“, die von 2006 an erschienen sind.

    Wenn Mohammed in „normalen“ bildlichen Darstellungen arabischer, persischer oder türkischer Herkunft zu sehen ist, etwa solchen aus dem 14. bis 16. Jahrhundert, und uns dort gezeigt wird, wie der Prophet in die Schlacht zieht oder er Besuch vom Erzengel Gabriel erhält oder er in den Himmel reitet, dann hält sich die Aufregung in Grenzen – trotz des angeblichen Bilderverbots im Islam, das freilich auch dort kontrovers diskutiert wird.

    Geht es hingegen um schriftliche Zeugnisse, zum Beispiel solche des Korans, und werden diese in einem Museum gezeigt – nehmen wir das Historische Museum in Dresden, das Badische Landesmuseum in Karlsruhe oder das Bayerische Armeemuseum in Ingolstadt –, dann ist die Welt in friedlichster Ordnung, und niemanden stört es auch nur im Geringsten, wenn dort der Satz des islamischen Glaubensbekenntnisses zu lesen ist: „Es gibt keinen Gott außer Allah, und Mohammed ist sein Prophet.“ Nicht einmal die vielfache Wiederholung stört. Allein schon deshalb nicht, weil der normale Museumsbesucher eher von der kalligrafischen Perfektion beeindruckt sein dürfte, als dass ihm der arabische Wortlaut geläufig wäre.

    Wie aber verhält es sich, wenn der Koran in einer christlichen, genauer: in einer katholischen Kirche zu finden ist? Und zwar nicht in irgendeiner Kirche, sondern in einer bedeutsamen Bischofskirche. Und auch nicht an versteckter Stelle, sozusagen verdruckst in einer hinteren Ecke, sondern prominent und für jeden sichtbar aufgestellt: im Chorbereich des Gotteshauses. Gemeint ist der Augsburger Dom.

    Es handelt sich nicht gleich um den ganzen Koran, sondern nur um Auszüge. Konkret geht es um folgende Stelle: „Mohammed ist der Prophet Allahs. Hilfe von Allah und naher Sieg. So künde frohe Botschaft den Gläubigen.“ Es ist die Sure 61, Vers 13. Und eine weitere Sure lässt, als hätten wir es geahnt, verlauten: „Es gibt keinen Gott außer Allah, und Mohammed ist sein Prophet.“

    Diese Koransprüche finden sich selbstredend nicht auf dem Altar, im Tabernakel oder sonst wie mit geweihter Goldkordel versehen, sondern sie sind auf eine Fahne aufgemalt. Da hängt tatsächlich im östlichen Chorumgang ein türkisches Tuch oben an einem der Pfeiler, die das Gewölbe von Chor und Umgang tragen. Man nennt sie Blutfahne oder Sturmfahne. Sie hängt so hoch oben, dass man einfach unter ihr durchgeht, ohne je nach oben gesehen zu haben, sodass man sie auch nie weiter beachtet hat.

    Sie befindet sich der Wolfgangskapelle schräg gegenüber. Was der heilige Wolfgang mit der Türkenfahne zu tun hat, ist nicht klar, ist vermutlich auch nicht beabsichtigt.

    Aber gibt es etwas Auffälligeres als arabische Schriftzeichen, zudem solche aus dem Koran, in einer katholischen Kirche?

    Die Türkenfahne ist sehr alt. Sie enthält keine bildliche Darstellung, auch nicht das berühmte doppelklingige Schwert von Kalif Ali, dem Schwiegersohn Mohammeds, sondern nur Schriftzeichen, ein Gespinst aus Linien, Kurven, Punkten, Kreisen und Schwüngen. Es herrschen vier Farben vor: Purpurrot, Gold, Grün und Schwarz. Gefertigt aus kostbarem Material, aus Seide, ist die spitz zulaufende, fünfeckige Fahne nicht winzig wie ein Wimpel, sondern groß wie ein Banner: Sie misst vier Meter in der Länge.

    Sie sollte also eigentlich nicht übersehen werden. Das war auch nicht so vorgesehen. Denn sie stammt von den im 17. Jahrhundert siegreichen Türken, die damals in Europa Angst und Schrecken verbreiteten. Bis, ja, bis sie 1683 vor den Toren Wiens, auf dem Kahlenberg, zur Kehrtwende gezwungen wurden. Sie kehrten nicht gleich in die Türkei, das Kernland des Osmanischen Reiches, zurück, sondern brauchten dafür rund 200 Jahre. Eine Islamisierung Europas war damit gleichwohl gebannt.

    Prinz Eugen und andere befähigte christliche Befehlshaber erfochten fortan gegen die Muselmanen einen Sieg nach dem anderen – und machten große Beute. So auch Markgraf Ludwig Wilhelm von Baden, den sie liebevoll bis andächtig nur den „Türkenlouis“ nannten. Der hatte die Fahne 1689 in der Schlacht von Nissa (Nisch/Serbien) den Türken abgenommen, und über den kaiserlichen Hof gelangte sie am 21. Oktober nach Augsburg, wo sie im Dom aufgehängt wurde. Wohl aus Stolz und zur Mahnung. Möglich, dass die Türkenfahne anfangs sogar im zentralen Chor, schräg über dem Altar, befestigt war, jedenfalls legen dies frühe Abbildungen nahe.

    Da die Türkenkriege bei der Christenheit unter dem besonderen Schutz der Muttergottes standen, war es Usus, die erbeuteten Hoheitszeichen, die nun einmal zu den begehrtesten Trophäen gehörten, an den Papst und den Kaiser oder gleich an diverse Gotteshäuser zu übergeben. So hingen Türkenfahnen zum Beispiel im Petersdom von Rom, in der Wiener Minoritenkirche, in Pisa und in Urbino.

    In der Münchener Frauenkirche war sie im Mittelschiff an einem der mächtigen achteckigen Pfeiler angebracht, der Kanzel gegenüber, sodass der Geistliche bei der passenden Predigtstelle mühelos mit ausgestrecktem Arm auf das Relikt aus stürmischer Zeit verweisen konnte. Am Fronleichnamsfest wurde sie heruntergeholt, um in der Prozession dem erstaunten bis dankbaren Publikum zur Schau gestellt zu werden. Seit 1945 ist das Stück jedoch spurlos verschwunden.

    Nicht so in Augsburg. Es ist der einzige Ort in Bayern, wenn nicht sogar in Deutschland, wo eine Türkenfahne in einem Gotteshaus aufbewahrt wird. Sie repräsentiert eines der seltenen Exemplare des berühmten heiligen Banners des Propheten Mohammed, die aus dem 17. Jahrhundert übrig geblieben sind, wie Avinoam Shalem, Professor für Kunstgeschichte an den Universitäten München und New York, kürzlich in einer Studie mitgeteilt hat.

    Die Fahne prangt in luftiger Höhe in leuchtenden Farben, seit 1992 umso prächtiger, nachdem der über die Jahrhunderte hinweg brüchig gewordene Originalstoff durch eine Kopie ersetzt worden ist. Das ist lobenswert. Man hätte ihn ja auch stillschweigend entsorgen können. Und niemandem wäre etwas aufgefallen.

    So aber erinnert im Chorumgang des Augsburger Mariendomes ein Blick nach oben an die vielen vergessenen Siege, die verdrängten, verbrieften, verfehlten, verherrlichten, verpfuschten und vermeintlichen Siege. Oder anders formuliert, ein Besuch des Domes ist für Gläubige, Nichtgläubige und Nachdenkliche gleichermaßen empfehlenswert.

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