Als Richterin Rose Oelbermann vor wenigen Tagen das Urteil gegen einen der Rädelsführer der Augsburger Krawallnacht fällte, sagte sie: "Was da passiert ist, ist noch nie in unserer schönen Maximilianstraße passiert. Und es soll auch nie wieder vorkommen." Zu zwei Jahren Freiheitsstrafe auf Bewährung und mehreren Auflagen verurteilte sie den 20-jährigen Äthiopier, unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte (wir berichteten). Das Urteil sorgte mitunter für Unverständnis. Für manche Leserinnen und Leser war es zu lasch. Dieser Eindruck sei falsch, sagt hingegen Erwin Schletterer. Als langjähriger Leiter des Vereins "Die Brücke", der sich um straffällig gewordene Jugendliche kümmert, erklärt der 60-Jährige, warum das Urteil zahlreiche Konsequenzen für den Straftäter bedeutet.
Fünf Monate waren seit der Nacht der Ausschreitungen in der Maximilianstraße vergangen. So lange saß der junge Mann in Untersuchungshaft im Münchner Gefängnis Stadelheim – bis zum Prozess vor dem Augsburger Jugendschöffengericht. Zeugenbeobachtungen und Videosequenzen zufolge hatte er eine Meute an jungen Menschen gegen Einsatzkräfte aufgewiegelt, mit einer Flasche und einer Luftpumpe nach Beamten geworfen, diese provoziert und beleidigt.
Krawall in der Maxstraße: Angeklagter zeigt sich vor Gericht geständig
Vor Gericht zeigte er sich geständig, für die Zeit in der U-Haft war ihm ein gutes Zeugnis ausgestellt worden. Der Äthiopier, der zur Tatzeit noch 19 Jahre alt war, wurde nach dem Jugendstrafrecht verurteilt, bei dem der Erziehungsgedanke eine wichtige Rolle spielt. Generell kann bis zum Alter von 21 Jahren das Jugendstrafrecht angewandt werden, wenn bei einem Beschuldigten von sogenannten Reiferückständen ausgegangen wird. Nach Bewertung des Gerichts war dies hier der Fall. Der Mann, der mit seiner Mutter vor 13 Jahren nach Deutschland geflohen war und psychisch erkrankt ist, darf sich in seinem Bewährungszeitraum von drei Jahren nichts mehr erlauben.
Der Krawallmacher aus der Maxstraße bekommt für zwei Jahre einen Bewährungshelfer zur Seite gestellt, er muss ein Jahr lang mit der Drogenhilfe Schwaben kooperieren, zudem seine ambulante Therapie in der Jugendpsychiatrie am Josefinum wieder aufnehmen. Dazu kommen die Weisungen, die mit dem Verein "Die Brücke" zusammenhängen: 120 Sozialstunden, ein Jahr lang wöchentliche Betreuungsstunden sowie die Teilnahme an einem sogenannten konfrontativen Kurs. "Es handelt sich um ein sehr umfassendes Maßnahmenpaket. Dabei ist alles aus dem ambulanten Bereich ausgeschöpft", sagt Erwin Schletterer, der seit über 30 Jahren mit Jugendstraftätern zusammenarbeitet. Ziel des Jugendstrafrechts sei, betont Schletterer, dass solche Taten nicht mehr passieren. Es bestehe aus Repression, wie hier die Haftstrafe auf Bewährung sowie aus Maßnahmen, um einen jungen Menschen wieder auf den richtigen Weg zu bringen. Kritik, das Urteil sei zu harmlos, könne er nicht nachvollziehen. "Viele wissen nicht, was sich hinter den Maßnahmen verbirgt."
120 Sozialstunden bewegten sich laut Schletterer an der Obergrenze. Eigentlich wollte die Richterin den Äthiopier sogar zu 200 Stunden verdonnern, doch wegen Corona gibt es derzeit nur eine begrenzte Stellenzahl. Wie Schletterer bestätigt, kommen pandemiebedingt nur Arbeiten an der frischen Luft in Frage, wie etwa auf Friedhöfen oder Wertstoffhöfen. Sozialstunden seien für die Klientel wichtig, um den Alltag zu strukturieren. "Bei Schulgängern oder Auszubildenden geht es massiv an deren Freizeit, wenn sie an Wochenenden acht Stunden am Tag arbeiten müssen."
Bewährungsstrafe: Wer den Auflagen nicht nachkommt, muss in Arrest
Die wöchentliche Betreuungsweisung beschreibt Schletterer als eine individuelle, pädagogische Maßnahme. Es gehe um die Schaffung von Perspektiven, was einen beruflichen Weg, familiäre oder finanzielle Probleme angehe – und um sinnvolle Freizeitgestaltung. "Wer nichts mit sich anzufangen weiß, kommt auf dumme Gedanken. Wir versuchen in der Zusammenarbeit Risikofaktoren zu minimieren." Die jungen Männer und Frauen können den Auflagen übrigens nicht entgehen. "Wenn jemand nicht kommt, suchen wir ihn daheim auf", so Schletterer. Spitze sich die Lage zu, drohe Arrest bis zu vier Wochen.
Mit am herausforderndsten sei der konfrontative Kurs. Dieses Anti-Gewalt-Training, an dem mehrere junge Männer teilnehmen, sei definitiv keine Kuschelgruppe, so der Leiter der Brücke. "Für die Teilnehmer bedeutet das harte Arbeit an sich selbst. Viele der jugendlichen Täter sähen sich nämlich als Opfer. "Ein Klassiker ist die Aussage: 'Der hat meine Familie beleidigt'." Sie müssen lernen, ihre Rechtfertigungen für ihre eigenen Taten aufzugeben und stattdessen Verantwortung zu übernehmen." Wichtig sei dabei auch das Thema Empathie mit den Opfern. Genau das wollte die Richterin des Jugendschöffengerichts auch dem Verurteilten vermitteln. Zweimal redete sie während der Verhandlung dem 20-Jährigen ins Gewissen, ob ihm klar sei, dass in Polizeiuniformen Männer und Frauen stecken, die nur ihren Job machen, die Kinder haben und unverletzt nach Hause gehen wollen.
Rädelsführer kam nach Eskalation in der Augsburger Maxstraße in U-Haft
Erwin Schletterer weiß, dass man generell nicht alle Jugendlichen erreichen kann. Dennoch seien die Maßnahmen meistens erfolgreich. Das habe auch eine Untersuchung der Universität Eichstätt vor einigen Jahren gezeigt. Bei Aggressionstests habe man nach vier Monaten bei den Klienten eine signifikante, positive Veränderung festgestellt. Übrigens kann eine Bewährung widerrufen werden, wenn der Betreffende erneut straffällig wird oder wiederholt gegen Auflagen verstößt. "Solch ein Urteil", sagt Schletterer, "bedeutet ein sehr ernst zu nehmendes, enges Korsett." Auch dürfe man nicht vergessen: "Der junge Mann saß bereits fast ein halbes Jahr im Gefängnis. Und die U-Haft ist eine strenge Form von Haft."
Hören Sie sich dazu auch unseren Podcast über Aggressionen und Gewalt im Augsburger Nachtleben an: