Als schick galt diese Gegend einst wirklich nicht. Im Augsburger Textilviertel dominierte bis vor rund 20 Jahren noch die Industrie. Die Menschen arbeiteten hart. Wohnungen wurden zu fairen Preisen an Arbeiter vermietet. Seitdem ist in den vergangenen Jahren viel passiert. Heute gilt das Gebiet jenseits der Schleifenstraße als ein schickes, aufstrebendes Stadtviertel. Das Leben ist ein anderes geworden. Das hat auch Folgen für die Bevölkerung.
Patrick Schneider kommt aus dem neuen rostrot gestrichenen Haus „Studiosus 5“ gegenüber der City-Galerie. Vor zwei Wochen hat der 18-jährige Pforzheimer eine der 370 Wohnungen bezogen. Als „Lifestyle-Apartments für Studenten“ werden sie im Internet deklariert. Schneider, der in Augsburg nun Jura studiert, gefällt sein neues Zuhause mit zwei Zimmern. Auch den Concierge, der in dem Apartmenthaus nicht nur Pakete entgegennimmt, sondern für Neuankömmlinge in Augsburg Tipps parat hält, schätzt der Student. Was er an Miete zahlt? „Ich glaube zwischen 500 und 600 Euro.“ Genau weiß er es nicht. Fest steht, gehobenes Niveau hat seinen Preis. Wie an so vielen Stellen im Textilviertel, an dem es einschneidende Veränderungen gibt.
Glaspalast und Fabrikschloss wurden schon vor längerem saniert, das Textilmuseum und das Stadtarchiv entstanden, an der Reichenberger Straße gibt es inzwischen eine Discountermeile. Zuletzt wurde auf den Industriebrachen viel neu gebaut: Die Siedlung an der Aumühle am Glaspalast, das Areal an der einstigen Kammgarnspinnerei, der Provino-Park zwischen Schleifenstraße und Textilmuseum sowie der Martinipark, wo das Theater vorübergehend eine Heimat gefunden hat. In der Nähe des Schlachthofs ist am Proviantbach ebenfalls ein Neubauprojekt geplant. Diese Entwicklung bringt Folgen mit sich.
Die Bevölkerung im Textilviertel in Augsburg hat sich verändert
„Es hat einen Wechsel in der Bevölkerung gegeben“, haben Renate Rampp und Christian Trüper von der Bürgeraktion Textilviertel beobachtet. Früher habe man viele türkische Familien im Viertel gesehen. Sie verdienten in der Textilindustrie ihr Geld. Diese Familien sind verschwunden. „Nach den Sanierungen gibt es eine völlig neue Bevölkerung. Es sind häufig Berufstätige, die morgens gehen und abends kommen, von denen man im Viertel aber nichts mitbekommt“, findet Rampp. Gewachsene Nachbarschaften gebe es immer seltener. Dafür sei die Infrastruktur mit Geschäften besser geworden. Letzteres bestätigt Angelika Spießecker.
Seit rund 40 Jahren lebt Spießecker bereits im Textilviertel. Sie findet, dass es sich toll entwickelt hat. Die 65-Jährige unterhält sich gerade mit einer Bekannten vor der Drogerie Rossmann in der Oberbürgermeister-Hohner-Straße. Hier, an der Ecke zur Schleifenstraße, ist in den letzten Monaten ein kleines Nahversorgungszentrum entstanden. Neben der Drogerie haben sich „Denns Biomarkt“ und das Burger-Restaurant „Hans im Glück“ angesiedelt. Endlich gebe es Einkaufsmöglichkeiten, meint die Augsburgerin. Spießecker ist mit der Entwicklung „ihres“ Viertels glücklich. „Studenten leben hier und junge Familien mit Kindern. Für mich ist das eine Bereicherung. Wir waren doch schon eine alte Gesellschaft“, meint sie und fügt schnell hinzu: „Na ja, Mittelalter.“ Die neuen Wohnviertel am Schäfflerbach findet sie gelungen.
Infrastruktur des Textilviertels entwickelt sich
Auch Anja Müller gefällt die Neugestaltung der Gegend. Mit ihrem Bekannten Andreas Dutt sitzt sie in der Nachmittagssonne auf der Terrasse der Burgerkette „Hans im Glück“. Beide warten auf ihr Essen. Die 29 Jahre alte Tierärztin lebt seit zwei Jahren in der Friedberger Straße. Seitdem sich die Infrastruktur des Textilviertels entwickelt hat, zieht es die junge Frau nicht mehr ganz so oft in die Innenstadt.
„Der Weg durch das Textilviertel ist viel schöner als an der Friedberger Straße entlang in die City“, findet Müller. „Ich bin jetzt häufig im Textilviertel, um hier zu essen oder einzukaufen. Für mich ist das näher. Außerdem gefällt es mir hier.“ Das Viertel hat an Eigenständigkeit gewonnen. Doch Christian Trüper von der Bürgeraktion kritisiert, dass es trotzdem kein richtiges Stadtteilzentrum gebe. „Man hat die Bildung des Viertels sich selbst überlassen.“ Apropos sich selbst überlassen. In der Nähe des Textilmuseums gibt es noch ein Fleckchen, das bislang unangetastet geblieben ist.
Hoffen, dass das Gebäude mit dem Provino-Club noch lange erhalten bleibt
Der Provino Club und sein Biergarten sind ein Relikt aus den Zeiten, in denen das Textilviertel noch nicht saniert und schick war. In dem alten Gebäudekomplex, der der Brauerei Riegele gehört, sind neben dem Veranstaltungsort für Konzerte und Co. auch Wohnungen untergebracht. Roman Trampler lebt in einer. Von Eigentümerseite werde in die Wohnungen nichts mehr investiert, erzählt der 46-Jährige. „Aber dafür ist die Miete exorbitant niedrig. Das passt.“ Er kann den Biergarten, der zum Club gehört, mitbenutzen, und liest dort gerade ein Buch. „Ich halte das hier noch für ein Kleinod im Textilviertel. Aber mal sehen, wie lange das so bleibt.“
Trampler ist sich sicher, dass das alte Haus irgendwann auch neuen Plänen weichen muss. So lange will er die Idylle noch genießen. Mit der Entwicklung scheint er nicht zu hadern. „Im Viertel ist viel neuer Wohnraum entstanden, der sehr teuer ist.“ Trampler zuckt mit den Achseln. „Nachdem aber alles belegt ist, werden sich die Leute das schon leisten können.“
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