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Augsburg: Wie ein blinder Augsburger die Corona-Krise erlebt

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Wie ein blinder Augsburger die Corona-Krise erlebt

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    Alfred Schwegler unterstützt für den Blinden- und Sehbehindertenbund Betroffene in Augsburg. In der Corona-Krise ist das schwierig.
    Alfred Schwegler unterstützt für den Blinden- und Sehbehindertenbund Betroffene in Augsburg. In der Corona-Krise ist das schwierig. Foto: B. Mellert

    Das Coronavirus hat den Alltag von Alfred Schwegler nicht allzu sehr durcheinander geschüttelt. Einerseits. Andererseits hat das Virus sein Leben gehörig beeinflusst. Wie das sein kann? Schwegler ist sehbehindert – er ist blind, um genau zu sein. Man sollte meinen, der Alltag eines blinden Menschen wird durch all die von Corona hervorgerufenen Verhaltensänderungen gehörig beeinflusst: Abstand halten, Hände desinfizieren, wann immer es zu Berührungen kommt, alleine unterwegs sein, das Haus kaum verlassen.

    Doch Schwegler sagt, die aktuelle Lage treffe Blinde an mancher Stelle nicht so schlimm, wie man es vielleicht meinen könnte. „Unser Alltag spielte sich auch vor Corona zu großen Teilen in den eigenen vier Wänden ab.“ Zu kompliziert sei das Leben ohne Sehkraft in einer Großstadt, auch würden die meisten Blinden bei der Arbeit und in der Freizeit nicht von Termin zu Termin hetzen. Er selbst ist bereits in Erwerbsminderungsrente, doch ehrenamtlich ist er Leiter der Augsburger Beratungsstelle des Blinden- und Sehbehindertenbundes.

    Viele sehbehinderte Menschen haben sich wegen Corona zurückgezogen

    Vor Corona war er fast täglich im Büro, kümmerte sich um die Organisation von Veranstaltungen und bot Beratung an – ob persönlich oder am Telefon. Doch zuletzt war das anders: „Mein Telefon steht jetzt die meiste Zeit still.“ Nicht nur, weil sich die meisten Mitglieder in ihre eigenen vier Wände und die Familie zurückgezogen hatten – auch Veranstaltungen fanden keine mehr statt. Bis in den August hinein hat Schwegler Treffen, Feiern und Busreisen abgesagt. Er erzählt: „Gerade die Begegnungsnachmittage fehlen vielen blinden Menschen besonders.“ An diesen Tagen pflegen Mitglieder nicht nur soziale Kontakte. Auch über Probleme könne man sich dann austauschen.

    Das funktioniere nun zwar auch per E-Mail oder Telefon, der persönliche Kontakt sei aber einfach nicht zu ersetzen. Wenn blinde Menschen auf sich alleine gestellt sind, bereite der Alltag bereits ohne Corona große Probleme. Der Einkauf in einem großen Supermarkt sei ohne Assistenz undenkbar. „Das ist jetzt ein Vorteil – unser Hilfsnetzwerk existiert bereits, das Virus wirbelt da nicht so viel durcheinander“, sagt Schwegler. Auch die Fahrt im öffentlichen Nahverkehr stellt aufgrund der möglichen Nähe zu anderen Menschen ein Risiko dar. Jedoch: „Wenn die Leute sehen, dass ein blinder Mensch zusteigt, machen sie sofort Platz.“ Und sie wahren seiner Erfahrung nach den Abstand. Allerdings würden viele Blinde Straßenbahnen und Busse generell meiden – zumindest, wenn sie alleine unterwegs sind.

    Alfred Schwegler kann sich auf die Hilfe seiner Frau verlassen

    In Schweglers Fall ist es die Ehefrau, auf die er sich stets verlassen kann. Sie fährt ihn mit dem Auto ins Büro oder auch zum Arzt. Der 63-Jährige sagt: „Die meiste Zeit sind wir jetzt aber zu Hause.“ Wie alle anderen eben auch. Hier programmiert der gelernte Informatiker Webseiten oder er arbeitet im eigenen Garten. Wenn er etwas in diesen Tagen – neben seiner ehrenamtlichen Tätigkeit – besonders vermisst, dann sei das eine Sache: Gottesdienste in der Kirche. Erst seit dieser Woche können sie wieder stattfinden.

    Viele der meist älteren Mitglieder des Blinden- und Sehbehindertenbundes in Augsburg würden gerne in die Kirche gehen, sagt Schwegler. Deswegen hatten er und seine Mitarbeiter bereits vor Ostern einen Plan ausgearbeitet. „Wir haben ganz einfach telefonische Gottesdienste eingerichtet.“ Ein erster Gottesdienst dieser Art fand am Gründonnerstag statt. Bis Ostermontag feierten Schwegler und weitere Mitglieder sechs Andachten und Gottesdienste. Dabei lauschten bis zu 50 Zuhörer. Doch nicht nur das. Im Gegensatz zu Online-Gottesdiensten durfte und sollte man auch mitsingen. Und nachdem die telefonischen Kirchgänger ihre Sprechmuschel während des Gesangs ein wenig auf Abstand hielten, dröhnte der auch nicht mehr den anderen Zuhörern in den Ohren.

    Durch die Abende führen die Blindenseelsorgerin oder der zuständige Diakon des Augsburger Bistums. Weil die Nachfrage danach so groß sei, wolle man das Angebot mindestens noch im Mai und Juni beibehalten, erläutert Schwegler. Denn auch wenn Gottesdienste jetzt erlaubt sind: Für Blinde und Sehbehinderte ist der Kirchgang aufgrund der aktuellen Einschränkungen erschwert – etwa bei den Vorgaben zur Abstandswahrung.

    Wer Interesse an einem der Telefon-Gottesdienste hat, kann sich bei der Beratungsstelle des Bundes in Augsburg melden unter der Telefonnummer 0821/455415-0 oder per E-Mail an augsburg@bbsb.org

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