Startseite
Icon Pfeil nach unten
Augsburg
Icon Pfeil nach unten

Augsburg: Warum eine junge Frau ihren Vater nie wieder sehen will

Augsburg

Warum eine junge Frau ihren Vater nie wieder sehen will

    • |
    Ein Mann hat jahrelang seiner eigenen Tochter nachgestellt.
    Ein Mann hat jahrelang seiner eigenen Tochter nachgestellt. Foto: Nicolas Armer/dpa

    Zu einer direkten Begegnung im Gerichtssaal kommt es nicht. Die Jugendkammer unter Vorsitz von Lenart Hoesch hat es per Beschluss der 16-jährigen Anna* erspart, im Zeugenstand ihrem Vater Auge in Auge gegenüber zu sitzen. Einem Vater, den Anna nie mehr sehen will, von dem sie in Ruhe gelassen werden will, der – so sagt sie – ihr Leben zerstört habe. Das, was Anna sagt, wird nun per Video aus einem Vernehmungszimmer in den Sitzungssaal übertragen.

    Auf diese Stunde hat Johann-Martin P, 62, der in Untersuchungshaft sitzt, wohl lange gewartet. Seit mehr als zehn Jahren stellt er seiner Tochter nach. Die daraus resultierenden Konflikte mit Polizei und Justiz führten zu zig Flugblattaktionen, mit denen er unter anderem den Augsburger Oberbürgermeister Kurt Gribl übel beleidigte. In dem Prozess, der wohl noch Wochen dauern wird, geht es auch darum, ob der 62-Jährige in die Psychiatrie eingewiesen wird.

    Alle Fragen der Prozessbeteiligten an Anna, die von Anwältin Marion Zech begleitet wird, müssen über den Vorsitzenden Richter gestellt werden. Das Videobild der Schülerin wird an die Wand des Saales geworfen. Anna, die – weil sich die Eltern trennten – als kleines Kind bei der Oma, einer Tante und einer Pflegefamilie aufwuchs, sagt, sie habe ihren Vater nie gemocht. „Ich hatte schon als kleines Mädchen Angst, mit ihm allein zu sein“.

    Als dem Vater das Sorge- und Umgangsrecht entzogen worden war, tauchte er überall dort auf, wo er seine Tochter vermutete, sprang mal unversehens hinter einem Busch hervor, verteilte Flugblätter, hielt Plakate mit dem Foto Annas in die Höhe: vor dem Kindergarten, der Schule, an der Bushaltestelle. Anna bekam mit, wie ihr Vater in Handschellen vor dem Kindergarten abgeführt wurde. Später, als sie zur

    Klägerin: "Mein Vater hat mich gestalkt"

    Anna erzählt: „Ich wollte nicht mehr zur Schule, traute mich nicht mehr aus dem Haus. Die Leute im Dorf redeten, anderer Kinder wollten nicht mehr mit mir spielen.“ Sie habe nachts Angst gehabt, dass ihr Vater durch das Fenster einsteige, sie entführe. Soviel Angst, dass ihr die Luft weggeblieben sei und sie Kopf- und Magenschmerzen bekam. In der Schule sei sie gemobbt worden. Ohne äußerlich sichtbare Emotionen sagt Anna ganz kühl: „Er hat mein Leben zerstört. Er hat Lügen über mich verbreitet und mich gestalkt. Ich will nichts mehr mit ihm zu tun haben“. Für das Verhalten ihres Vaters habe sie nur eine Erklärung: dass er psychisch krank sei.

    Anna, die jetzt ein Internat besucht, hat 2015 einen Suizidversuch unternommen. Die Hauptschuld, dass es soweit kam, gibt sie ihrem Vater. Der nimmt sein Fragerecht als Angeklagte, wie auch bei anderen Zeugen, ausführlich wahr. „Wie heißt dein Vater?“, will er wissen. Oder: „Hast Du Dir die Haare färben lassen?“. Endlos ergeht sich Johann-Martin P. in Detailfragen, die kaum ein Prozessbeteiligter mehr versteht. Anna bleibt äußerlich erstaunlich gelassen. Am Ende der zweistündigen Vernehmung ist sich der Angeklagte, wie er sagt, nicht mehr sicher, dass die junge Frau auf dem Videobild an der Wand überhaupt seine Tochter ist. „Ich erkenne sie nicht vom Gesicht her. Es könnte auch eine andere sein“.

    Darauf reagiert P.s Verteidiger Felix Dimpfl für alle Beteiligten völlig überraschend mit einer ungewöhnlichen Frage. Ob Anna denn bereit wäre, bei einem Vaterschaftstest mitzuwirken? „Das würde ich machen“, antwortet die Schülerin. Und Johann-Martin P. sagt zum Gericht: „Wenn herauskommt, dass ich nicht ihr Vater bin, würde ich aufhören“. Gemeint sind damit offenbar seine jahrelangen unsäglichen Aktionen.

    *Name geändert

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden