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Augsburg: Verzweifelte Bewohner: Nach Brand in Karolinenstraße bleibt ihnen nichts

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Verzweifelte Bewohner: Nach Brand in Karolinenstraße bleibt ihnen nichts

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    Andreas Gruber und Anna Mayr haben durch den Brand in dem Haus in der Karolinenstraße alles verloren. Der 33-Jährige und die 25-Jährige wohnten in einer WG im zweiten Stock.
    Andreas Gruber und Anna Mayr haben durch den Brand in dem Haus in der Karolinenstraße alles verloren. Der 33-Jährige und die 25-Jährige wohnten in einer WG im zweiten Stock. Foto: Bernd Hohlen

    Andreas Gruber hat sich im Sozialkaufhaus Contact ein paar Klamotten gekauft. Schließlich hat er keine mehr. Seine sind vermutlich verbrannt. Aber das ist wohl nur das geringste Problem des 33-jährigen Augsburgers und der anderen Bewohnerinnen und Bewohner aus dem Haus Nummer 15 in der Karolinenstraße. Das historische Gebäude, in dem vier Wohngemeinschaften bis Freitagabend gelebt haben und wo im Erdgeschoß Geschäfte untergebracht waren, ist fast nur noch ein Trümmerhaufen. Vereinzelte, noch übrig gebliebene, verkohlte Dachbalken ragen wie schwarze Rippen in den blauen Spätsommerhimmel, zwei Stockwerke sind verschwunden. Wie Eingeweide quellen undefinierbare Materialien aus der Ruine, nur ein Lampenschirm ist im Chaos erkennbar. Bei dem verheerenden Feuer am Freitagabend in dem Haus in Augsburgs Innenstadt haben 20 junge Leute auf einen Schlag nicht nur ihr Dach über den Kopf verloren, sondern auch ihr Hab und Gut. Sie plagen jetzt große Sorgen. Unter den Bürgern formiert sich Hilfsbereitschaft.

    Als die Schreie "Feuer, alles raus hier", durch das Haus gellen, liest Andreas Gruber gerade auf seinem iPad. Er und die 25-jährige Mitbewohnerin Theresa W. sind die einzigen der Vierer-WG im zweiten Stock, die zu Hause sind. Und drei von der WG oben drüber, sagen sie. Die meisten Hausbewohner, unter ihnen einige Studenten, befinden sich noch im Urlaub. Gruber denkt nicht nach. Er packt sein

    Schreie durch das Haus: E-Scooter soll explodiert sein

    "Irgendjemand schrie, dass oben ein E-Scooter wie ein Feuerwerk explodiert sei", erinnert er sich. Die Kripo geht diesem Verdacht nach, aber noch kann die Polizei die Ursache nicht abschließend bestätigen. Seine Mitbewohnerin Anna Mayr ist zu der Zeit in der Arbeit. Plötzlich schreibt ihr über das Handy ein WG-Kollege, der sich gerade in Schweden aufhält. Ob es ihr und den anderen gut gehe, will er wissen und schickt Bilder von dem Einsatzort, die er selbst zugesandt bekam. Die 25-jährige Erzieherin fällt aus allen Wolken, fährt sofort nach Hause. Sie sieht Feuerwehr,

    Anna Mayr sattelt gerade eine Ausbildung zur Reittherapeutin auf ihren Beruf als Erzieherin drauf. Dafür hat sie eine Fallarbeit verfasst, in die sie unter anderem 20 Stunden Therapiearbeit investiert hat. "Die ganze Arbeit ist weg, das Lernzeug auch", sagt die junge Frau mit dem blonden Zopf geknickt. Theresa W. steckt im Pharmazie-Staatsexamen. All ihre Unterlagen sind vernichtet. Sie ist verzweifelt. "Ich muss schauen, dass ich die Prüfung jetzt irgendwie schaffe, sonst kann ich meinen Job nicht antreten, den ich schon habe." Auch Andreas Gruber steht kurz vor einer Prüfung zum Fachwirt.

