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Augsburg: Urlaub zuhause: Auf Entdeckungstour im Protestantischen Friedhof

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Urlaub zuhause: Auf Entdeckungstour im Protestantischen Friedhof

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    Wer alle Reihen des Protestantischen Friedhofs abläuft, hat am Ende 5,7 Kilometer zurückgelegt und viel über Augsburg erfahren.
    Wer alle Reihen des Protestantischen Friedhofs abläuft, hat am Ende 5,7 Kilometer zurückgelegt und viel über Augsburg erfahren. Foto: Michael Eichhammer

    Der Protestantische Friedhof ist nicht nur ein Ort der Toten, sondern auch eine lebendige grüne Lunge der Stadt. „Wir haben hier mehr Bäume als der Botanische Garten“, sagt der ehemalige Friedhofsleiter Erwin Stier. Etwa 1000 Großbäume wurden bei der letzten Zählung verzeichnet. Kein Wunder, dass sich nicht nur Spaziergänger hier wohlfühlen, sondern auch Vögel, Hasen oder Eichhörnchen. Am Teich brüten bisweilen Enten.

    Die Mischung aus historischer Sepulkralkultur und Naturerlebnis brachte der Begräbnisstätte den Ruf als einem der schönsten Friedhöfe Deutschlands ein. Zudem beherbergt er laut Stier „Augsburgs schönsten Arbeitsplatz“. Er spielt an auf das Verwaltungsgebäude, dessen Baubeginn bis ins Jahr 1596 zurückreicht. Die Aussicht auf den antiken Brunnen und den blütenreichen Garten vor seinem Fenster genoss der ehemalige Verwalter 26 Jahre lang, bevor Daniel Kettemer 2017 seine Nachfolge antrat. Der älteste Teil des Friedhofs wurde 1534 angelegt. Seinerzeit lag der „Obere Gottesacker“ noch außerhalb der Stadtmauern. Mit Ende des Dreißigjährigen Krieges fiel er der protestantischen Kirche zu. Ein Herzstück des Parks ist die 1826 errichtete Friedhofskirche – „die einzige klassizistische Kirche in Augsburg“, weiß Stier.

    So groß ist der Protestantische Friedhof in Augsburg

    Mittlerweile ist das Friedhofsgelände auf sechs Hektar und rund 10.000 Gräber gewachsen. Wer alle Wege durch die Gräberfelder geht, legt 5,7 Kilometer zurück. Spaziergänger, die an diesem Ort Stadtgeschichte und Grabkunst im Vorbeigehen studieren wollen, werden vor allem im mittig gelegenen, ältesten Teil fündig. Viele Namen auf den Grabsteinen sind untrennbar mit der Geschichte Augsburgs verbunden – vom Familiengrab der Schaezler über den Architekten Karl-Albert von Gollwitzer bis zu Anna Barbara von Stetten, die Pionierarbeit in der höheren Bildung für die weibliche Jugend leistete.

    Da er im Ärmelkanal ertrank, gibt es kein Grab für Rudolf Diesel, doch erinnert eine Gedenktafel am Familiengrab der Diesels an den Erfinder des gleichnamigen Motors. Der Steinmetzmeisters Xaver Müller setzte sich zu Lebzeiten ein Denkmal: Das Grabmal im neugotischen Stil protzt so opulent, als hätte man ein Stück vom Augsburger Dom, seiner Wirkungsstätte, in den Friedhof transportiert. Dagegen wirkt der stilisierte Zirkel, der das Grab eines der bedeutendsten Baumeister kennzeichnet, geradezu dezent. So unvergessen das architektonische Erbe von Elias Holl ist: Sein Wechsel zum evangelischen Glauben kostete dem Schöpfer des Rathauses 1629 seine Karriere als Stadtbaumeister.

    Viel zu entdecken auf dem Protestantischen Friedhof in Augsburg

    Heute geht man lockerer mit anderen Konfessionen um – auch auf dem Friedhof. So schmückt eine Buddhastatue eines der Gräber auf dem Areal. Bis in die 1960er-Jahre wurden hier allerdings nur evangelische Bürger bestattet. „Der Friedhof lebt auch von der Fülle an Symbolik“, findet Erwin Stier. Wer die Details der Gräber betrachtet wie ein Gemälde in einem Museum, hat viel zu entdecken. Beispielsweise die Entenfiguren vor dem Grab des ehemaligen Zoodirektors Georg Steinbacher. Oder das monumentale Grab von Ludwig A. Riedinger, der ab 1842 technischer Direktor der neuen Baumwollspinnerei und Weberei war. Die Dame, die auf seinem Grab thront, hält in der einen Hand eine Fackel als Symbol für die weltliche Macht. Das Zahnrad in der anderen signalisiert Innovation.

    Für Erwin Stier ist der Protestantische Friedhof auch ein Kulturgut. Wer dessen Bewahrung aktiv unterstützen will, kann eine Grabmalpatenschaft übernehmen – und damit die Kosten für Pflege und Renovierung des Grabes. Das älteste Totendenkmal ist das Epitaph des Handelsmanns Johann Vadrosy Stuppano von 1620. Ein gewisser Besitzanspruch ist nicht zu überlesen: „Dieses Epitaphium und Gruft Nr. 13 gehört mir“ steht da in Stein gemeißelt. Anekdoten wie diese finden sich im Protestantischen Friedhof zuhauf. Doch ist der Ort mehr als nur ein Zeugnis der Vergangenheit: Es handelt sich um den ältesten Friedhof in Augsburg, auf dem noch Bestattungen stattfinden.

    Eine von Stiers Lieblingsstellen im Naturpark ist der Stein eines Familiengrabes mit 584 Buchstaben in Gravur mit Blattgoldauflage. Einen großen Teil der Buchstaben beansprucht die Personenbeschreibung „Branntweinbrennereibesitzerseheleute“. Stier: „Jeder dieser Buchstaben hat seinerzeit rund vier Reichsmark gekostet.“ Sogar ein Insider wie er entdeckt auf dem Friedhof immer wieder Neues. Es zieht den ehemaligen Hüter des Parks noch jede Woche hierher. Zu jeder Jahreszeit zeige sich der Park anders. „Das Grün im Sommer, die Farben im Herbst, schneebedeckte Grabfiguren im Winter ...“ Das Reich der Toten ist im Protestantischen Friedhof ein äußerst lebendiger Ort.

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