    Den Kopf frei zum Lernen hat gerade niemand von ihnen. Sie müssen viel organisieren: Unterkunft, Kleidung, neue Führerscheine, Ausweise, Impfpässe, sie schreiben Verlustmeldungen, telefonieren mit Versicherungen, kontaktieren Prüfungsämter. Es sind viele Kleinigkeiten, die nicht nur viel Zeit beanspruchen, sondern auch Geld und Nerven. Dazu der Schock, über das, was passierte, und über das, was alles noch hätte passieren können. Denn auch das bekommen sie nicht aus ihrem Kopf. Er sitzt tief, der Schreck. Dazu fühlten sie sich etwas im Stich gelassen, sagen die jungen Leute.

    Betroffene aus Brandhaus in Karolinenstraße fordern bessere Information

    Sie wüssten einfach nicht, wie es weitergeht, würden keine Informationen erhalten. "Der Vermieter will uns Belege ausstellen, dass wir im Haus gewohnt haben", erzählt Gruber. Aber ob und wann sie noch mal vor Ort nachschauen können, ob doch etwas von ihren Habseligkeiten verschont geblieben ist, dazu könne ihnen bislang niemand etwas sagen. Der Eigentümer verweise sie an die Stadt, die Stadt an den Eigentümer. "Wir wünschen uns eine bessere Kommunikation, dass wir mit eingebunden werden." Schließlich könnte sich die Stadt über die Polizei ihre Kontaktdaten besorgen. Ordnungsreferent Frank Pintsch (CSU), der nach der Brandkatastrophe viel zu koordinieren hat, sagt, dass das Amt für soziale Leistungen Wohnungen zur Verfügung stellen könne. Hier könnten Betroffene vorübergehend unterkommen. Bei Bedarf solle das Sozialreferat kontaktiert werden, empfiehlt Pintsch. Zudem sei man dabei, einen Spendenaufruf zu organisieren.

    Die Bürgerstiftung "Beherzte Menschen", die es seit rund 20 Jahren gibt, hat bereits ein Spendenkonto eingerichtet. Wie Vorsitzender Lothar Roser erzählt, hat der Brand unter den Augsburgern große Betroffenheit ausgelöst. Gespendet werden kann unter dem Stichwort "BewohnerInnen" auf das Konto IBAN DE22 7205 0000 0000 0263 69. Auch Stadträtin Lisa McQueen (Die Partei), die Betroffene kennt, hat auf der Homepage "betterplace.me" eine Spendenaktion gestartet. Sie ist unter dem Suchbegriff "Karolinenstraße" zu finden und heißt "Hilfe für die Bewohner*innen der Karolinenstraße 15". Finanzielle Unterstützung, sagen Andreas Gruber und Anna Mayr, könnten wohl alle im Haus brauchen. Auch wichtig sei für sie jetzt unbürokratische Hilfe in jeglicher Form. Bei den meisten Betroffenen handelt es sich offenbar um Berufseinsteiger, Auszubildende und Studenten. Das Haus Nummer 15 ist seit vielen Jahren für seine jungen Wohngemeinschaften bekannt. Hier sind schon viele erwachsen geworden, sagt einer, der es wissen muss.

    Besonderes Flair: Erinnerungen an das Haus

    Michael Braunmiller hat mal sechs Jahre lang in dem Haus gewohnt, dort auch seine zukünftige Frau kennengelernt. Diesen Donnerstag will das Paar heiraten. Der Brand trifft den 35-Jährigen. "Es hängen so viele Erinnerungen an dem Haus." Das Flair sei immer einzigartig gewesen. "Wir alle waren wie eine Familie." Es gab viele Partys, besonders auch nach dem Christkindlesmarkt oder Silvester auf der Dachterrasse. Der Eigentümer habe es den jungen Leuten überlassen, sich neue Mitbewohnerinnen oder Mitbewohner auszusuchen, wenn jemand auszog. "Es war ein Freiraum für junge Menschen", schildert Braunmiller. "Die Jahre dort waren für mich prägend. Es tut weh, weil viele schöne Erinnerungen daran hängen."

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